Zerbrechlich ist das Glück, tröstend sind die Stimmen

11.11.2017, 16:41 Uhr
Zerbrechlich ist das Glück, tröstend sind die Stimmen

© Foto: Tim Händel

Es sind sehr traurige Gedichte, die der armenische Priester und Dichter Mkrtich Naghash im 15. Jahrhundert verfasst hatte. Frau tot, Kirche kaputt, aus der Heimat vertrieben, das Vertrauen in die Mitmenschen zerstört — was bleibt da noch? Eigentlich nur die Erkenntnis, dass das Glück flüchtig, das Leben zerbrechlich ist. Und das Vertrauen darauf, dass Gott schon alles recht bedacht hat. Und die wahre Heimat sowieso im Himmel verheißen ist.

Die Verse, die John Hodian, Amerikaner mit armenischen Wurzeln, vertont hat, sind auf den ersten Blick ein willkommener Beitrag zur Flüchtlingsdiskussion. Tatsächlich aber wurzeln diese Texte tiefer, sie zielen auf die Unbehaustheit des Menschen, der "auf Erden keine bleibende Stadt hat", wie es in der Bibel heißt. Es ist der Vanitas-Gedanke, den schon der Prediger Salomo ausformulierte und den die bildende Kunst gern in Stillleben mit überreifen Früchten, verlöschten Kerzen und grinsendem Totenschädel immer wieder inszeniert hat.

Musikalisch findet sich der Gedanke in der geistlichen Literatur. Oder bei Schuberts und Brahms’ Klavierliedern, dort aufgeladen mit romantischer Sehnsucht. John Hodian geht einen anderen Weg. Zwar nimmt auch er am Konzertflügel Platz, dem Instrument bürgerlich-abendländischer Musikkultur schlechthin, doch er begnügt sich mit zarten Phrasen, Einleitungen und Übergängen. Desgleichen die Instrumente der armenischen Volksmusik, die Trommel Dhol, die lautenartige Oud und vor allem die Flöte Duduk, die sehr tiefe gedämpfte Töne von sich gibt.

Die Hauptarbeit aber leisten die Sängerinnen Tatevik Movsesyan, Hasmik Baghdasaryan und Arpine Ter-Petrosyan. Ein Trio, das zwei Soprane mit einer Altstimme kombiniert, singt, nein: zelebriert die armenischen Gesänge, die zuvor auf Deutsch rezitiert werden, zu einem überaus ergreifenden Gesang, der sich nicht in lauter Klage, sondern in wehmütigem Lobpreis äußert. Alle Stimmen gehen stets neue wechselseitige Kombinationen ein, singen selten unisono, sondern überlagern einander, und wenn zu zwei Stimmen die dritte stößt, beginnt die erste Sängerin bereits kanonartig die neue Zeile im Lied.

Zum hypnotischen Effekt trägt auch die sparsame, aber effektive Gestikulation der Sängerinnen bei, deren Hände streichelnde Bewegungen vollführen und gewissermaßen das Innerste der Seele darbieten.

Ein ergreifender Abend, der trotz seiner düsteren Thematik den Hörer nicht hinunterzieht, sondern tröstet, und der versichert, dass die Gnade schon längst da ist und einem nicht mehr von der Seite weicht. In diesem Sinne ist die Musik des Naghash-Ensembles noch weit transzendierender als die Verse ihres Namensgebers.

Verwandte Themen


Keine Kommentare