Verdrängte Katastrophe von Fukushima

17.3.2012, 09:00 Uhr
Verdrängte Katastrophe von Fukushima

© AFP

„Japan ist ein wunderschönes Land mit tollen Menschen und einer  malerischen Landschaft.“ In Antje Wagners Worten liegt Wehmut und Traurigkeit. Denn der Anlass für ihre Reise war ein furchtbarer. Und was Wagner und ihr Parteikollege Büchler von ihrer Tour berichteten, stimmte auch die rund 30 Zuhörer nachdenklich und wütend.

„Wir haben in Fukushima viele erschütternde Sachen gesehen“, umriss Markus Büchler das Erlebte. Auf Einladung japanischer Grüner waren die beiden in das Land der aufgehenden Sonne gereist. Dabei nahmen sie auch die Gefahr durch die Strahlung in Kauf. „Es ist schon sehr beunruhigend, aber wir haben uns vorab ausführlich damit beschäftigt, welche Strahlung für uns gefährlich ist.“ Mit Mundschutz und Geigerzähler im Gepäck reisten sie an. „Wir haben versucht uns ganz normal zu verhalten, ich persönlich habe aber zum Beispiel auf Fleisch und Fisch verzichtet“, so Wagner. Letztlich hätten sie in den wenigen Stunden in der hoch verstrahlten Zone eine Strahlendosis abbekommen, die mit einem Transatlantikflug vergleichbar sei.

Durch Geisterstädte

Wagner und Büchler lernten vor Ort Betroffene kennen, die flüchten, Haus und Hof verlassen mussten. „Sie leben nun in Behelfsunterkünften und bangen um ihre Gesundheit und Existenz.“ Beim Besuch in der evakuierten Zone sahen sie beispielsweise verlassene Geisterstädte, in denen die radioaktive Strahlung so hoch sei, „dass sie wohl auf Jahrzehnte hinaus nicht abnehmen wird und dort nie wieder jemand leben“ könne.

„Es sind wirklich erschreckende Parallelen zu Tschernobyl“, erklärte Antje Wagner, die auch dort die sogenannte verbotene Zone schon einmal besucht hatte. Vor allem die schlechte Informationspolitik sei in der führenden Industrienation die gleiche gewesen, wie damals in der Ukraine. „Ich war einfach schockiert, wie mit den Menschen umgegangen wird.“ Man habe nur das zugeben, was ohnehin schon an die Öffentlichkeit gedrungen sei. „Die Bevölkerung wurde bewusst im Unklaren gelassen,  um keine Panik auszulösen, aber  auch, um zu vertuschen, wie gefährlich das Zeug eigentlich ist“, ist sich Wagner sicher.

Dass sich viele Japaner trotzdem selbst informiert und sogar protestiert haben, überraschte die Politikerin positiv: „Das entspricht so gar nicht der japanischen Kultur.“ Das Unglück habe die Menschen zum Nachdenken bewegt, so ihr Eindruck. Zumindest zum Teil. „Unglaublich für uns war, wie viele Freiwillige dort in den betroffenen Gebieten sind, um bei den Aufräumarbeiten und Säuberungsaktionen zu helfen“, schilderte Büchler. Menschen aus allen Teilen des Landes opferten ihren Urlaub und arbeiteten mit, wo sie gebraucht würden, wusste er zu berichten. „Die Menschen in den Dekontaminiertrupps, die wir gesehen haben, hatten aber nicht mal Schutzkleidung und Atemmasken an, nicht einmal Geigerzähler dabei, um zu messen, ob an der beauftragten Stelle überhaupt belastetes Material vorhanden ist oder nicht.“

Die Begegnung mit einem Mann aus dem 800 Kilometer entfernten Kobe hatte Markus Büchler besonders beeindruckt: „Als er 1996 bei dem großen Erdbeben in Kobe alles verloren hat, wurde ihm von Freiwilligen geholfen. Diese Unterstützung wolle er jetzt zurückgeben, erklärte er uns.“ Viele weitere persönliche Geschichten und Schicksale seien ihnen begegnet bei ihrer Fahrt durch ausgestorbene Städte. Menschen, die ihre Arbeit, ihr Heim verloren haben. Sie alle wollten wissen, wie es weiter gehen kann und ob sie akut gefährdet sind. Im Gegensatz zu Tschernobyl seien in Fukushima nur die engeren Sperrzonen rund um den Reaktor militärisch gesichert, erzählte Antje Wagner weiter. Die Wohngebiete, die im Sperrgebiet liegen würden, seien hingegen nur durch Warnschilder gesichert. Zwar sehe man auch hin und wieder Polizeipatrouillen, doch werde man nicht gehindert, das Gebiet zu betreten, berichtete Büchler.

Niederschmetternde Resultate

In einem dieser Wohngebiete stießen die beiden Grünen-Politiker auf eine alte Dame, die zum Todestag ihres Mannes in ihr Haus zurückgekehrt war. „Sie hat uns gebeten, in Haus und Garten die Werte zu messen“, so Wagner. Was sie dort vorfanden, vor allem Cäsium 137, sei niederschmetternd gewesen, bekannte Büchler. Rund 30 Jahre würde es dauern, bis sich allein dieser Stoff abgebaut habe. „Uns war klar, dass die Frau nie mehr in ihr Haus zurückkehren kann, aber das kann man einem Mensch nicht einfach so ins Gesicht sagen.“ Stattdessen erklärten ihr die beiden Grünen-Sprecher, dass noch nicht alle Daten vorlägen, dass man deshalb über einen genauen Zeitpunkt nichts sagen könne, sie noch Geduld haben müsse.

Die Grünen-Aktivisten sind sich sicher, dass solche Katastrophen immer wieder passieren können: „Sie werden schnell vergessen, verdrängt und nach Generationen kann man sich nicht mehr vorstellen, dass so was geschehen kann.“ Zusammen reisen sie deshalb durch Bayern und versuchen mit ihrem Erfahrungsbericht aufzuklären und die Erinnerung wach zu halten.

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