Und es klingelten die Banalitätsglocken

22.10.2016, 16:03 Uhr
Und es klingelten die Banalitätsglocken

© Foto: Thomas Scherer

Leser gucken ins Buch. So einfach ist das. Außer man sitzt in diesem wunderbaren Bibliothek-Glashaus, das die Neue Mitte krönt. Dann schweifen die Augen beinahe automatisch und registrieren Abenddämmerung, Lichter, Silhouetten. Ob diese Veranstaltung auch deshalb in weiser Voraussicht „Seitenblick“ hieß, blieb offen, doch dafür gab es so viele Anregungen von Lesern für Leser, dass am Ende garantiert doch wieder alle bei den Buchseiten landeten.

Als „literarisches Terzett“ von Moderatorin Milena Vatter angekündigt, eröffneten Christina Rauch von der Buchhandlung Jungkunz, VHS-Leiter Felice Balletta sowie Bibliothekar und Buchblogger Marius Müller (www.buch-haltung.com) die nicht zufällig zur Buchmesse-Zeit eröffnete Lesestoff-Parade. Ihnen glückte, was solche Empfehlungsrunden attraktiv macht: Im Rahmen eines kurzweiligen Gesprächs präsentierte jeder von ihnen einen Roman, lobte, tadelte und verteidigte.

Auf den Prüfstand kamen von Margherita Giacobino „Familienbild mit dickem Kind“, von Katharina Hagena „Das Geräusch des Lichts“ und Noah Hawleys „Vor dem Fall“. Die drei Vor-Leser fällten nachvollziehbare Urteile („Ein roter Faden wäre schön gewesen für die Geschichte“). Sie lobten („Das hat mich total mitgerissen“) und tadelten („Diese Donald-Trump-artige-Figur brachte mich zur Weißglut“). Im lebhaften Austausch kamen überraschende, aber durchaus verständliche neue Kriterien zur Geltung. Da „klingelten die Banalitätsglocken“ warnend und das „banalste Literaturmotiv“ überhaupt wurde entlarvt: „Das ist doch der verwöhnte junge Mann, der an der Welt verzweifelt.“ Trotz einiger Differenzen im Detail fällten die drei im Großen und Ganzen einstimmige Urteile und sprachen Leseempfehlungen aus. Abstriche musste bloß Noah Hawleys Epos einstecken. Der amerikanische Autor, der unter anderem die TV-Serie „Fargo“ nach dem Film der Coen-Brüder entwickelte, bekam Unterstützung ausschließlich von den männlichen Experten.

Gleich zehn neue Werke knöpften sich im Anschluss Elisabeth Zeidler von der Volksbücherei und Susanne Kramer, Leiterin der städtischen Pressestelle, vor. Sehr persönlich und unterhaltsam gaben sie Einblicke in die ausgewählten Bücher und kürten klare Favoriten. Dazu zählten unter anderem Lucia Berlins Erzählband „Was ich sonst noch verpasst habe“ mit Geschichten „aus dem prallen Leben“ und der Roman „Die große Kälte“ von Rosa Ribas und Sabine Hofmann.

Für die Besucher des ersten „Seitenblick“-Runde gab es zum Abschied die Bitte, doch via Internet über den Abend abzustimmen. Milena Vatter versprach: „Wenn es Zustimmung für diese Form der Buchpräsentation gibt, dann planen wir in einem halben Jahr zur Leipziger Buchmesse eine Neuauflage.“ Ein erster Blick auf das Online-Votum lässt es ratsam erscheinen, den Termin schon einmal im Kalender vorzumerken.

Eine Begründung für die spürbare Buch-Begeisterung hatte zuvor schon Christina Rauch geliefert: „Wenn mich jemand fragt, ob ich leidenschaftlich gerne lese, dann sage ich Nein. Denn ich würde ja auch nicht behaupten, dass ich leidenschaftlich atme. Ich muss atmen. Mit dem Lesen verhält es sich genauso.“

Eine Video-Umfrage zum aktuellen Lesestoff der Fürther sehen Sie auf der Facebook-Seite der Fürther Nachrichten.

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