Was heißt es, eine Stadt zu sein?

21.11.2018, 17:15 Uhr
Was heißt es, eine Stadt zu sein?

© F.: Hans-Joachim Winckler

Er ist der große Wiederentdeckte des Jahres 2018. Mit seinem Zentralwerk, der lange Zeit als unspielbarer Abonnentenschreck geltenden Oper "Die Soldaten", würdigte die Nachbarstadt Bernd Alois Zimmermann erst kürzlich in einer herausragenden (und übrigens tumultfrei rezipierten) Staatstheater-Produktion. Werke wie "Stille und Umkehr" und die "Sinfonie in einem Satz" wurden in Berlin dieser Tage für festwochenwürdig befunden. Auch den Fürther Kirchenmusiktagen steht es vorzüglich zu Gesicht, ihr Programmprofil um die Farbe Zimmermann zu erweitern.

"Ekklesiastische Aktion" ist der spröde Titel des Konzerts, zugleich der Untertitel der letzten Komposition des 1970 gestorbenen Kölners, der sich wie kaum ein anderer — und deshalb auch angefeindet wie kaum ein anderer — dem größten Problem eines Musikers nach dem Krieg stellte: die "Form" nach dem Zusammenbruch aller Formen neu zu definieren.

"Ich wandte mich und sah an alles Unrecht, das geschah unter der Sonne" vollendete der 62-Jährige fünf Tage vor seinem Freitod. Zimmermann verbindet Bibeltexte aus dem Buch "Ecclesiasticus" des Predigers Salomo mit einer "Phantasie" aus dem Dostojewskij-Roman "Die Brüder Karamasow". Dort kommt Jesus im 16. Jahrhundert zurück auf die Erde, wo ihn der Großinquisitor in den Kerker wirft und ihm jedes Recht abspricht, sich in die Belange der Kirche einzumischen. "Die Musik ist voller intimer, feiner Stellen", schwärmt KMD Ingeborg Schilffarth, die die beiden Sprecher mit zwei Sängern (Sibrand Basa, Daniel Dropulja) besetzt und den Gesangspart in die Hände von Matthias Horn legt — der im Vorjahr in Berlin unter Sir Simon Rattle debütierte, an der Seite von Altistin Maria van Eldik, die in St. Michael solistisch in Leonard Bernsteins Chichester Psalms aus dem Jahr 1965 unterwegs sein wird.

"Umbrüche anno 18" ist das Motto dieser Kirchenmusiktage, doch mit der Aufführung von Werken zweier 1918 geborener Komponisten bezweckt Schilffarth mehr: "Mich hat die Idee gereizt, zum Stadtjubiläum die Frage zu stellen: Was heißt es, eine Stadt und eine Stadtgesellschaft zu sein?" Der Blick geht in die Vergangenheit — zur Lamentation aus Bernsteins "Jeremiah"-Symphonie — und in die Zukunft, für die Bernsteins vertonte Utopie aus Psalm 131 steht: "Siehe, wie fein und lieblich ist’s, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen!" Eine Utopie, "die wir vielleicht nicht einlösen können", so die Dirigentin und Michaelskantorin, "doch jeder kann etwas tun. Der Frage nach der Verantwortung des Menschen in der Gesellschaft müssen wir uns stellen." Im Einsatz sind außerdem Mezzosopran Solgerd Isalv, Mitglieder der Staatsphilharmonie Nürnberg und die Fänkische Kantorei.

Als "Ruhe– und Gegenpole" erklingen zwei Werke des Fürther Komponisten Johannes Brinkmann. Philharmoniker-Solist Jörg Krämer wagt den 2015 entstandenen tollkühnen "Spagat neben der Klippe", und zur Uraufführung gelangt das Streichsextett "Hexapoda — Irreale Sequenzen", zu dem Brinkmann ein Radiofeature über das Verschwinden der Insekten und ein dort immer wiederkehrendes rhythmisches Motiv inspirierte. Das Stichwort "Verantwortung", auch hier steht es also im Raum, den ein Philharmoniker-Sextett mit neuen Klängen zum Glühen bringen wird.

"Ekklesiastische Aktion": Freitag, 19.30 Uhr, St. Michael (Kirchenplatz). Karten an der Abendkasse.

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