Unfallfahnder zwischen Stall und Futtermischwagen

16.3.2017, 09:00 Uhr
Unfallfahnder zwischen Stall und Futtermischwagen

© Foto: Petra Fiedler

Der Melkstand ist blitzsauber. Leicht sticht der Geruch von Desinfektionsmittel in der Nase und verrät, dass hier auch unsichtbaren Keimen der Kampf angesagt wird. Thomas Collischon, 42-jähriger Landwirtschaftsmeister, und Jürgen Bauernfeind, der für Mittelfranken zuständigen Revisor der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft, fachsimpeln über Rutschhemmung und die Verkehrswege im Stall. "Hier ist alles vorbildlich", stellt Jürgen Bauernfeind fest.

Keine Stolperfallen

Im Detail beschreibt er, was einen sicheren Melkstand ausmacht: ein griffiger, fester Handlauf, rutschhemmende Bodenbeläge, ein Treppchen, dessen Oberfläche das Ausgleiten verhindert, auch wenn es einmal furchtbar pressiert. Nichts liegt auf den Wegen zum und vom Melkstand weg herum. Die Stolperfallen sind ausgemerzt.

Die Eile, der Stress, die Arbeitsüberlastung seien, so muss LBG-Revisor Bauernfeind zu Protokoll geben, die Hauptgründe, wenn Landwirten ein Unfall passiert. "Unsere Bauern stehen schon sehr unter Druck", berichtet er vom Alltag, der meist von viel zu viel und oft auch drängender Arbeit geprägt ist. Umso wichtiger sei es, dass man als LBG-Revisor immer wieder einmal den Blick von außen auf die Höfe wirft.

Seit den 60er Jahren stattet die LBG den Mitgliedsbetrieben Besuche ab. "Damals hat man sich vor allem die Agrartechnik angeschaut", schildert Bauernfeind die Aktivitäten. Da allerdings nur 15 Prozent der Unfälle mit der Agrartechnik zu tun hätten und 85 Prozent verhaltensbedingt seien, ginge man heute mit den Landwirten Schritt für Schritt über den Hof. Bauernfeind sieht sich als Fahnder möglicher Unfallstellen.

Deshalb betrachtet auch Thomas Collischon den Besuch nicht als Belastung, sondern als Chance. "Die Arbeitsprozesse schleifen sich ein und man merkt oft gar nicht, wo sich eine Gefahrenquelle auftut", bewertet er die Arbeit der LBG pragmatisch.

Bei den Collischons gefällt dem Revisor schon der Hauseingangsbereich. Auch der ist Part des landwirtschaftlichen Betriebes. Auch hier rutschhemmende Bodenbeläge, eine Überdachung, ein Bewegungsmelder. "Wer nachts noch ein paar Mal schnell in den Stall zur kalbenden Kuh schauen muss, braucht ein funktionales Umfeld", betont Jürgen Bauernfeind. Aus Erfahrung weiß er, wie schnell man als Landwirt verunglückt. "Das ist nicht so, dass auf Bauernhöfen besonders nachlässig gearbeitet würde", meint er. Aber noch mal schnell dies erledigt und das angepackt — ein Moment der Unaufmerksamkeit könne genügen — und schon fallen Bauer oder Bäuerin aus.

Wichtige Reha-Maßnahmen

Zu den Hauptaufgaben der LBG gehört es dann, eine Betriebs- oder Familienhilfe zu stellen. Außerdem erinnert Jürgen Bauernfeind, nähmen Reha-Maßnahmen breiten Platz ein. "Die LBG setzt früh mit den Leistungen ein", denn, so betont Bauernfeind, gelte es doch, den Landwirt nicht nur schnell wieder gesund, sondern vor allem auch wieder arbeitsfähig zu bekommen: "In der Landwirtschaft kann keiner auch nur einen Tag zu lang dem Betrieb fernbleiben".

Inzwischen sind Landwirt und Revisor beim Futtermischwagen angekommen. "Das ist auf einem Milchviehbetrieb mit Futterbau ein zentrales Gerät", erklären die beiden. Es sei nahezu täglich im Einsatz.

Bauernfeind findet in dem Betrieb in Stein ein technisch einwandfreies Fahrzeug vor. Alle drehenden Teile sind geschützt, keine scharfen Kanten können gefährlich werden. Dennoch hat er für den Landwirt einen Denkanstoß: "Haben Sie schon mal über eine Rückfahrkamera nachgedacht?"

Collischon und Bauernfeind diskutieren das beengte Gesichtsfeld beim Rückwärtsfahren, und der Mann von der LBG beschreibt, für welch großen Blickwinkel die Kamera Einblick schaffen würde. "300 Euro kostet eine gut funktionierende Rückfahrkamera", beantwortete Bauernfeind die Frage nach den Kosten. Collischon bewertet die Investition positiv: "Das macht schon Sinn".

Kurs gegen Stress

Insgesamt ist es ein für Landwirt und Revisor angenehmer Termin. "Ich muss keine Fristen setzen, weil hier und dort Abhilfe geschaffen werden muss", wird Bauernfeind am Ende sagen. Und er wird Thomas und Heidi Collischon, wie auch alle anderen Landwirtsfamilien, darauf aufmerksam machen, dass die LBG noch ein weiteres Präventionsangebot hat.

"Wir bieten auch Kurse zur Stressbewältigung an", berichtet der Experte. Von wegen heile Welt: Die Lebensbedingungen auf den Betrieben hätten sich entsprechend geändert.

"Wir raten den Landwirten auch hier zu Prävention", sagt Jürgen Bauernfeind und weiß, dass Burnout inzwischen ein in der bäuerlichen Landwirtschaft weit verbreitetes Krankheitsbild ist.

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