Zünftige Schlachtplatte politisch gewürzt

5.2.2014, 10:00 Uhr
Zünftige Schlachtplatte politisch gewürzt

© Katrin Heim

Mit „Genagelt“ setzt der Nürnberger Autor der literarischen Reihe der Fürther Nachrichten, „Fürther Freiheit“, bei seinem Krimidebüt gleich ein markantes Ausrufezeichen. Spannend von der ersten bis zur letzten Seite zieht der jetzt bei emons in Köln erschienene Roman bei aller Verschrobenheit der Akteure durch seinen gesellschaftskritischen Ansatz, die virtuose Sprachgewalt und eine brillante Dramaturgie den Leser in den Bann.

Tatort ist das Isental, Seidls Heimat, wo der 900 Millionen Euro teure Ausbau der A94 ungeachtet besserer Alternativen gegen den jahrzehntelangen Widerstand von Naturschützern — darunter Gerhard Polt und die Biermösl Blosn — durchgeboxt wurde. Seit dem Baubeginn im April vergangenen Jahres hat sich das von Seidl ein letztes Mal eingefangene Naturidyll in eine Mondlandschaft verwandelt.

Saubere Gesellschaft

Um Geschäfts- und Parteiinteressen durchzusetzen, wird geschmiert, gelogen und betrogen — fast wie im richtigen Leben. Der vom Hilferuf eines alten Schulfreundes aufgescheuchte Privatdetektiv Freddie Deichsler kommt erst einmal zu spät und das Verhängnis nimmt beim Herumstochern im dörflichen Misthaufen seinen Lauf. Auf seiner chaotischen Verbrecherjagd schrottet Deichsler reihenweise Autos, räumt aber auch kräftig mit überholten Klischeevorstellungen auf.

Es sind die mit psychologischem Fingerspitzengefühl gezeichneten Menschenbilder, die der Geschichte Tiefgang geben. In der Prägnanz ihrer Darstellung berühren sie spontan. Hinzu kommen originelle Erzählimpulse. Etwa der Umstand, dass der unverheiratete Deichsler in Elternzeit bei den Ermittlungen seinen Säugling am Hals hat. Zwischen Vater-Sohn-Idylle und Lebensgefahr gewinnt die Handlung Spannung und Dynamik.

Vater und Sohn

Aber auch die Rivalität mit dem eigenen Vater, der als Polizeibeamter dem Lebenswandel seines Sprösslings kritisch gegenübersteht, prickelt. Vielleicht eine autobiografische Anspielung. Schließlich schreibt auch Leonhard F. Seidls Vater, Leonhard M. Seidl, Kriminalromane. Sein neuer erscheint demnächst im Cadolzburger ars vivendi Verlag.

Nach der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus im 2011 erschienenen Roman-Erstling „Mutterkorn“ bleibt Seidl dem gesellschaftskritischen Anspruch treu und widmet sich den auf verlorenem Posten kämpfenden Widersachern des gigantischen Autobahnprojekts. Plastisch wird das Geschehen in einer bildreichen Sprache entwickelt und raffiniert auf die Spitze getrieben. Deichsler stolpert von einer Verlegenheit in die nächste, stapft gnadenlos durch sämtliche Fettnäpfchen und bleibt in seiner Unbekümmertheit doch stets sympathisch. Dabei fesselt er nicht mit oberflächlichem Aktionismus, sondern reflektiert stets die Hintergründe des Geschehens. Was Deichsler durch den Kopf geht, ist im Schriftbild kursiv gedruckt. Neben präziser Schilderung von Land und Leuten sowie wörtlicher Rede im Originalton macht das die Lektüre abwechslungsreich. Kein Film, kein Hörspiel kann so viel Lebendigkeit entfalten wie dieser Schreibstil. Am Anfang wirkt er freilich noch etwas dick aufgetragen, doch das gibt sich mit dem Gewöhnungseffekt.

Von Beginn an legt Seidl ein höllisches Tempo vor. Das Zeitfenster, in dem Deichsler agiert, ist verdammt eng und zieht sich immer weiter zu. Leerlauf lässt die Geschichte nicht zu. Und am Ende haben sich nicht nur ein paar Leichen, Irre und Verbrecher ins Gedächtnis des Lesers eingegraben, sondern vor allem der Kampf vieler engagierter Menschen gegen ein weiteres fragwürdiges Straßenbauprojekt.

Hilfreiche Praxis

Ein aktueller Akzent, der Seidls Debüt „Genagelt“ aus der Masse der Heimatkrimis heraushebt. Hier nervt kein provinzieller Schöngeist, kein selbstverliebter Effekthascher. Zur Authentizität trägt sicherlich bei, dass der Autor mit seinem Sohn selbst das Isental erkundet hat. Aber auch seine Erfahrungen im Umgang mit straffälligen Jugendlichen kommt Seidls Ausdruckskraft  zugute. Für sein Knast-Projekt „Kreatives Schreiben“ ist er ausgezeichnet worden.

Leonhard F. Seidl, „Genagelt“, Kriminalroman, emons-Verlag, ISBN 978-3-95451-303-1, 304  Seiten, 10,90 Euro.

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