Wilhermsdorfs Geschichte: Wertschätzung und brutale Gewalt

19.5.2017, 06:00 Uhr
Wilhermsdorfs Geschichte: Wertschätzung und brutale Gewalt

© F.: Fiedler

"Je mehr ich mich mit dem Thema beschäftige, desto mehr könnte ich erzählen. Es ist so unendlich viel bei uns passiert." Robert Hollenbacher hat in Dokumenten des Staatsarchivs in Nürnberg gestöbert, hat aber auch über die Jahre Erzählungen von Zeitzeugen zusammengetragen. Zeitzeugen, das sind natürlich in der Mehrheit die christlichen Wilhermsdorfer, denn von den in der Blütezeit der Ansiedlung 210 Menschen jüdischen Glaubens ist kein Einziger in Wilhermsdorf geblieben.

Hollenbacher wird im Lauf des Abends auch darstellen, wie sie vertrieben wurden, und er wird berichten müssen, dass über 40 der Wilhermsdorfer Juden nachweislich in den Konzentrationslagern der Nazis ermordet wurden.

Er wird auch deutlich machen, dass junge Wilhermsdorfer Männer in der Pogromnacht, entfesselt von jeglicher zivilisatorischer Moral, zuschlagen, zerstören und verletzen werden.

Emmi Wallmüller habe ihm noch erzählt, so Hollenbacher, wie die kleine Jenny Michelsohn in Panik geschrien habe, als ihr Vater, der angesehene und beliebte Pinselfabrikant Jakob Michelsohn, malträtiert wurde. Michelsohn hatte wie viele Juden verkannt, was die Naziherrschaft und die von ihnen beschlossenen Rassegesetze bedeuten würden: "Mir tut doch keiner was."

Doch der Vortrag widmet sich auch dem Zusammenleben, denn die Wilhermsdorfer Juden haben Haus an Haus mit den christlichen Einwohnern gelebt. Und tatsächlich hört man den einen oder anderen Kommentar aus der Zuhörerschaft, wenn Hollenbacher anhand alter Karten und Fotos zeigt, wo die Michelsohns, die Uhlfelders, die Keiners oder Neuburgers gelebt haben.

Guter Arbeitgeber

Wo heute die Sparkasse Geld verwaltet, waren die Grünbaums und die Lammfromms zuhause. Das Schnittwarengeschäft der angesehenen Familie Neuburger befand sich im Judentor, das 1965 abgerissen wurde. "In der Bahnhofstraße, am Marktplatz in der Hauptstraße, an der Steig, überall gab es jüdische Wohnhäuser", beschreibt Hollenbacher die Besiedelung und widmet auch den Traditionen und religiösen Riten die eine oder andere Anekdote. Denn am Pessach- und am Laubhüttenfest fiel auch für die christlichen Kinder etwas ab: Matzen bekamen sie geschenkt oder andere Leckereien aus der jüdischen Küche. Überhaupt gebe es viele Hinweise auf die Großzügigkeit der jüdischen Familien. Beim Michelsohn habe man gern gearbeitet. Das Arbeitsleben in der international liefernden Pinselfabrik wurde als äußerst fair beschrieben, zitiert Hollenbacher.

Und die Schnittwarenhändler Neuburger haben das eine oder andere Stück Stoff verschenkt oder billiger abgegeben, wenn es dem Wilhermsdorfer Käufer an Geld mangelte. Gunda und Hans Popp waren die Nachbarskinder des Viehhändlers Meinhardt. Sie waren häufig zum Essen eingeladen, das Frau Meinhardt mit blütenweißer Schürze und schön gestecktem Haar servierte. "Denn in jüdischen Gärten", hat Robert Hollenbacher erfahren, "gab es Spargel und große Erdbeeren, während die anderen Wilhermsdorfer nur die aus dem Wald kannten."

"Unsere jüdischen Nachbarn waren hochdekorierte Soldaten, angesehene und engagierte Bürger und werden oft als solide Händler beschrieben, die keinen schädigten", Robert Hollenbachers Zusammenfassung über das Zusammenleben fällt sehr positiv aus.

Das Entsetzen darüber, dass diese Menschen, die für die "Perle im Zenngrund" eine Bereicherung waren, ausgemerzt und vertrieben wurden, ist den Zuhörern anzumerken.

Hollenbacher kann auch einzelne Fluchtwege darstellen. So sei Benno Neuburger von einer Handelsreise nach Belgien nicht mehr zurückgekehrt, Frau und Kinder seien ihm gefolgt. Auf der Flucht wurde Frau Neuburger getötet, trotz schwerer Schussverletzungen hätten es die Töchter noch in die USA geschafft.

Hollenbacher hat eine Todesanzeige für das Ehepaar Max und Ricka Michelsohn gefunden. Sie waren Verwandte des Fabrikanten Jakob Michelsohn. Die mittlerweile in den USA lebenden Töchter hatten sie aufgegeben: "Nach Jahren banger Ungewissheit", beginnt die Anzeige und macht damit deutlich, dass die mittlerweile erwachsenen Frauen von der Ermordung ihrer Eltern in einem Konzentrationslager bei Riga erst Jahre später erfuhren.

600 Jahre

Hollenbachers Vortrag endet mit der Abbildung eines Zeitungsartikels vom 21. Oktober 1938. Da wird getitelt: "Markt Wilhermsdorf frei von Juden." Der Text ist an Häme und Perfidie nicht zu überbieten. Für Hollenbacher endet damit die reiche und 600 Jahre währende Geschichte des Wilhermsdorfer Judentums.

Die Vorsitzende des Heimatvereins, Irmhilde Weißfloch, zeigt sich fassunglos: "Was Menschen den Menschen antun können." Mit Vorträgen wie diesen und Führungen auf dem jüdischen Friedhof wolle der Heimatverein deshalb an unsere jüdischen Mitbürger erinnern, betont Weißfloch.

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