Zwei Schiffe im Suppensee

22.11.2011, 09:59 Uhr
Zwei Schiffe im Suppensee

© Andre De Geare

Wieso, um alles in der Welt, soll man eigentlich nicht mit Essen spielen? Erstens tut es alle Welt, zweitens macht es riesigen Spaß, fördert die Kreativität und regt die Fantasie an. Die Chinesen schnitzen Rettiche und Karotten zu Blumen und Drachen. Die Japaner wickeln winzige Fischstücke in Reis und Seetang und arrangieren sie auf Holzbrettchen zu regelrechten Kunstwerken. Die Amerikaner essen gegrillte Marshmallows, also verkohlte Eischaumzylinder, und fühlen sich super dabei. Das ist vollkommen normal, weil es nämlich sowieso in der Natur des homo sapiens liegt, mit Essen zu spielen.

Gut, in den Anfängen der Menschheit war es noch andersherum, da war der Mensch das Essen und es wurde mit ihm gespielt. Aber sobald er ein paar Werkzeuge erfunden hatte, fing er an zu spielen, schon weil es in seinen Genen steckt. Das lässt sich jeden Tag überall auf der Welt in unzähligen Haushalten mit Kleinkindern beobachten. Soll mir doch niemand erzählen, dass es für so einen Säugling kein mordsmäßiger Jokus ist, der fütternden Mama die gefütterte Pampe vom Plastiktellerchen aus auf die Nase zu schnippen. Dem Säugling lässt man das noch durchgehen, später wird das Schnippen oder Werfen von Nahrungsmitteln unter Strafe gestellt. Mit Essen spielt man nicht, basta!

Ich hab das schon als Kind nicht einsehen können und habe mich bis heute nicht an das Verbot gehalten. Was macht es zum Beispiel für einen Spaß, mit einer Schwemmklößchensuppe Schiffeversenken zu spielen oder mit Spinat, Kartoffelbrei und Spiegelei einen Vulkanausbruch zu simulieren. Beim Schiffeversenken werden die Schwemmklößchen im Süden Deutschlands Grießnockerln genannt, vorsichtig mit dem Löffel halbiert und eine kleine Mulde reingeschabt. Schon dümpeln zwei Schiffe im Suppensee. Dann angelt man sich die Erbsen aus der Suppe und balanciert sie vorsichtig in die Klößchenhälften. Vorher hat man selbstverständlich mit sich selbst oder dem Tischnachbarn eine Wette abgeschlossen, in welche der beiden man mehr Erbsen hineinbekommt, bevor der Kahn sinkt. Das ist eine ziemlich nervenaufreibende Angelegenheit und übertrifft in puncto Spannung locker die meisten Fernsehkrimis.

Dasselbe gilt für den Vulkanausbruch mit Spiegelei. Es ist dabei erstens auf die Konsistenz des Eies zu achten — das Gelbe muss auf jeden Fall noch flüssig sein — zweitens kommt es beim Vulkanausbruch auf das richtige Arrangement der Zutaten an. Der Spinat muss ganz unten auf dem Teller liegen, mittig wird ein Berg Kartoffelbrei platziert und auf dessen Spitze kommt das Spiegelei. Wer will, kann auch noch ein paar Röstzwiebeln über dem Szenario verteilen, die sind dann Bäume oder Häuser, ganz nach Lust und Laune. Jetzt beginnt man zu essen, wobei man darauf achten muss, den Breivulkan von den Rändern her abzutragen und vom Spiegelei nur das Weiße zu essen. Von der Spinatwiese kann man so viel vernaschen wie man will, es sollte aber genug Nachschub vorhanden sein, damit man sich die Wirkung nicht vermasselt. Wenn das Eiweiß weggeputzt und der Vulkan zu einem Tafelberg geworden ist, wobei man verdammt vorsichtig sein muss, dass der Brei nicht nachgibt und unkontrolliert in den Spinat fällt, kommt der große Moment: der Ausbruch des Vesuv, die Clusterwelle am Mount St. Helens, die Explosion des Krakatau! Ein beherzter Gabelstich ins schön flüssige Eigelb und die Katastrophe nimmt unbarmherzig ihren Lauf. Die gelbe Lava stürzt mit verheerender Wucht an den steilen Wänden des Breivulkans herunter, reißt Zwiebelringbäume mit sich, begräbt Spinatwiesen unter sich. Du rettest, was zu retten ist. Schaufelst die mit Vulkanteilen vermischte Lava auf deine Gabel, pickst verzweifelte Zwiebeln aus der Soße, rettest die Wiesen und fühlst dich für den Rest des Tages wie ein Held. Mit Essen spielen ist gut für die Seele.

Eine Ausnahme gibt es allerdings. Wenn Banker und Booker an der Börse mit Essen spielen, hört der Spaß auf. Wer mit Zocken und Spekulation den Hunger zu einer Ware macht, den mach ich beim nächsten Spinatessen zur Röstzwiebel. Das beeindruckt euch nicht? Dann wartet mal ab, wie es sich anfühlt, wenn das Eigelb über euch explodiert!
 


 

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