Zum Teil entfesselt

18.9.2017, 10:00 Uhr
Zum Teil entfesselt
Zum Teil entfesselt

© Fotos: Martin Bartmann

Gott, ist das langweilig! Nur Sonne, Strand und Nichtstun. Ein bisschen planschen und tauchen ist ja ganz okay, aber das kann es doch nicht sein, oder? Gott sei dank ist jetzt der Sommer vorbei, nun da es kühler und ungemütlicher wird, muss man für innerliche Erwärmung sorgen. Zum Beispiel mit guter Musik.

"Sommerausklang", das klingt so nett, so friedlich. Tatsächlich aber hörte sich das, was Floh Söllner zum Wochenende in die Kofferfabrik einlud, wie ein musikalischer Tritt in den Allerwertesten an. Da ging es ordentlich zur Sache!

Noch lieb und harmlos beginnt der Ausklang mit dem Auftritt der Liedermacherin Karin Rabhansl. Ganz allein mit ihren regenbogenfarbenen Ringelsocken, ihrer Gitarre und einer Loop-Vorrichtung, mit der sie bis zu vier Taktfolgen sampelt, so dass die Solokünstlerin zur Vierfrauenband wächst, bestreitet die gebürtige Passauerin ihren Auftritt, singt im niederbayerischen Dialekt über das "Brunftverhalten des niederbayerischen Mannes", über neurotische Liedermacher-Workshop-Gäste, und über die Einsamkeit beim Umzug in die Nürnberger Wohnung. Wäre sie halt nach Fürth gegangen! Mit Joni Mitchells "Big yellow Taxi" verabschiedet sich Karin Rabhansl zu freundlichem Applaus. So weit, so gut.

Aber dann! Dann betritt ein Duo die Bühne, das glatt eine ganze Rockband ersetzt. "Scherbe kontra Bass" klingt etwas seltsam, macht aber Sinn. Der Gitarrist Marius del Mestre hatte sich seine Meriten bei "Ton, Steine Scherben" erworben. Als überlebende "Scherbe", wie sich die Band-Veteranen nennen, hat er sich mit dem Kontrabassisten Akki Schulz zusammengetan. Mehr braucht’s nicht.

Zelebrierte Klassiker

Wer nun aber TSS-Repertoire auf Kammermusikniveau erwartet, liegt ziemlich daneben. Klar bestreiten del Mestre und Schulz ihr Programm aus dem Scherbenkatalog, aber sie spielen es nicht einfach mit anderen Mitteln nach, sondern zelebrieren die Klassiker mit einer Inbrunst, die ihresgleichen sucht.

Klassiker wie "Alles Lüge" und "Keine Macht für Niemand" entfachen, gespeist von Lavaströmen aus dem Kontrabass, ihre Glut, lodern auf wie eine akustische Feuerwalze, die alles überrollt. "Wir sind geboren, um frei zu sein" — da ist die Emphase wieder, die man längst verloren glaubte. Da fällt auch folgende Erkenntnis nicht schwer: "Es ist wahr, dass die Kühe Gras nicht rauchen, sondern fressen."

Daran anzuknüpfen fällt "Robert Rausch und seine Zustände" eher schwer. Zwar beginnt der Auftritt ganz vielversprechend, wenn der gebürtige Erlanger gesteht, dass das verschüttete Bier die Songliste unleserlich gemacht hat. Doch was dann folgt, hört sich nicht nach Rausch, Entgrenzung und kosmischer Bewusstseinserweiterung an, sondern nach dem Katzenjammer danach.

Begleitet von Kontrabass, Trompete und Bassklarinette, krächzt Robert Rausch vor sich hin. Zwar jammt seine Band ganz ordentlich, dennoch gehen die Zuhörer dazu über, weniger der Band als den Erzählungen ihrer Sitznachbarn zu lauschen.

Schön war’s in der Wüste

Auch der zweite Abend beginnt mit einem Solokünstler. Der aus Algerien stammende Franzose Farid Ben Miles nimmt seine Zuhörer mit auf seine Wanderschaften, die ihn rund um den Globus geführt haben. Indes singt Miles nicht, sondern lässt allein seine akustische Gitarre sprechen. Das sind ausgedehnte Fingerpicking-Touren übers Griffbrett, die sich teilweise anhören, als spielten da zwei Gitarristen. Dem kleinen und Ringfinger an den hohen Saiten kommt noch der Daumen an den tiefen Drähten zu Hilfe. Da verschmelzen klassische Gitarrenweisen mit orientalisch anmutenden Arabesken, wehen Passat und Samum um die Wette, und bleibt ein Gefühl zurück, als hätte man uralten verlorenen Epen gelauscht.

Schön war’s in der Wüste, jetzt geht’s zurück in die Niederungen der menschlichen Seele und an den Rand der norddeutschen Tiefebene. "Heile und Kaputt" kommen aus Bielefeld. Frontmann Ted beginnt den Auftritt solo mit der geliehenen Gitarre von Kollegin Cynthia Nickschas und breitet sogleich eine steinerweichende Ballade über zwei psychoaktive Liebende aus, die sich zu viel an Rauschmitteln zumuten. Steinerweichend und zugleich befeuernd, der Song geht ab wie eine Rakete, und schon kommt der Rest der Band hinzu, gleich zwei Gitarristen lassen keinen Zweifel an hoher Phonzahl und purer Energie aufkommen. In diesem Stil erfahren wir, wie das geklaute Auto in den Badesee gelangt ist, mit welch garstigen Mitteln norddeutsche Jugendliche sich ihre Zeit vertreiben und von der Unschuld über wilde Zeiten in den Sumpf nicht der Drogen, sondern der Spießigkeit abrutschen, sowie, was es mit dem "Schwarzen Kater" auf sich hat — nicht die Katze, sondern das Kopfweh.

"Cynthia Nickschas and Friends" hatten bereits voriges Jahr in Fürth gastiert, damals war Cynthias Hund angefahren worden, was die Sängerin nervlich mitgenommen hatte. Diesmal läuft das arme Tier mit einer Halskrause herum. Fürth scheint kein gutes Pflaster für Bandmaskottchen zu sein. Indes geben Cynthia und ihre Mannen ihr Bestes.

Aber wie schon am Vorabend erweist es sich: Die mittelplatzierten Acts sind die mitreißendsten von allen. Herbst, jetzt kannst du kommen!

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