Wenn Neubauten im Zentrum für Unmut sorgen

18.1.2017, 06:00 Uhr
Wenn Neubauten im Zentrum für Unmut sorgen

© dpa

Der Landkreis, Herr Lohse, ist noch immer Zuzugsregion. Werden Neubaugebiete vermarktet, wie jüngst etwa in Großhabersdorf oder Wilhermsdorf, gehen die Grundstücke weg wie warme Semmeln. Schlagen da nicht zwei Herzen in Ihrer Brust?

Tilmann Lohse: Durchaus, obwohl wir ein gesundes, moderates Wachstum haben. Aus fachlichen Gründen würde ich mir wünschen, dass sich die Gemeinden noch stärker auf die Vitalität ihrer Innenorte fokussieren. Denn Neubaugebiete am Rand verbrauchen nicht nur Fläche und sind vom Altort oft abgekoppelt, sie sind ein Stück weit auch kontraproduktiv für die Entwicklung der Zentren sowie für die Integration der Neubürger.

 

Als flächenkleinster Landkreis Bayerns kann das Fürther Land nicht immer weiter auf Neubaugebiete setzen. Wie sehen Sie die Möglichkeiten der Verdichtung in den Innenorten?

Lohse: Das ist eine gute Chance, aber kein Allheilmittel. Spontan fällt mir der Obermichelbacher Ortsteil Rothenberg ein, sehr beliebt wegen der Wohnlage. Aber die Frage lautet: Wer kann sich die großen Grundstücke dort in Zukunft noch leisten, ohne dass ein zweites Haus drauf steht? Hier plädiere ich dafür, Rothenberg im Sinne einer Nachverdichtung behutsam zu überplanen. Ein weiteres Beispiel ist die Siedlung Stein-Deutenbach: In den 1960er und 70er Jahren war das mit einer Mischung aus Mehr- und Einfamilienhäusern, Versorgungs- und Gemeinschaftseinrichtungen kein schlechtes Konzept. Aber inzwischen ist es in die Jahre gekommen und muss den heutigen Anforderungen angepasst werden. Generell meine ich, muss man beides im Fokus haben – den Innenort und die Ränder.

 

Besteht bereits ein Bebauungsplan, ist die Nachverdichtung oft einfacher zu bewerkstelligen als ohne. Trotzdem ist in vielen Landkreis-Kommunen vielleicht gerade einmal die Hälfte der Gemeindefläche überplant. Woher kommt das?

Wenn Neubauten im Zentrum für Unmut sorgen

© Foto: Schuster

Lohse: Das Instrument des Bebauungsplans hat auf dem Land erst ab Mitte der 1970er Jahre an Bedeutung gewonnen. Vorher gab es große, zum Teil auch öffentliche Bauträger wie Post oder Bahn, die mit einem Konzept auf die Gemeinden zugegangen sind und gesagt haben: Den Acker hätten wir gerne und so soll unsere Siedlung aussehen. In den Rathäusern sah man sich die Pläne an und hat gesagt: In Ordnung, damit können wir leben. Heute ist dafür ein umfangreiches Bauleitplanverfahren erforderlich, in dem alle Interessen berücksichtigt werden müssen.

 

Wenn aber heute in solchen Gebieten Nachverdichtungen anstehen, werden Vorhaben nach dem Paragrafen 34 Baugesetzbuch beurteilt. Und das sorgt für Ärger – Kritiker sprechen von einem „Gummi-Paragrafen“.

Lohse: Der Paragraf 34 regelt weniger konkret, er lässt viel mehr Freiheiten zu als ein Bebauungsplan – auch viel mehr Freiheiten, Fehler zu machen. Durch einen Bebauungsplan kann die Kommune die Entwicklung steuern. Dabei muss sie auch überlegen, wie viel Freiheit sie dem einzelnen Bauherrn zugestehen will und wie viel fachliche Ordnung sie vorgibt. Es gibt Bauherren, die träumen vom Toskanahaus, andere vom Bauhausstil oder vom Haus mit Pultdach. Das ist ein bunter Mix, entsprechend beliebig sehen viele Baugebiete auch aus. Feststellen kann ich außerdem: Für Reihenhäuser gibt es momentan im Landkreis fast keine Nachfrage, selbst Doppelhäuser sind schwierig. Die Leute kommen überwiegend wegen eines Einfamilienhauses.

 

Der Paragraf 34 sorgt, beispielsweise in Oberasbach, immer wieder für Spannungen zwischen dem Stadtrat und der Bauabteilung des Landratsamtes. Bauprojekte, die die Kommunalpolitiker ablehnen, werden von Ihren Mitarbeitern genehmigt. Wie ist das zu erklären?

Lohse: Zunächst einmal muss man die Rollen betrachten: Die Gemeinden geben eine städtebauliche Stellungnahme zu einem Bauvorhaben ab. Die Baugenehmigung erteilt jedoch das staatliche Landratsamt, dabei müssen wir nach Gesetzen und einheitlichen Grundsätzen entscheiden. Die gewählten Stadträte repräsentieren die Bevölkerung, sie sind in der Regel aber keine Bauexperten und müssen sich auf die Einschätzung ihrer kommunalen Bauämter verlassen. In Einzelfällen kann es zu unterschiedlichen Auffassungen kommen. Dann müssen gemeinsam Lösungen gefunden werden.

 

Ein Bauvorhaben muss sich „in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen“, sagt der Paragraf 34. Politiker vor Ort meinen oft, sie würden das für ihre Heimatgemeinde viel besser beurteilen können als das Landratsamt.

Lohse: Dem kann ich so nicht zustimmen. Meine Mitarbeiter und ich machen uns immer ein Bild vor Ort. Häufig sind Wohngebiete sehr heterogen. Und dann ist die Frage: Wo genau endet der Umgriff für „die Eigenart der Umgebung“? Die Grenzen gehen hier oft über die direkten Nachbarn hinaus, dadurch kann innerhalb eines Quartiers mehr zugelassen werden. Beratung wird bei uns groß geschrieben. Oft besprechen wir Vorhaben im Vorfeld mit Bauherren, Planern und den kommunalen Bauamtskollegen. Mir ist besonders wichtig, dass wir nicht in einem Fall so und im anderen anders entscheiden. Ein einheitlicher Beurteilungsmaßstab im Landkreis muss gewahrt bleiben.

 

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