Trotzdem: Eine Liebe zur Heimat

31.10.2012, 16:00 Uhr
Trotzdem: Eine Liebe zur Heimat

© Martin Bartmann

Gut 80 Jahre ist es her, da trat die Mutter Robert Schopflochers mit Liedern von Schubert und Brahms im großen Saal des Berolzheimerianums auf und wurde vom bürgerlichen Fürther Publikum gefeiert. An denselben Ort kommt nun der Sohn und blickt zurück auf die Jahrzehnte dazwischen: Versöhnlich gibt er sich, wenngleich auch ihm klar ist, dass ein Großteil des Publikums, das seinerzeit der Stimme seiner Mutter lauschte, keinen Widerstand leistete, als seine und andere jüdische Familien in Fürth geschmäht und dann aus der Stadt vertrieben wurden.

Das Berolzheimerianum heißt jetzt „Comödie“, und die Bedienung, die sonst hier eher Gäste des Frohsinns bewirtet, wünscht ganz automatisch „Viel Spaß bei der Vorstellung“. Spaßig freilich konnte und sollte dieser Abend nicht werden, an dem der fast 90-jährige Schopflocher als einer der letzten noch lebenden jüdischen Fürther Zeitzeugen mit jedem seiner (oft noch vom Dialekt geprägten) Sätze an Jahre gemahnte, die auch der Stadt, die er liebte und liebt, nicht zur Ehre gereichten. Es war und ist nicht Robert Schopflochers Art, in Wunden zu wühlen. Wenn er seine Erinnerungen erzählt, dann denkt er zunächst an schöne Gemeinsamkeiten, an einen friedlichen Alltag mit allen Fürther Nachbarn und Freunden.

Doch der Verlust der Heimat, die Schmach der Ausgrenzung sind zwischen den Zeilen spürbar: „Es gibt eine vielschichtige Wahrheit“, sagt er und weiß sehr wohl zu unterscheiden, wo man vor 1933 auf Toleranz zählen konnte oder wo man oberflächliche Akzeptanz zu fürchten hatte, die schnell umschlagen konnte in billigen Hass. 

Kerben im Türstock

Die Bindung an die Heimatstadt ist in den Jahren in Argentinien, wo die mittlerweile wieder große Familie Schopflocher ihre zweite Heimat längst gefunden hat, nicht locker geworden. In dem kleinen, sehr persönlichen Film von Evi Kurz sieht man den Großvater, wie er einem seiner Enkel (die alle auch Deutsch sprechen) in der ehemaligen Wohnung in der Königswarterstraße die Kerben im Holz des Türrahmens zeigt, die der Bub damals mit seinem neuen Taschenmesser verbotenerweise geritzt hatte.

Das ist eine ebenso anrührende wie schmerzende Szene, spricht sie doch auch von den Einschnitten im Leben des Robert Schopflocher, von den Zeichen, die er unbeschwert in Fürth gesetzt hat, die übertüncht wurden – und dennoch nicht ausgelöscht werden konnten. Solche Erinnerungen trägt er also mit sich, bringt sie zu Papier in seiner Autobiografie, die er vage und fragend mit „Weit von wo“ betitelt, und in Gedichten, die bei ihm nicht ohne „Hintergedanken“ auskommen.

Schopflocher ist darin nie so radikal und skeptisch wie seine Kollegin und gute Freundin, die aus Wien stammende Ruth Klüger, die Auschwitz überlebte. Sie sagt bei einem Treffen in Fürth, dass sie bei jeder Rückkehr nach Deutschland immer noch nach Lösungen der Frage, warum das hier geschehen konnte, suche. Aber sie weiß, es gibt keine, und die Vergangenheit „liegt mir im Magen“.

Nicht, dass Robert Schopflocher vergessen wollte, was geschah — wie könnte er auch, wenn er in der Aussegnungshalle des jüdischen Friedhofs steht und die Namen der Opfer liest, von denen viele ihm als lebendige Freunde in Erinnerung sind. Aber es ist sein fester Charakter, der ein „Trotzdem“ beim Blick zurück zulässt. Er will sich nicht nehmen lassen, was ihn geprägt hat: „Ich denke an die Maischule und die Lehrer, die mir den Zugang zu der deutschen Kultur ermöglichten, den mir ein Hitler oder Streicher verwehren wollten.“

Und so stand am Ende dieses bemerkenswerten Abends ein altersweiser und sehr bewusst an seinen Wurzeln hängender, hintersinniger 89-jähriger Mann, der auf die Frage, ob man ihn bald wiedersehen würde in Fürth, nur verschmitzt sagte: „...ich käm’ schon ganz gern.“

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