Zum Rückwärtstag: Immer schön den Fersen nach!

31.1.2015, 16:00 Uhr
Zum Rückwärtstag: Immer schön den Fersen nach!

© Archivfoto: Marijan Murat/dpa

Retrorunner nennen sich Sportler, die etwas an sich Simples tun: Sie rennen, nur eben mit den Fersen und dem Rücken voran, während Blick und Zehen „nach hinten“ zeigen. Ausgeübt wird die Disziplin sicherheitshalber auf der Tartanbahn, wo der Blick auf die weiße Linie hilfloses Mäandern verhindert und wo hoffentlich kein Ball oder Turnschuh im Weg herumlungert. Eine andere Trainingsmethode ist das paarweise Laufen, bei dem der Vorwärtsläufer dem Rückwärtsläufer den Weg weist.

Die Profi-Szene ist klein, richtet aber Wettkämpfe bis hin zu Weltmeisterschaften aus. 2011 fanden von der Öffentlichkeit kaum bemerkt in Fürth (!) die Europameisterschaften statt. Retrorunner-Weltmeister Roland Wegner, früher beim LAC Quelle Fürth, schwört übrigens auf den befremdlich anmutenden Bewegungsablauf, auch wenn er „ein bisschen komisch“ aussieht, wie er einmal in einem Interview gesagt hat. Denn: Die Knie würden beim Retrorunning entlastet, Hüft- und Wirbelsäulenmuskulatur hingegen stärker trainiert und somit gekräftigt. (Im Video: Rückwärtsläufer Roland Wegner im Duell gegen Autos)

Und Letzteres tue gerade Büromenschen gut. In der amerikanischen Sportwissenschaft, heißt es bei Wikipedia, werde der Rückwärtslauf als unkonventionelles Rehawerkzeug nach Operationen an Kreuzbändern oder Achillessehnen angesehen. Man darf halt nicht stolpern.

Claudia Meier-Niklis (46) leitet die Grundschule am Kirchenplatz, und dort geht es in der Regel vorwärts: von Klasse eins zu Klasse zwei zu. . . Klarer Fall: Ausnahmen bestätigen die Regel. Und das gilt auch fürs Schreiben. Gelehrt wird dieses selbstverständlich pflichtgemäß von links nach rechts, doch büxt der ein oder andere ABC-Schütze aus dieser Ordnung aus und schreibt — von rechts nach links, gerade so, als ob er es mit arabischer Schrift und nicht mit lateinischer zu tun hätte.

Das Ergebnis sind „Schlangensätze“. Sie entstehen, wenn das Heft zu schmal für die Botschaft ist. Das Kind macht am Zeilenende eine Kehrtwende, eine Art U-Turn, und vollendet den Satz ein Stückchen höher oder tiefer. Die Schulleiterin unterstellt eine „ganz praktische“ Herangehensweise. Als Lehrkraft müsse man nachher halt umdenken und rückwärts lesen. „Aber wer erste und zweite Klassen unterrichtet, ist schon geübt im Entziffern.“ Für die Eltern der Kreativ-Schreiber besteht im Übrigen kein Grund zur Sorge: „Wir sehen das als Entwicklungsschritt.“

Götz Döhler hat ebenfalls Tag für Tag mit Schülern zu tun und weiß um die Crux des Richtungswechsels. Der 40-Jährige ist Mitinhaber der Fürther Fahrschule Drive Zone, und beobachtet, dass gerade Fahranfänger beim Rückwärtsparken „oft richtig verpeilt“ sind: „Die haben dieses Kopfdenken, da kommt nix aus dem Bauch raus, und dann drehen sie das Lenkrad links- statt rechtsrum und fahren praktisch aus der Parklücke raus, in die sie doch reinwollen.“

Hier also noch einmal Döhlers Anleitung fürs Rückwärtsparken, und zwar Schritt für Schritt:

1. Verkehr absichern. Das heißt: Blick in den Rückspiegel, schauen, was hinter einem los ist.

2. Rechts blinken.

3. In Höhe des späteren Vordermanns anhalten.

4. Rückwärtsgang einlegen.

5. Kopfdrehung und Blick durch die Heckscheibe: Hinten alles frei? Kommt kein anderes Auto? Motorrad? Fahrrad?

6. LAANGSAAM losfahren, mit Tastgeschwindigkeit und dabei nach RECHTS lenken!

7. Zum Abschluss kurz nach links lenken, um das Fahrzeug in die Parklücke zu ziehen.

Frauen, sagt Götz Döhler übrigens, stellen sich entgegen landläufiger und sich hartnäckig haltender Meinung beim Rückwärtsparken „nicht schlechter an als Männer“.

Die Rolle rückwärts? „Die kriegen viele Kinder heutzutage eigentlich ohne größere Schwierigkeiten hin“, sagt Matthias Kamm, Sportlehrer am Heinrich-Schliemann-Gymnasium und selbst begeisterter Turner. Zumindest macht der 36-Jährige diese Erfahrung in seinen Sportstunden.

Sein Vater, der in Veitsbronn viele Jahre lang ebenfalls Sport unterrichtet hat, räumt Kamm junior ein, sehe das allerdings ein wenig anders. Nach der Beobachtung von Manfred Kamm waren die Kinder früher beweglicher und brauchten weniger Hilfestellung für Rolle und Purzelbaum, vor- oder rückwärts, als heute.

Für die Rolle rückwärts muss man den Mut haben, sich fallen zu lassen, erklärt Matthias Kamm. Schließlich gehe die Bewegung gegen die Blickrichtung. Und rein technisch erfordere die Übung „ein Mindestmaß an Kraft, weil man eine kurze Armstützphase braucht, um den Nacken zu entlasten.“

Mit dem Üben der Rolle rückwärts sollten Kinder laut Kamm im Alter von etwa sechs Jahren anfangen. Ausgangsstellung dafür ist die Hocke, die Hände am Kopf, Handflächen gestreckt, Fingerspitzen zeigen nach hinten. Dann bringt man den Körper in Schwung und los geht’s.

Als Monika Götz die Schulbank drückte, musste sie noch Stunde um Stunde stillsitzen. Heute leitet die 51-Jährige die Grund- und Mittelschule in der Schwabacher Straße, und dort ist, wie an vielen anderen Schulen auch, Bewegung längst Teil der Pädagogik. Für die Rückwärtsbewegung gilt das sogar in besonderer Weise. Von der Rektorin stammt die Aussage, „gerade beim Rechnen helfen den Kindern Übungen wie das Rückwärtslaufen sehr“.

Wie meinen Sie das, Frau Götz?

„Es geht darum, Lerninhalte an Bewegung zu koppeln und damit einprägsam zu vermitteln. Nehmen wir das Subtrahieren. Die Kinder müssen ja beim Minusrechnen rückwärts denken. Dabei ist der Zehnerübergang eine besondere Hürde. Das machen Kollegen erlebbar, indem sie im Klassenzimmer einen Zahlenstrahl auslegen, auf dem Erst- oder Zweitklässler rückwärts entlanglaufen. Sagen wir mal, die Rechenaufgabe lautet: 23 minus sieben. Sie müssen sich vorstellen, das Kind steht auf einer Karte mit der Zahl 23 und bewegt sich nun Schritt für Schritt zurück. Bei der 20 muss es über einen Schuhkarton steigen, eine kleine Hürde nehmen, dann läuft es ungehindert weiter.

Es kommt auch vor, dass wir die Schüler beim Einmaleins-Training treppauf und treppab laufen lassen. Beim Vierer-Einmaleins beispielsweise liegt auf der ersten Stufe ein Kärtchen mit der Zahl vier, auf der zweiten eins mit der Acht, auf der dritten eins mit der Zwölf. . . Die Schüler steigen hinauf, sprechen die Aufgabe zu jeder Zahl und wenn sie oben angelangt sind, gehen sie — man sollte das Einmaleins ja auch rückwärts beherrschen — die Treppe rückwärts wieder herunter, natürlich mit der Hand am Geländer.“

Und mit solchen Methoden werden aus den Kindern Mathe-Genies?

„Naja, das vielleicht nicht. Aber: Die Bewegung schleift die Muster ein, und das — das besagen auch Studien — hilft beim Lernen enorm.“

Tut rückwärts also wirklich immer gut?

Hollywood-Schauspieler Bill Murray würde sicher heftig widersprechen. Im Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“ spielt er den armen Tropf, der wegen seines abgrundtiefen Zynismus’ ein und denselben Tag immer wieder von vorn erleben muss. Der amerikanische Murmeltiertag, an dem die Story spielt und der dem Film den Namen gab, wird übrigens – wie es der Zufall so will – an diesem Montag begangen. Vorsicht also vor allzu viel Zynismus.

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