Tränen im Supermarkt: "Als Mutter schämt man sich"

28.4.2016, 06:00 Uhr
Tränen im Supermarkt:

© Foto: colourbox.com

Die allerwenigsten, die den Fall jetzt kommentieren, waren am 19. April selbst dabei. Die Schilderungen der Beteiligten gehen auseinander, "und auch die Vorgeschichte kennen wir gar nicht", sagt Agnes Mehl, Leiterin der städtischen Familienberatungsstelle, die deshalb davor warnt, den Beteiligten Vorwürfe zu machen.

Nach den Worten der Mutter war ihre zweijährige Tochter müde und fing an, zu weinen. Den Einkauf habe die Familie – auch die Großmutter war dabei – schnell erledigen und dann heimfahren wollen. Eine Verkäuferin habe sie angesprochen, berichtet die Mutter den FN: Es könne doch nicht sein, dass sie das Kind nicht beruhigen könne, es würde den ganzen Laden zubrüllen. Auf den Hinweis der Schwiegermutter, als Kunden sorgten sie auch für das Gehalt der Verkäuferin, sei dann auch noch eine pampige Antwort gefolgt.

Der Supermarkt-Leiter verteidigt die Mitarbeiterin, sie habe "richtig, aufmerksam und feinfühlig“ gehandelt und die Eltern gebeten, das weinende Mädchen doch aus dem Wagen zu nehmen und zu beruhigen. Es sei ihr auch um das Wohl des Kindes gegangen, mehrere Kunden hätten gebeten, etwas zu unternehmen. Der Bild-Zeitung sagte er zudem, dass Kunden auch das Recht hätten, in einer entspannten Atmosphäre einzukaufen.

Im Netz finden beide Seiten Verständnis: "Warum ging nicht der Vater oder die Schwiegermutter mit dem Kind raus? Und warum muss man mit einem müden Kind einkaufen gehen?", fragt einer auf unserer Internetseite nordbayern.de. "Ich habe das Gefühl, dass die Kinder die Eltern erziehen und nicht umgekehrt", schreibt ein anderer. Und ein dritter: "Die Kommentare zeigen, wie Deutschland zu Kindern steht."

Deutschland, ein kinderfeindliches Land? Die Gesellschaft sei doch eher kinderfreundlicher geworden, sagt Norbert Straub, Wirt der Gaststätte "Zur Hardhöhe“ und Kreisvorsitzender des Hotel- und Gaststättenverbands. Weinende Mädchen und Jungen erlebt er in seinem Lokal selten – herumsausende schon häufiger. Ein Indiz dafür, so scheint es ihm, dass Eltern heute weniger Grenzen setzen – was er nicht in jedem Fall gut findet. "Kinder suchen Grenzen." Als Vater sei er selbst früher mit seinem Kind immer rausgegangen, wenn es weinte, "um herauszufinden, was ihm fehlt".

"Man schämt sich“

Heul- oder Trotzanfälle bei kleinen Kindern "kennt jede Frau“, sagt Vera Satiro. Auch in ihrem Laden für Kindermode in der Innenstadt fließen manchmal Tränen. Satiro weiß, wie es den Müttern dabei geht: "Man schämt sich, kommt sich blöd vor."

Sie selbst halte sich gewöhnlich heraus: "Die Eltern kennen doch ihr Kind am besten." Anderen Kunden in diesen Minuten eine Wohlfühlatmosphäre bieten zu müssen, das käme ihr nicht in den Sinn, versichert Satiro. "Solche Situationen gehören doch zum Leben.“ Als Mutter hat sie sie selbst mitgemacht, wenn etwa an der Kasse das Überraschungsei nicht gekauft wurde: "Man kann nicht immer nachgeben." Was die Einzelhändlerin manchmal macht, wenn "die Stimmung kippt": einen Luftballon anbieten, um für Ablenkung zu sorgen.

Es gibt so viele Gründe, warum ein Kind weint, sagt Familienberaterin Agnes Mehl. Mal helfe Trost oder ein Gespräch, mal Ablenkung ("Du darfst dir eine Sache aussuchen") – aber es gebe auch Situationen, in denen nichts passt, die man aushalten muss. Anstatt zur Verkäuferin zu eilen, könnten Umherstehende versuchen, die Lage zu entkrampfen, rät Mehl, und den Eltern Verständnis signalisieren ("Das geht wieder vorbei!").

Generell beobachtet die Psychologin, dass der Druck auf Familien wächst und oft Zeit fehlt: Dann muss der Einkauf eben noch erledigt werden, was an den Nerven aller zerrt. Ein festes Rezept, wie man bei Trotzanfällen reagiert, gibt es nicht. Aber wenn sie häufiger vorkommen, könne man sich bei einer Familienberatungsstelle Tipps holen.

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