Über das Leid der Flüchtlinge in Zirndorf

15.7.2014, 06:00 Uhr
Über das Leid der Flüchtlinge in Zirndorf

© Thomas Scherer

Herr Ghamin, wie sehr unterscheidet sich die Arbeit in Ihrer Praxis in Burgfarrnbach von den Sprechstunden in der ZAE?

Habib Ghamin: Das sind Welten. In meine Praxis kommen die Leute nach Termin, sie haben Struktur in ihren Angaben, können deutlich sagen, was ihnen fehlt. In der ZAE kommen alle auf einmal, es gibt Sprachbarrieren, die Menschen sind nach wochenlanger Flucht oder von der Enge in der Einrichtung gestresst und dann müssen sie noch Stunden in einem Gang stehen und warten, bis sie bei mir an die Reihe kommen – in einem viel zu kleinen Behandlungszimmer.

Sind Sie der einzige Arzt in der ZAE?

Ghamin: Ja, ich habe seit 2011 die Genehmigung für diese Nebenstelle meiner Praxis und halte an zwei Nachmittagen pro Woche Sprechstunde.

Und an den restlichen Tagen?

Ghamin: Die Flüchtlinge haben das Recht, zu jedem niedergelassenen Arzt in der Umgebung zu gehen. Zu diesem Zweck bekommen sie einen entsprechenden Krankenschein.

Auf diese Regelung wird oft verwiesen, um zu betonen, die Versorgung der Flüchtlinge sei gewährleistet. Warum sehen Sie das anders?

Ghamin: Die Ärzte rund um die ZAE sind mit den Flüchtlingsmengen überlastet, dazu kommen die Sprachprobleme.

Welche Sprachen sprechen Sie?

Ghamin: Englisch, Persisch und ein wenig Arabisch. Manchmal bemühe ich auch die Amtsdolmetscher, oft aber bringen Kranke ein Handy mit in die Sprechstunde, am Hörer sind dann meist nahe Verwandte, die Deutsch sprechen und für sie übersetzen. Ich möchte aber noch einen anderen wichtigen Punkt nennen, der für eine medizinische Versorgung in der ZAE spricht.

Der wäre?

Ghamin: Natürlich kann jemand, der ein bisschen Grippe hat, einen Arzt im Umkreis aufsuchen. Für viele Kranke ist das aber eine Zumutung. Eine Hochschwangere kann nicht 20 Minuten zum nächsten Gynäkologen laufen. Was ist mit Rollstuhlfahrern? Außerdem treffen immer mehr Menschen bereits schwerkrank bei uns ein.

Weil sie hoffen, dass ein deutscher Arzt sie heilt?

Ghamin: Ja, über 50 Prozent der Flüchtlinge haben Erkrankungen wie Leukämie, Brustkrebs, offene Beine oder Thrombosen. Manche bringen ihren Befund gleich mit. Anderen sieht man es sofort an, dass sie in ihrer Heimat nicht behandelt werden konnten. Wenn jemand völlig abgemagert ist, wenn er Nasenbluten hat oder Zähne bei Berührung herausfallen, brauche ich keinen Befund. Dann weiß ich, dass er Krebs hat, und überweise ihn an die Onkologie eines Klinikums – dort wird er zum Glück auch behandelt, egal ob er nun ein politischer Flüchtling ist oder nicht.

Für den Bau eines medizinischen Zentrums war bereits ein Nachbargrundstück der ZAE vorgesehen. Nach Anwohnerprotesten hat es die Stadt Oberasbach gekauft, um die Erweiterung zu verhindern . . .

Ghamin: Ja, leider. Aber es ginge auch ohne dieses Grundstück. Die Regierung von Mittelfranken hatte uns versprochen, auf dem Gelände der ZAE Container aufzustellen, damit eine gut ausgestattete medizinische Einrichtung entstehen wird. Mit Allgemein- und Kinderarzt, mit einer Gynäkologin und Psychiatern. Auch Psychotherapeuten wären wichtig, da gut 30 Prozent der Flüchtlinge traumatisiert sind, die Dunkelziffer ist vermutlich noch höher. Leider hat die Regierung das Versprechen nicht gehalten.

Wie gehen Sie damit um?

Ghamin: Ich war traurig, enttäuscht, sogar so sehr, dass ich eine Zeit lang nicht arbeiten konnte und mich vertreten ließ. Aber dann habe ich Kräfte gesammelt und weitergemacht.

Im Dezember 2011 starb beinahe ein kleiner Junge in der ZAE, weil er nicht rechtzeitig Hilfe erhalten hat. Vor einigen Monaten war die Gerichtsverhandlung. Wie könnte man so einen tragischen Fall künftig vermeiden?

Ghamin: Es wäre sehr, sehr hilfreich, wenn es immer eine Anlaufstelle gäbe, gerade wenn kein Arzt vor Ort ist. Ehrenamtliche Helfer, vielleicht eine ehemalige Krankenschwester, die sich die Fälle anschaut und dann mit einem Arzt Rücksprache hält. Ich habe sogar so jemanden in der ZAE, sie macht das stundenweise, aber das ist noch zu wenig.

Wie viele Menschen behandeln Sie an einem Nachmittag?

Ghamin: Früher waren es 20 bis 30. Inzwischen sind es bis zu 100, darunter viele Polio-Impfungen, die ich vornehmen muss. Ich bin bis weit in den Abend dort, eben bis alle an der Reihe waren, die gewartet haben. Iraker, Syrer – es kommen immer mehr Flüchtlinge nach Zirndorf.

Warum holen Sie sich nicht noch einen Arzt dazu?

Ghamin: So einfach ist das nicht. Die Kassenärztliche Vereinigung muss das genehmigen. Das ist ein sehr bürokratisches Verfahren. Und um parallel zu behandeln, brauchen wir erst mal weitere Räume.

Haben Sie Hoffnung, dass die medizinische Einrichtung noch kommt?

Ghamin: Wenn ich danach frage, heißt es, man wisse es nicht, aber vielleicht werden Ende des Jahres Räume frei, in die wir einziehen könnten. Aber dort gibt es keinen Wartebereich, die Menschen müssten im Freien stehen. Ich kann nur immer wieder sagen: Geld, mit dem man kranken Menschen hilft, ist doch gut angelegt.

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