Tschechisch ist ein Kinderspiel

21.9.2011, 11:30 Uhr
Tschechisch ist ein Kinderspiel

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Ich hasse hilfloses Radebrechen in der Fremde und meide daher den Urlaub in Ländern, deren Sprache mir fremd ist. Aber Tschechien lässt sich auf Dauer nicht vermeiden. Erstens ist es unser Nachbar, und zweitens gibt es dort die elementaren Dinge des Lebens erheblich günstiger als bei uns, insbesondere Zigaretten, Marillenschnaps und Becherovka. Flugs also in die Bibliothek geeilt und einen Express-Sprachkurs besorgt. Doch Tschechisch, so warnt das Lehrwerk, „gilt als eine der schwersten Sprachen in Europa“.

Dieser Satz brachte mich dazu, den Sprachkurs aus dem Hause Hueber sofort wieder zu verwerfen und mich jenseits der Grenze nach anderem Material umzusehen. In einem Antiquariat in Klatový erwarb ich ein Buch mit tschechischen Kinderversen und in Domažlice einen Band mit Sprichwörtern, um mich der Sprache unserer östlichen Nachbarn auf spielerischem Wege zu nähern, was wiederum dazu führte, dass ich mich noch in keiner Sprache so intensiv mit Sprichwörtern und Kinderliedern befasst habe wie im Tschechischen.

Hauptsächlich erspart man sich die mühselige Eigenkonstruktion von Sätzen und kann darüber hinaus eine gewisse Eloquenz jenseits der üblichen Sprachführerphrasen vortäuschen. Wenn etwa im Lokal das bestellte Bier gebracht wird, kann man freundlich zum Kellner sagen „pivo dela hezká tela!“ (Bier macht schöne Körper), wenn der Fisch aufgetragen wird, kann man sagen „malé ryby také ryby!“ (Kleine Fische sind auch Fische), und schließlich, wenn der Kuchen serviert wird, „bez práce nejsou koláce!“ (Ohne Arbeit gibt‘s keinen Kuchen). Der Kellner wird einen zwar für gaga halten, aber man hat die Freude, dass die des Tschechischen unkundigen Reisepartner darüber staunen, wie locker einem doch das rechte Wort zur rechten Zeit über die Lippen kommt.

Außerdem soll man auch aus anderen Gründen nicht stur an den Lehrbüchern kleben. Sie haben nämlich den großen Nachteil, dass sie den Tschechen unbekannt sind, so dass man selten die erwartete Antwort bekommt. Als ich einmal in einer Pilsener Filiale der HypoVereinsbank Geld wechseln wollte, sagte ich: „Chci prosím vymenit sto Eur za koruny“, und darauf hätte die nette Dame am Bankschalter korrekt nach Langenscheidt antworten müssen: „Chcete jenom bankovky, nebo chcete také drobné?“ („Möchten Sie nur Banknoten oder auch Kleingeld?“) Stattdessen hörte ich „Tschechi tsche ischtsche, chi tsche tschechi chischtsche tsche chischtschetsche!“ Damit wollte sie mich darauf aufmerksam machen — wie sie mir dann in exzellentem Englisch erklärte —, dass die Bank für den Umtausch eine Gebühr erhebt, und zum Abschied sagte sie mir mit mitleidiger Miene, dass Tschechisch leider eine sehr schwere Sprache sei.

Deshalb sollte man sie genauso lernen, wie es die tschechischen Kinder tun. Zum einen wird man dadurch ganz von selbst mit den vielen „-icka“ und „-icko“ und „-inka“ vertraut, die man an die Wörter anhängen kann, zum anderen fällt die Konversation leichter, weil die Kinderverse — im Gegensatz zu den Tschechisch-Lehrbüchern — in Tschechien bekannt sind. Im Hotel beispielsweise könnte man problemlos folgenden Dialog führen:

„Co bude k snídani?“„Was gibt’s zum Frühstück?“

„Hrenecek od sazí.“„’nen Becher voll Russ.“

„Co bude k obedu?“

„Was gibt’s zu Mittag?“

„Talírek od medu.“„Federn mit Mus.“

„Co bude k veceri?“„Was gibt es zur Nacht?“

„Ošatka od perí.“„Brei um halb acht.“

Damit ist zwar nicht unbedingt viel gewonnen, was den Informationsaustausch betrifft, aber man ist zumindest schon einmal locker und ohne böse Überraschungen ins Gespräch gekommen.

Hingegen kann ein anderes Kinderlied, leicht abgewandelt, im Fall einer Autopanne sehr hilfreich sein — ich werde, wenn es so weit ist, auf einem Bein in eine Werkstatt hüpfen und händeklatschend singen:

„Vuz nám spadl, vuz nám spadl — Unser Wagen ist zerbrochen“, „kdopak nám jej postavi? — Wer macht ihn bloß wieder heil?“

Und ein Mann im blauen Overall wird zurücksingen: „Starý mistr není doma — Der alte Meister ist nicht da“, „a mladý to neumí! — Und sein Sohn weiß nicht Bescheid!“

Dann wird er hoffentlich den Großvater rufen, der mit vier Hammerschlägen alles wieder in Ordnung bringt, und meine Reisegefährten, die diese Szene verfolgen, werden sich über nichts wundern. Schließlich weiß in Deutschland jeder, dass die Tschechen ein verspieltes Volk sind.

 

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