Auf Spurensuche in Gunzenhausen

20.5.2015, 08:00 Uhr
Auf Spurensuche in Gunzenhausen

© Marianne Natalis

Nun begab sich sein Enkel Viktor Rafalsky auf Spurensuche in der Altmühlstadt und erlebte am Grab seines Großvaters sowie dessen früherer Arbeitsstätte bewegende Momente.

Schon seit Längerem stand ein Besuch von Viktor Rafalsky im Raum, das war in dem losen Schriftverkehr zwischen Bürgermeister Karl-Heinz Fitz und dem 58-jährigen immer wieder Thema. Als es jetzt aber soweit war, kam es für Fitz dann doch etwas überraschend. Denn Viktor Rafalsky kündigte erst kurz vor seiner Abfahrt per E-Mail an, dass er jetzt mit dem Bus losfahren und 26 Stunden später in Nürnberg ankommen werde.

Ob sein Großvater Nikolai tatsächlich als Zwangsarbeiter nach Gunzenhausen kam, kann im Rückblick nicht zweifelsfrei geklärt werden. Diana Fitz, die im Auftrag der Unternehmerfamilie Loos die Archive der Firma ausgewertet hat, fand lediglich Papiere, in denen von „russischen Zivilarbeitern“ oder „Ostarbeitern“ die Rede war, die wenigsten werden allerdings freiwillig nach Westmittelfranken gekommen sein. Tatsächlich war auch Nikolai Rafalsky in der Baracke, die speziell für die zum Arbeitsdienst verpflichteten Männer errichtet worden war, zusammen mit 77 weiteren Ostarbeitern untergebracht.

Andererseits hatte er aber mit Ehefrau Anna und den Söhnen Leonid (14 Jahre), Wladimir (11 Jahre) und Slavik (3 Jahre) seine ganze Familie mit nach Deutschland gebracht. Seine Frau Anna war, als einziges weibliches Wesen in der Baracke, zusammen mit dem jüngsten Sohn in einem abgetrennten Raum untergebracht und war für die Verpflegung der Ostarbeiter zuständig. Die beiden älteren Söhne mussten im Eisenwerk arbeiten.

Zusammen mit Tatjana Blattner, die als Übersetzterin fungierte, holte Diana Fitz den Gast aus der Ukraine nicht nur am Nürnberger Busbahnhof ab, beide standen ihm auch während seines Besuchs in der Altmühlstadt zur Seite. Mit dabei waren sie auch im Rathaus, wo Bürgermeister Karl-Heinz Fitz den 58-Jährigen empfing. Sein Großvater sei schließlich „ein Teil unserer Vergangenheit“, erläuterte das Stadtoberhaupt.

Nur 37 Jahre alt geworden

Im September 1943 starb Nikolai Rafalsky im Kreiskrankenhaus Gunzenhausen. Die Diagnose lautete damals, das geht aus den Unterlagen von Diana Fitz hervor, „Herzinsuffiziens, Schrumpfniere, schwerste Kreislaufstörungen, Stauungsbronchitis, Krankheitsfolge, Anurie, Herschwäche“. Da war er gerade einmal 37 Jahre alt.

Die Familie Rafalsky blieb bis Kriegsende in der Baracke, die dort stand, wo später die Hallen 7 und 8 gebaut wurden. Nach der Befreiung durch die Amerikaner kehrten Leonid und Wladimir, mittlerweile 17- und 14-jährig, zusammen mit den meisten anderen russischen Zwangsarbeitern in die Heimat zurück. Anna jedoch blieb und mit ihr der jüngste Sohn Slavik. Sie hatte in Iwan Filatow einen neuen Partner gefunden. Slavik nahm den Namen des Stiefvaters an, wanderte später in die USA aus und kommt noch heute regelmäßig zur Kirchweih zu Besuch.

Geste sagt mehr als alle Worte

Auf die Frage, wie es ihm in Gunzenhausen gefallen habe, legt Viktor Rafalsky spontan die Hand aufs Herz. Eine Geste, die alles sagt und die vielen Sätze, die umständlich übersetzt werden müssen, eigentlich überflüssig macht. Er sei begeistert, betont der 58-Jährige, und noch vollkommen überwältigt davon, wie er in der Altmühlstadt aufgenommen worden sei.

Bewundernd äußert er sich zum Zustand der Stadt, hier sei alles so gepflegt und ordentlich. Auch von der Werksbesichtigung bei Bosch – das Unternehmen hat die Firma Loos ja bekanntlich vor einigen Jahren übernommen – hat nachhaltig Eindruck hinterlassen, er empfand die Werkshallen als extrem sauber. Der bewegendste Moment für ihn war aber am Grab seines Großvaters. Nikolai Rafalsky ruht auf dem alten Friedhof zusammen mit anderen Fremdarbeitern in einem Sammelgrab. Damit erfüllte sich auch ein Wunsch von Nikolais Sohn und Viktors Vater Leonid Rafalsky, der 1997 verstorben ist.

Während Sie nun beim Frühstück diese Zeilen lesen, sitzt Viktor Rafalsky immer noch im Bus, der ihn zurück nach Sumy im Nordosten der Ukraine bringt. Dort erwarten den Frührentner seine beiden Kinder und drei Enkelkinder. Spätfolgen des Koreakriegs, wo er als Sowjetsoldat an der Seite der Kommunisten kämpfte, sowie vor allem sein Einsatz in Tschernobyl – nach dem dortigen Supergau war er ein halbes Jahr zu den Aufräumarbeiten hinzugezogen worden – sorgten bereits vor 17 Jahren für die frühzeitige Arbeitsunfähigkeit. Immerhin lebt der leidenschaftliche Angler in einem Teil der Ukraine, die vom Krieg nicht betroffen ist.

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