Tod und Verklärung

28.2.2012, 09:52 Uhr
Tod und Verklärung

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Wie wild sein schulterlanges Blondhaar wogt. Wie leidenschaftlich er dort oben am Pult die Mienen wechselt. Wie elegant seine Hände durch die Luft tänzeln. Wie präzise er mit dem Taktstock die Einsätze gibt. Sie greift in die Saiten ihrer Harfe und lässt ihr Glissando mit dem Klang des Orchesters verschmelzen. Wie schön er ist. Wie funkelnd sein Blick. Wie sie ihn liebt! Wie sie ihn hasst!

Seit zwei Tagen ist er wieder da: Hanno von Heubling, der als führender Richard-Strauss-Dirigent durch die Welt jettet. Er ist gekommen, um seinen Zyklus zu beenden. Während der Proben zur Alpensymphonie hatte sie eine stürmische Liebesaffäre mit ihm. Nach seiner Abreise reagierte er auf keine Anrufe, Mails oder SMS mehr. Totales Schweigen. Und als sie ihn vorgestern nach einem Jahr, drei Monaten und 17 Tagen das erste Mal wiedersah: nichts. Eine Mauer aus distanzierter Geschäftigkeit. Ein höfliches Nicken, wenn sie ihm in den staubbedeckten Fluren der Philharmonie, die gerade generalsaniert wurde, begegnete – das war alles. Stattdessen machte er der neuen Flötistin Avancen, einer bildhübschen Japanerin. Lange musste er nicht balzen. Das sieht sie ihrer Kollegin an. Dieser triumphierende Blick, dass der Maestro jetzt bei ihr den Taktstock schwingt. Mit einem optimistischen C-Dur lassen sie das Stück ausklingen. Tod und Verklärung. Nachdem sämtliche Kollegen aus dem Gemeinschaftsraum gegangen sind, bereitet sie alles vor, wartet und lauscht. Sie kennt ihn ja und weiß, wie er sich nach einer Probe zu entspannen pflegt. Als sie die Tür seiner Garderobe hört und die Stöckelschritte der Flötistin im Gang verhallen, setzt sie sich in Bewegung. Hanno folgt grundsätzlich immer erst fünf Minuten später, um unnötiges Gerede zu vermeiden, wie er sagt.

Sie schiebt die Karre mit ihrem Instrument vorbei an Haufen voller Bauschutt und richtet es so ein, dass sein erster Blick auf sie fällt, als er aus der Garderobe tritt. „Kann ich Dir helfen?“, fragt er, ganz Gentleman, auf sie zueilend. Auch darauf ist Verlass. „Das ist nett von Dir.“ Sie lächelt ihn an und zeigt auf eine angelehnte Tür. „Ich bringe die Harfe nicht über die Schwelle da.“

Er zieht, sie drückt, er stößt im Rückwärtsgehen die Tür auf und verschwindet. Drei Stockwerke tiefer gibt es einen dumpfen Aufprall – danach Totenstille. Vorsichtig schließt sie die Tür, klebt das große Warnschild wieder an und schiebt ihre Harfe zum Fahrstuhl.

Das Strauss-Konzert nach dem tragischen Unfalltod des Maestros dirigiert dann der große Raimondo Conga. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Die Hochzeit ein gesellschaftliches Ereignis. Mittlerweile erwartet sie das dritte Kind von ihm.



 

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