Vor 100 Jahren holte das Kleeblatt die Viktoria

30.5.2014, 10:46 Uhr
Originalaufnahme vom 31. Mai 1914: Der nicht ganz austrainierte SpVgg-Torhüter Hermann Polenski (rechts) beweist gutes Stellungsspiel gegen die anren­nenden Leipziger.

© NN Originalaufnahme vom 31. Mai 1914: Der nicht ganz austrainierte SpVgg-Torhüter Hermann Polenski (rechts) beweist gutes Stellungsspiel gegen die anren­nenden Leipziger.

Kleeblatt-Chronist Jürgen Schmidt, der die Ausstellung im Stadtmuseum Ludwig Erhard (Ottostraße 2,  Eröffnung am Samstag um 13 Uhr) konzipierte, blickt 100 Jahre zurück: 3:2 gewinnt die SpVgg Fürth an jenem sonnigen 31. Mai 1914 gegen den VfB Leipzig im Endspiel um die Deutsche Meisterschaft. Im ersten Jahrzehnt seines Bestehens hatte sich das Kleeblatt in die Spitzengruppe des deutschen Fußballs gespielt und sollte diesen Status noch 20 Jahre behalten.

Die Entscheidung fällt in der Verlängerung: Auf dem Sportplatz von Viktoria 96 Magdeburg ist die 154. Minute (!) angebrochen. Das blauschwarz gestreifte Baumwolltrikot klebt am schweißgebadeten Frygies Weicz. Humpelnd schleppt sich der Angreifer über den rechten Flügel, mit letzter Kraft bringt er eine Flanke am Gegenspieler vorbei nach innen.

Dort lauert der unverwüstliche Karl Franz. Als die Abwehr des VfB Leipzig den Ball nicht klärt, ist er zur Stelle, der erste große Torjäger in der Geschichte des Kleeblatts. Aus kurzer Entfernung drückt er das Leder ins Netz. 3:2 – das Spiel ist aus. Die SpVgg Fürth ist erstmals Deutscher Meister.

Doch es braust kein Orkan des Jubels unter den 6000 Besuchern auf, denn nur wenige unter ihnen sind Anhänger der Spielvereinigung. Die Nürnberger Eisenbahndirektion hatte den Fürthern keinen Sonderzug zur Verfügung gestellt. Die Mitgereisten fallen sich in die Arme – und einer von ihnen macht sich gleich auf den Weg, um in die Heimat zu telegraphieren.

Jubelstürme in der Stadt

Dort warten Hunderte von Anhängern vor dem Vereinslokal  „Langmann“ in der Königstraße, die Menge wurde im Laufe des Nachmittags immer größer. Als die Nachricht endlich eintrifft, ist der Jubel grenzenlos. Jungen auf Fahrrädern werden losgeschickt, um in der ganzen Stadt zu verkünden: „Wir sind Meister!“

Die letzten Minuten vor der Partie: Fürths Kapitän Julius Hirsch (rechts) mit Schiri Curt von Paquet und VfB-Spielführer Curt Hesse beim Losen.

Die letzten Minuten vor der Partie: Fürths Kapitän Julius Hirsch (rechts) mit Schiri Curt von Paquet und VfB-Spielführer Curt Hesse beim Losen. © NN

Am nächsten Tag, Pfingstmontag, säumen Zehntausende die Straßen und jubeln der siegreichen Mannschaft zu auf ihrem Weg vom Bahnhof in den Geismannsaal.

Elf Jahre nach ihrer Gründung hat sich die SpVgg Fürth zum ersten Mal die Viktoria, den Wanderpokal des DFB, geholt. Elf Jahre, in denen sich das Kleeblatt von einer Abteilung des TV 1860 mit einer Handvoll Mitgliedern zum besten deutschen Fußballverein entwickelt hat. Mit dem größten Sportgelände des Deutschen Reichs und dem höchsten Mitgliederstand aller Klubs. Die in der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts gewachsene und nun wohlhabende Stadt stellte dem Verein Kapital zur Verfügung. Der moderne Sportpark brachte seit 1910 Zuschauereinnahmen in bis dato nie gekannter Höhe.

Mit Trainer Townley auf die Erfolgsspur

Drei Mal in Folge hatte die SpVgg seit 1912 die Ostkreismeisterschaft, also die Bayerische Liga, gewonnen. 1914 gelang erstmals die Süddeutsche Meisterschaft und die Qualifikation zur DM-Endrunde. Die 12.000 Zuschauer beim 4:3 im Halbfinale gegen den Berliner BBC im Ronhof stellten einen Rekordbesuch für ein Fußballspiel in Süddeutschland dar.

Schon 1911 hatte sich die SpVgg den hochbezahlten englischen Berufstrainer William Townley geleistet. Der krempelte den Klub um, führte die Jugendförderung ein, vereinheitlichte die Trainingspläne aller Mannschaften und formte die SpVgg zum fußballerisch besten deutschen Team.

Meinungsverschiedenheiten zwischen Townley und einigen Spielern führten zwar dazu, dass der Coach Ende 1913 seinen Vertrag auflöste. Doch der Erfolgszug rollte ohne ihn weiter, mit Nationalspieler Karl Burger als Spielertrainer, der Townleys Spielidee einfach fortsetzte: Neuartiges Pass-Spiel, zuvor ungekannte Positionswechsel sowie überlegene Kondition waren revolutionär.

Kriegsopfer Franz

Eigengewächse wie Karl Franz und Sebastian Seidel und Verstärkungen wie Julius Hirsch aus Karlsruhe und der ungarische Nationalstürmer Frygies Weicz aus Frankfurt bildeten ein Team, das in den nächsten Jahren noch mehr Erfolge hätte feiern können, wenn der erste Weltkrieg ihre Ära nicht beendet hätte, bevor sie begann. Hans Jacob, Franz, Weicz und Seidel fielen im Krieg. Franz, der in 57 Spielen 50 Treffer erzielt hatte, war eines der ersten Fürther Opfer überhaupt: Am 4. September 1914 starb er in Lothringen.

Die zweite Generation des Kleeblatts – mit Jahrhundert-Torjäger „Resi“ Franz (387 Tore), der jüngere Bruder Karls, dem harten Hans Hagen sowie Spielmacher Lony Seiderer – stürmt 1920, als wieder eine Meisterschaft ausgespielt wird, ins Endspiel und unterliegt dem 1. FCN 0:2. Bis in die frühen 30er Jahre reicht die große Ära der SpVgg Fürth mit den Titeln von 1926 und 1929, begründet von den Meistern 1914.

Die Ausstellung im Stadtmuseum, Ludwig Erhard Ottostraße 2,  wird am Samstag um 13 Uhr eröffnet.

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