Auf das eigene Tempo kommt es an

13.4.2015, 13:00 Uhr
Auf das eigene Tempo kommt es an

© Tina Ellinger

Was auf den ersten Blick etwas ungewöhnlich erscheinen mag, ist in den zwei „Flexklassen“ an der Astrid-Lindgren-Schule Gnotzheim inzwischen Routine. Das Konzept hat sich bewährt, der Modellversuch ist bayernweit abgeschlossen und seit diesem Schuljahr ist die  Astrid-Lindgren-Schule eine Grundschule mit dem  Schulprofil „Flexible Grundschule“.

Von der Idee, den Jungen und Mädchen der ersten beiden Jahrgangsstufen individuellen Raum und Zeit zum Lernen zu geben, war Rektorin Ingrid Pappler sofort begeistert als sie im Frühjahr 2012 hörte, dass das Kultusministerium Modellschulen dafür suche. „Das war genau das, was ich mir schon immer unter Grundschule vorstellte“. Und ihre Erfahrungen aus den letzten Jahren geben ihr recht: „Jeder Tag in der Flexklasse ist für mich die Bestätigung, dass es genau das ist.“

Nur etwa zehn bis 15 Minuten am Tag hält sie Frontalunterricht in ihrer Klasse, wie ihre derzeitige Praktikantin Julia Bernwald beobachtet hat. Die angehende Grundschullehrerin schreibt ihre Bachelorarbeit über das Konzept der „Flexiblen Eingangsstufe“, weshalb sie Ingrid Pappler einige Wochen über die Schulter schauen und selbst in der Klasse mitarbeiten darf. Die restliche Unterrichtszeit nutzen die Kinder, um überwiegend selbstständig in ihrem Tempo zu lernen.
Dieses eigenständige Arbeiten beginnt gleich morgens: Noch bevor ein Lehrer das Klassenzimmer betritt, „sucht sich jeder Schüler leise eine sinnvolle Beschäftigung,“, erklärt Ingrid Pappler. Dabei ist es egal, für welches Fach oder welches Material sie sich entscheiden. Zudem können sie wählen, ob sie in die Aula, in den Gruppenraum oder ins Klassenzimmer gehen und ob sie alleine, zu zweit oder in der Gruppe arbeiten möchten.  Dass das klappt und es ruhig und geordnet zugeht, „funktioniert nicht automatisch, es ist harte Arbeit“, weiß die engagierte Pädagogin.

Ein Lied beendet diese absolute Freiarbeitsphase. Nach dem Morgenkreis und der Einstimmung auf den Tag fragt sie jedes Kind, was es bis dahin getan und ob es gut oder weniger gut geklappt hat. „Sie sind da ganz ehrlich und schätzen sich meist gut ein“, so ihre Erfahrung. Da alle Schüler einen unterschiedlichen Lernstand haben, machen sie im anschließenden „Fachunterricht“ an der Stelle weiter, wo sie tags zuvor aufgehört haben. Die Übungshefte und Bücher sind so aufgebaut, dass sie das selbstständige Lernen unterstützen, zahlreiche Übungen und auch eine Selbstkon­trolle helfen dabei. „Die Verlage haben hier gute Vorarbeit geleistet“, lobt die Schulleiterin, die sich darüberhi­naus natürlich auch Themen heraussucht, die sie mit allen Kindern gemeinsam bespricht. Der unterschiedliche Wissenstand spiele dabei übrigens keine Rolle, vielmehr bereichern sich die Schüler gegenseitig.

Nicht fehlen dürfen auch in den „Flexklassen“ die Lernstandserhebungen. Idealerweise wird dann eine Probe geschrieben, wenn das Kind mit der jeweiligen Lernportion fertig ist, sprich, „wenn es bereit ist.“ Ein Lernentwicklungsgespräch zum Halbjahr ersetzt das Zwischenzeugnis, eine Neuerung, die von den Eltern in den durchgeführten Evaluationen als durchwegs positiv bewertet wird.

Zwischen einem und drei Jahre haben die Kinder in der „Flexiblen Eingangsstufe“ Zeit, den Stoff aus den ersten beiden Klassen zu lernen, ganz ihrem eigenen Tempo entsprechend. Die Mehrzahl der Schüler absolviert die beiden Klassen wie gehabt in zwei Jahren. Daneben gibt es die Ausnahme, die es in einem Jahr schafft. Einige Kinder bleiben aber auch drei Jahre, bis sie in die dritte Klasse wechseln. Dieses individuelle Konzept und die vielfach geforderte Inklusion bedingen sich laut Ingrid Pappler wunderbar, weshalb auch ihre „Flexklassen“ Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf besuchen. „Das kann für sie eine Chance sein“, betont sie und verweist auf die idealen Voraussetzungen, die in Gnotzheim herrschen – die überschaubare Größe des Schulhauses mit den kleinen Klassen, die hervorrragende Ausstattung und das ruhige Umfeld. „Aussortiert wird an der Gnotzheimer Grundschule niemand!“
Das alles zusammen eignete sich bestens dafür, den Modellversuch in der Astrid-Lindgren-Schule zu starten und jetzt dauerhaft fortzuführen. Damit ist die Einrichtung in Gnotzheim nach wie vor die einzige im gesamten Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen, die dieses Modell der Grundschule in die Praxis umsetzt. Dabei gibt es für die Kinder aus Sicht von Ingrid Pappler eigentlich nur Vorteile:  Sie lernen selbstständig, sie lernen miteinander und voneinander, sie üben sich in Eigenverantwortung, lernen, sich selbst einzuschätzen, die Stärkeren sind für die Schwächeren da – „und sie beweisen jeden Tag, dass sie das können.“

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