Ungehaltene Rede eines ungehaltenen Gefühls

18.6.2013, 08:44 Uhr
Ungehaltene Rede eines ungehaltenen Gefühls

© ts

Versammelte Emotionen der Welt, werte Verteidiger der Gefühlsskala,

ich begrüße es, heute in Ihrer Mitte zu stehen und einmal von mir zu sprechen, als wäre ich ein gern gesehener Gast.

Ich weiß, dass ich die Herzen mit Schwärze fülle, dass Bitterkeit und der unbedingt zu zügelnde Hass meine treuen Begleiter sind. Dennoch: Was wäre die Welt ohne mich?! Damit will ich Ihnen, hochangesehene Nächstenliebe, geschätzte Gewaltfreiheit, nicht die Butter vom Brot nehmen.

Doch, sind wir ehrlich! Ohne meinen Stachel wäre der Ehrgeiz – bitte entschuldigen Sie meine Wortwahl! – ein apathischer Sesselfurzer, der die Möglichkeiten des Lebens an sich vorbeiziehen lässt. Anders ausgedrückt: Wären Sie ohne mein Zutun zu Höchstleistungen fähig?!

Ich höre murren auf den Plätzen der Weisheit und der Gelassenheit. Zugegeben, Erleuchtete haben mich aufgelöst und aus ihren Körpern gleiten lassen. Doch, unter uns: Wären Sie gern erleuchtet?! Man sagte mir, dass der Zustand langweiliger sei als ein Heimspiel der Fürther in der Bundesliga, denen ich mich in der letzten Spielzeit in allen Verästelungen zur Verfügung stellte... Allein, genützt hat es leider nichts. Sie haben so schlecht gespielt, dass sogar meine Giftpfeile nutzlos waren. Bei bestimmten Konstellationen bin ich schlichtweg machtlos. Meine bloße Anwesenheit befähigt noch nicht zu Gipfelstürmen.

Dazu kommt, dass mich die Menschen sehr oft missbrauchen. Es hätte nicht sein müssen, dass Kain seinen Bruder umbringt. Und alles, weil Gott, dessen Existenz immer noch nicht erwiesen ist, den Opfergaben von Abel eine größere Beachtung schenkte. Ich gelte als schlimmste der sieben Todsünden und möchte an den großartigen Psychothriller „Seven“ mit den Schauspielern Brad Pitt und Morgan Freeman erinnern. Der Mörder ist neidisch auf das, was er nicht errungen hat in der Welt. Deshalb tötet er bestialisch.

Obgleich ich mich von diesem Verhalten scharf distanziere, bin ich dennoch nicht auszurotten. Es wird uns immer geben, so wie wir hier in diesen erlauchten Nebensälen des Hypothalamus versammelt sind: das Minderwertigkeitsgefühl, die Habsucht und mich. Spannend wird es dann, wenn es einem homo sapiens gelingt, unsere Züge ihre Runden ziehen zu lassen, ohne uns mit Kriegsgerät zu beladen.

Entschuldigen Sie dieses schiefe Bild! Doch gäbe es ohne mich Revolutionen? Eine Verbesserung der Lebensumstände? Demokratie? – Die Historie gibt mir recht, wie sie mir unrecht gibt und gesegnet sei der Mensch, der in der Lage ist, mit mir umzugehen.

Liebe Bewohner des limbischen Systems, ich befinde mich in einer ungünstigen Position: Wie verteidigt man etwas, das durch den gesunden Menschenverstand verdammt und in Kellerräume gesperrt wird? Wie verteidigt man etwas, dem man ungern Beachtung schenkt? Das einen beschämt und piesackt? Das man nicht haben will?

Ohne meinen Wirten allzu laut drohen zu wollen, sei heute vor versammelten Auditorium einmal widerspruchslos hervorgebracht: Wer mich nicht willkommen heißt, wird meinen Ausbruch spüren! – Leider, wie ich hinzufügen muss. Ich bin nicht sonderlich stolz darauf, doch ich kann mich in diesem Punkt nicht verbiegen. Für mich gilt, was bereits Paracelsus in etwas bescheidenerer Form gesagt hat: In Maßen bin ich der Held vom Feld, im Ausmaß der erste Auslöser für einen Weltkrieg.

Bevor ich mich wieder in Schweigen hülle und meinen Köcher für die nächsten Attacken fülle, möchte ich Ihnen eine letzte Frage stellen – und bitte Sie, mit sich selbst ins Gericht zu gehen. Sie müssen die Antwort ja nicht Ihrem direkten Sitznachbarn verraten.

Beruhigt es Sie, wenn einer, der es sehr weit gebracht hat, auf den Boden der Realität zurückfällt? Dann war ich zuvor bei Ihnen.

Die Schadenfreude ist meine black box, der Späher, dem nichts entgeht. Sie brauchen deshalb kein schlechtes Gewissen haben. Selbstbewusste Naturen wissen darum, sehen mich als Chance und – Sie werden staunen – als Notwendigkeit.

Es dankt für Ihre Aufmerksamkeit und grüßt sehr herzlich in die erlauchte Runde: Herr Neridius Neid, Erster Vorsitzender der Gesellschaft für freigeistige Gefühlsäußerungen e. V.

Keine Kommentare