This is a line three train

30.4.2013, 09:08 Uhr
This is a line three train

© Michael Matejka

Früher hatte ich gar nichts übrig für U-Bahnen, hatte vielmehr einen Widerwillen gegen diese Art der Fortbewegung. Aber seit Einführung der Linie 3 hab ich mir einen ganz eigenen U-Bahn-Nutzen gebastelt, gewissermaßen eine Rechtfertigung für diese unsinnlichste aller Beförderungsarten. Es funktioniert allerdings nur, wenn ich ganz vorn an der Scheibe stehe, mich vom Untergrund einsaugen lasse und dieses Spontanfieber entwickle. Spontanfieber wirkt eigentlich immer und überall. Freud hätte es einen hysterischen Schub genannt, aber Freud ist tot. Der Schub hat überlebt.

Der Tunnel vor dir ist dunkel und windet sich in Krümmungen von einer Station zur nächsten. Ab und zu hupt eine metallene Frauenstimme „This a line three train“, und du fühlst dich im besten Falle wie in Ridley Scotts „Blade Runner“ – auf seltsam altmodische Weise zukünftig. Im schlechteren Fall nur etwas provinzutopisch, obwohl die Metallstimme ohne Dialekt hupt und selbst das Wort Plärrer futuristisch klingt.

Aber vergiss die Gefühle, vergiss die Stationen, gib dich der Bewegung hin, dem Gleiten und Schlingern durch den Bauch der Stadt – der Meditation im Gekröse von Nürnberg. Bald kommen wunderliche Gedanken und seltsame Fragen:

Wenn die U-Bahntunnel Wurmgänge sind und die Züge darin Würmer – was sind dann wir Passagiere?

Rainer, mein taxifahrender Freund und Doktor der Biologie, hatte gemeint, ich machte es mir zu einfach, wenn ich das Innere des Wurms lediglich auf Darm und Darminhalt beschränke. Ganz im Gegenteil sei zum Beispiel schon ein Vertreter der Lubricidae, also der ganz ordinären Regenwürmer (Ordnung: Wenigborster, Stamm: Ringelwürmer, Klasse: Gürtelwürmer), ein Wunderwerk an Komplexität, das der Wissenschaft bis heute Rätsel aufgäbe.

Seitdem verwandle ich mich bei meinen U-Bahnfahrten in einen Teil des hochkomplexen Nervensystems eines fiebernden Hightech-Wurms, in ein Ganglion, das gemeinsam mit all den anderen Fahrgast-Ganglien für das reibungslose Vorankommen unseres großen, gemeinsamen Wurmkörpers zuständig ist. Hier vorne, von der Unendlichkeit des Untergrunds nur durch wenige Millimeter Quarzartiges getrennt, entdecke ich endlich den Sinn:

Kopf hoch, Ganglion, sage ich mir, du bist nur deshalb Teil dieses Erdwurms, damit an der Oberfläche genug Platz ist für Gärten, Seen, Flanierpromenaden und Jahrmärkte mit Himbeerdrops und Zuckerwatte! Du lässt dich durch die schwarzen Innereien der Stadt schießen, damit es oben Wiesen, Wälder, Blumenbeete gibt, Marmorbrunnen und dunkelgrüne Kanäle, auf denen freundliche Menschen in hübschen weißen Booten heiter dahingleiten.

Das Fieber hält an, solange ich im Untergrund bin. Ich gehe den Bahnsteig entlang, fühle mich noch ein paar Augenblicke wie ein Bergarbeiter nach der Schicht, dreckig, fertig, aber zufrieden. Ich lächle den Hartschalensitzen zum Abschied noch einmal kollegial zu, den metallenen Müllkübeln und den Überwachungskameras.

Dann kühle ich wieder runter auf die normale Betriebstemperatur, werde Mensch, werde gesund. Schade eigentlich.



 

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