Wurde Roßtal einst von einem Vampir heimgesucht?

30.11.2018, 05:49 Uhr
Wurde Roßtal einst von einem Vampir heimgesucht?

© Archivfoto: Kögler

Vielleicht machte Robert Leyh 1988 den Fund seines Lebens. Er grub mit einem Team von freiwilligen Helfern in Roßtal ein Skelett an der alten Richtstätte aus. In nur 60 Zentimetern Tiefe entdeckten sie Knochen eines Menschen.

Die skurrilen Besonderheiten ließen die Ausgräber schaudern: Der Lendenwirbelansatz lag genau im Kreismittelpunkt der ummauerten Hinrichtungsstätte, dem sogenannten Rabenstein, und zwar in exakter West-Ost-Richtung. Das Knochengerüst war, ausgenommen eine Hand, vollständig und auf ein entrindetes Eichenbrett festgenagelt. Drei Nägel befanden sich noch zwischen den Knochen der Lenden- und Halswirbel sowie des Kiefers. Der Kopf war abgetrennt und zwischen den Füßen platziert. Der Halsrumpf war an der Stelle, an der der Person der Kopf abgeschlagen worden war, mit Pech verschlossen worden, außerdem steckten darin stark verkohlte Tonscherben. Seit Jahrzehnten beschäftigt sich Leyh, der frühere wissenschaftliche Leiter des Kriminalmuseums Rothenburg, auf verschiedenste Weisen mit diesen menschlichen Überresten. Heute ist er überzeugt, die wahren Gründe für den Tod und das Bestattungsritual zu kennen — es ist der Vampir von Roßtal.

Wurde Roßtal einst von einem Vampir heimgesucht?

© Repro: Hans Joachim Winckler

Ein wissenschaftliches Buch dazu will der Kunst- und Kriminalhistoriker gemeinsam mit seinem Kollegen Wolfgang Oppelt in Kürze veröffentlichen. Ausdrücklich betont er: "Es soll keine Dracula-Geschichte werden."

Vor 30 Jahren war Robert Leyh als Archivar bei der Marktgemeinde Roßtal beschäftigt, als ihn der damalige Bürgermeister Karl Schubert auf den Rabenstein aufmerksam machte. Eine luftarchäologische Aufnahme brachte den Hinweis auf eine ungewöhnliche Bodenverfärbung und die Grabung begann.

Mann oder Frau?

Zunächst war das Team davon ausgegangen, dass es sich bei dem Hingerichteten um einen Mann handelte. Doch bei einer späteren Untersuchung stellte sich heraus, dass das Skelett auch viele weibliche Merkmale aufwies. Leyh ist heute überzeugt, dass es sich um einen sehr weiblichen Mann, womöglich einen genetischen Zwitter handelte. Bestätigen könnte das allerdings nur eine Analyse der DNA.

In Roßtal glaubt man hingegen, dass es das Skelett einer hingerichteten Kindsmörderin ist, die am Richtplatz vergraben wurde. Einen echten Beleg dafür gibt es allerdings nicht. "Mit einer Kindsmörderin hätte man sich eine solche Mühe nicht gemacht", stellt Leyh fest. Alle Literatur weise darauf hin, dass solche "Sünderinnen" beim Richtplatz verscharrt wurden, ohne die heute grausam erscheinden Details, die die menschlichen Überreste aus Roßtal aufweisen.

Todesangst der Zeitgenossen

"Die Menschen damals hatten Todesangst vor dem Hingerichteten", sagt er. Sie hätten unter allen Umständen vermeiden wollen, dass er zu einem Wiedergänger oder eben Vampir wird, der den Lebenden schadet. Der Aberglaube an dämonische Wesen war vor über 300 Jahren noch weit verbreitet.

Hier widerspricht Robert Leyh der Archäologe und Kreisheimatpfleger Thomas Liebert. Aus den Archiven ist Liebert ein Fall aus Leutershausen bekannt, dort wurde eine Kindsmörderin genau auf diese Art und Weise direkt an der Richtstätte "verlocht", wie es in der Fachsprache der Archäologen heißt. Dennoch bleibt es eine Mutmaßung, ob es sich bei der Hingerichteten aus Roßtal tatsächlich um eine Frau handelte, die ihr Kind getötet hat. Kindsmörderinnen, die in Cadolzburg hingerichtet wurden, argumentiert hingegen Leyh wurden, wie Quellen belegen, nur "tief eingescharret".

Wenig verbürgt

Alte Gerichtsakten aus dem Rentamt Roßtal existieren zwar auch aus der betreffenden Zeitspanne, doch sie geben keine konkreten Hinweise. In allen Fällen, in denen die Todesstrafe verhängt wurde, wurden nämlich weder Namen noch Delikt genannt. Nur die Kosten, die für die Hinrichtung anfielen, sind verzeichnet.

Viele Fragen müssen offen bleiben, räumt Liebert ein. Dazu gehören nicht nur die Identität der Person und ihr Delikt, sondern beispielsweise auch, weshalb Nägel in der Grube lagen. Waren sie vielleicht nur zufällig da? Liebert meint, sie wären zu kurz, um eine Leiche auf einem Brett zu fixieren. Aus heutiger Sicht, sagt Liebert, sei die Grabung von 1988 nicht ausreichend dokumentiert. Es sei wohl auch dem damaligen großen Zeitdruck geschuldet gewesen, denn der Landwirt habe die Fläche zügig umpflügen wollen.

"Skelett beim Sonnenbaden"

Sehr kritisch sieht Robert Leyh die aktuelle Präsentation des Skeletts im Roßtaler Heimatmuseum. Nicht nur dass jeder Hinweis auf ihn als Finder und das damalige Grabungsteam fehle, die Darstellung entspreche in keinster Weise der Fundsituation: "Sie haben das Skelett drapiert, als wäre es beim Sonnenbaden am Strand verstorben." Nicht zuletzt ärgert sich Leyh über das in die Vitrine gelegte Kinderskelett, das mit dem Knochenfunden aus der Richtstätte überhaupt nichts zu tun hat.

Letzteres unterstreicht auch Liebert: "Ich bin damit nicht zufrieden." Über eine neue Präsentation müsse man nachdenken.

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