Ü wie Ünsal-Kirici

29.8.2012, 13:00 Uhr
Ü wie Ünsal-Kirici

© Thomas Scherer

Dem Fotografen wird schon beim Hinsehen flau, er fühlt sich krank. Dabei hat Müzeyyin Ünsal-Kirici nur zwei Petrischalen geöffnet. Auf der einen haben die Bakterien eines Rachenabstrichs ein reizvolles abstraktes Muster entworfen, auf der anderen blühen sie auf glasigem Grund in Blau und Violett. „Ich habe Ehrfurcht vor allen. Ich weiß, was sie anrichten können“, sagt die Medizinerin. Andererseits: Ohne Bakterien könnten wir nicht leben. In jedem Menschen leben mehr Bakterien als menschliche Zellen.

Früh hat sich Müzeyyin Ünsal, die in der Nähe von Istanbul geboren wurde und im Alter von fünf Jahren nach Deutschland kam, für theoretische Medizin interessiert. Schon im Studium in Regensburg hatte sie Mikrobiologie als Fach. „Natürlich sind die Namen zuerst Zungenbrecher, aber wenn man sich ins Fach vertieft, lernt man sie schnell.“ Sie absolvierte ihre Facharztausbildung an der Universität Erlangen, ließ sich 2003 mit Professor Dr. Holger Blenk in einer Praxisgemeinschaft in der EuromedClinic nieder.

Tägliche Sorgenkinder

Stenotrophomonas maltophilia — ein Krankenhauskeim, der hartnäckige Infektionen auslösen kann — gehört zu ihren täglichen Sorgenkindern. Vielleicht kann ihn Müzeyyin Ünsal-Kirici deshalb so flüssig aussprechen wie Staphylococcus aureus, die Klebsiellen enterobacta oder das Coryne bacterium diphteriae. Die Namen von Bakterien, Viren und Pilzen sind lateinisch und international, nur wenige Erreger erhalten eine eigene deutsche Bezeichnung. Der Poliovirus sprich Kinderlähmung oder die Varicella sprich Windpocken sind Ausnahmen.

Wie viele Mikroben es gibt? „Ach Gott!“, sagt die Ärztin, „Tausende allein, die humanmedizinisch bedeutsam sind.“ So richtig gefährlich können die Infektionen mit resistenten MRSA-Keimen sein oder mit dem Clostridium botulinum, das ein hochpotentes Gift erzeugt. Kleinste Mengen können töten. Für die Mittvierzigerin ist die Beschäftigung damit Alltag, denn sie ist auch für die Klinikhygiene zuständig. Auf die Spur kommen Mikrobiologen den Keimen mit Abstrichen.

Von der Haut, aus Mund und Nase oder im Genitalbereich nehmen sie Proben und streichen sie auf Nährböden. Bei kuschelig-körperwarmen 37 Grad dürfen diese sich im Brutschrank vermehren – in der Hoffnung, dass sie ihre Identität offenbaren. Blut, Stäbchenbakterien, eine Pilzplatte. Was sich anhört wie ein mehrgängiges Menü, ist die Liste für einen einzigen Patienten. Manche Bakterien lassen sich nur über Gensequenzen nachweisen, bestimmte Infektionen nur über Antikörper im Blut, wie beispielsweise Hepatitis A oder HIV.

Ein Blick durchs Mikroskop gibt dann Auskunft. „Wunderschöne Kugelbakterien!“, schwärmt Müzeyyin Ünsal-Kirici und stellt mit leichter Hand auf die Staphylococcen scharf. In tausendfacher Vergrößerung malen sie ein Pünktchenmuster wie Froschlaich, die Stäbchenbakterien in Rot dagegen scheinen aus den 50er Jahren geklaut. Und dann gibt es ja noch die Pilze, wie verschiedene Candida-Arten, die den Menschen ganz natürlich besiedeln — aber bei Immunschwachen zu schweren Erkrankungen führen können. Oder Aspergillus fumigatus, ein Schimmelpilz, der die Atemwege befällt.

Noch nicht angesteckt

Wie sehr Patienten leiden, sieht Müzeyyin Ünsal-Kirici unter anderem in ihrer Sprechstunde. Meist geht es um Klärung: Woran ist ein Mensch erkrankt? Sie hat sich auf Borreliose spezialisiert, häufig sind aber auch sexuell übertragbare Krankheiten und vorbeugende Impfungen etwa gegen Gelbfieber. Die Mutter von zwei Jungen und einem Mädchen selbst hat sich noch nicht angesteckt, toi toi toi. „Der beste Schutz ist, den Feind zu kennen.“

Sie könnte noch viel mehr erzählen. Von den Parasiten zum Beispiel, wie Toxoplasma gondii, einem Einzeller, der Katzen als Wirt nutzt. Wenn sich Schwangere infizieren, kann das zu schweren Missbildungen des Ungeborenen führen. Oder von Madenwürmern und Bandwürmern. „Der letzte, den ich gesehen habe, war ein sechs Meter langer Fischbandwurm“, sagt die Ärztin.

Auch Krätze hat sie 2012 schon diagnostiziert. Wenn sich die Zuhörer — uuuh! — dann schütteln, lächelt Müzeyyin Ünsal-Kirici still und wissend. Die typische Reaktion!

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