Vom Recht auf selbstbestimmtes Leben

4.9.2016, 13:00 Uhr
Vom Recht auf selbstbestimmtes Leben

© Foto: De Geare

Herr Goebel, was treibt Sie, sich dieses doch recht zeitaufwändige Ehrenamt aufzubürden?

Goebel: Ich habe ein Helfersyndrom, das mich letztlich auch in den Rollstuhl gebracht hat. Als ich bei einem Unfall helfen wollte, bin ich selbst unter die Räder gekommen. Drei Monate später ist Wolfgang Schäuble im Rollstuhl gelandet. Da dachte ich mir, jetzt wird für Behinderte etwas getan. Das ist jetzt 26 Jahre her, doch passiert ist noch zu wenig. Es krankt nach wie vor an allen Ecken und Enden. Das Amt gibt mir die Chance, zumindest auf kommunaler Ebene etwas zu bewirken. Auch in den Köpfen der Menschen muss sich noch viel bewegen.

Wie wollen Sie das schaffen?

Goebel: Zum Beispiel, indem ich anrege, Schäuble im Fernsehen nicht nur zu zeigen, wenn er schon am Rednerpodium oben ist, sondern auch, wie beschwerlich es für seine Begleiter ist, ihn die Stufen dorthin hochzubringen. Jeder Brillenträger hat eine Behinderung, aber es ist ein Unterschied, ob mich meine Behinderung einschränkt oder nicht. Der Brillenträger sieht nicht, dass der Gehsteig hängt, das fällt mir als Rollendem auf. Ich kann aus eigener Betroffenheit heraus helfen und argumentieren. Ein Veganer kann auch nicht erklären, wie ein Steak schmeckt.

Wo hakt es denn besonders?

Goebel: Das fängt bei uns vor der Ladentür an. Das auf alt gemachte Pflaster im Zentrum Langenzenns sieht toll aus. Ich roll‘ drüber, aber es gibt Rollstuhlfahrer, die bekommen bei dem Gerüttel epileptische Anfälle. Ein paar Meter weiter, an der vielbefahrenen Kreuzung von Friedrich-Ebert-Straße und Krämergasse, beobachte ich immer wieder einen Sehbehinderten mit Stock: Mangels Markierung merkt er erst, wenn er auf der Straße steht, dass er schon auf der Fahrbahn ist, dann kommen die Autos direkt an ihm vorbeigeschossen. Ich werde nachdrücklich auf solche Probleme hinweisen und versuchen, so viel wie möglich an Erleichterungen für Behinderte rauszuholen.

Was kann man tun?

Goebel: Gerade städtebaulich lässt sich viel machen. Bei jeder Baumaßnahme im öffentlichen Raum muss der Behindertenbeauftragte gehört werden. Ich sehe mir die Pläne und die Gegebenheiten vor Ort an, egal ob es um Straßenbauten, ein Wartehäuschen oder elektronische Fahrgastinformationstafeln an Haltestellen geht. Es gibt viele Stolpersteine.

Zum Beispiel?

Goebel: Bei Behindertenparkplätzen lässt sich viel falsch machen. Sie sollten so konzipiert werden, dass die Fahrertür nicht auf die Straße geht. Außerdem brauchen sie eine Absenkung im Bordstein, damit der Rollstuhlfahrer gefahrlos auf den Gehsteig kommt und nicht erst den Umweg auf der Straße bis zur nächsten Einfahrt nehmen muss. Ein sportlicher Rollstuhlfahrer schafft es über eine fünf Zentimeter hohe Kante, aber für Ältere oder weniger Kräftige, auch mit Rollator, sind selbst wenige Zentimeter ein unüberwindbares Hindernis.

Ein Dauerbrenner sind die barrierereichen Bahnhöfe im Landkreis. . .

Goebel: Sie sind ein Graus. Da bin ich dran. Viele Landkreisbürger sind in ihrer Mobilität eingeschränkt. Der Bahnhof Zirndorf braucht dringend einen Aufzug. Darüber hinaus will ich erreichen, dass an jedem Bahnhalt ein Hebewagen steht, der Rollstuhlfahrer ebenerdig ins Abteil bringt. Das ist kein immenser Kostenfaktor. Natürlich kann man als Behinderter viele Rechte einfordern, aber generell sollte doch auch die Verhältnismäßigkeit gewahrt werden.

Ist es denn verhältnismäßig, das Landratsamt Zirndorf mit einer visuellen Feueralarm-Anlage auszustatten, wenn im Monat vielleicht ein schwer Hörgeschädigter vorbeikommt?

Goebel: Ja, es dient der Sicherheit. Ich werde von zwei Bürgern regelmäßig angeschrieben, die genau deren Fehlen bemängeln. Ich find‘s nicht schlecht, dass der Landkreis jetzt prüft, eine solche Anlage einzubauen, denn die öffentliche Hand muss Vorreiter sein, um zu zeigen, dass es tatsächlich barrierefrei geht. Auch bei den Rathäusern in den Gemeinden bin ich hinterher. Selbst im neuen Rathaus von Langenzenn ist die elektronische Steuerung zur Selbstöffnung der Tür vergessen worden. Und die Tür ist sakrisch schwer. Da wird jetzt nachgebessert.

Darüber hinaus stehen Sie den 12 600 Menschen mit Behinderung im Landkreis mit Rat zur Seite. Wie groß ist der Beratungsbedarf?

Goebel: Enorm — und die Menschen, die Rat suchen, sind mit 50 bis 55 Jahren meist jünger, als man denkt. Dank des medizinischen Fortschritts werden wir immer älter. Früher oder später ist jeder auf Hilfsmittel angewiesen. Boris Becker zum Beispiel ist so alt wie ich, er hat zwei künstliche Hüftgelenke.

Was plagt die Ratsuchenden?

Goebel: Zum Beispiel die Frage, wie sie einen Behindertenausweis bekommen. Ich helfe auch bei der Suche nach einem Arbeitsplatz oder nach einer behindertengerechten Wohnung. Viele Anfragen erhalte ich zur Zeit auch von Männern, die nach einem Schlaganfall oder Herzinfarkt Probleme mit ihrem Sexualleben haben. Auch da lässt sich viel helfen. Außerdem plane ich eine App, die Freizeiteinrichtungen, Behörden, Gaststätten oder Arztpraxen auflistet, die für Gehbehinderte ohne fremde Hilfe zugänglich sind. Auch als Behinderter muss ich ein selbstständiges, eigenbestimmtes Leben führen können.

Ralf Goebel bietet jeden ersten Dienstag im Monat, 16 bis 17 Uhr, eine Sprechstunde im Landratsamt Zirndorf, Zimmer Nr. 0.38 an. Kontakt: Telefon (09 11) 97 73 17 05, E-Mail: behindertenbeauftragter@lra-fue.bayern.de

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