„Das Gier-Virus muss gebändigt werden“

19.1.2015, 07:00 Uhr
„Das Gier-Virus muss gebändigt werden“

© Tina Ellinger

Daran ist an sich nichts auszusetzen, doch was ist, wenn dieses Bestreben zur Sucht wird, wenn das Gier-Virus um sich greift und den Menschen dazu treibt, immer mehr haben zu wollen, immer besser zu sein als der andere? In seinem neuen Buch „Die Gier und das Glück. Wir zerstören, wonach wir uns sehnen“ macht sich Friedrich Schorlemmer auf die schwierige Suche nach Antworten auf diese Frage. Einen Einblick in seine Überlegungen gewährte der evangelische Theologe und frühere DDR-Bürgerrechtler nun den Besuchern seiner Lesung im Lutherhaus, die das Evangelische Bildungswerk Jura-Altmühltal-Hahnenkamm, die Katholische Erwachsenenbildung Weißenburg-Gunzenhausen und die Gunzenhäuser Buchhandlung Fischer gemeinsam organisiert hatten.

  Doch die zahlreichen Zuhörer erlebten viel mehr als eine Lesung im klassischen Sinne. Kein Skript, keine Powerpointpräsentation und auch keine einzige Seite aus seinem Buch brauchte der streitbare 70-Jährige, um seine Botschaft unter die Leute zu bringen. Eben wie einer, der mit Leib und Seele für seine Idee eintritt, sie verteidigt und für sie kämpft – und das schon viele Male getan hat.

Humorvoll und eloquent

Eloquent, humorvoll und mit kleinen ironischen Seitenhieben auf Ost-West-Klischees trat Schorlemmer zunächst zur, wie er selbst sagte, Ehrenrettung der Gier an und verwahrte sich gegen die Denunzierung der sinnlichen, der glückmachenden Bedürfnisse des Menschen beispielsweise durch den Apostel Paulus. „Der Schöpfer hat sich etwas dabei gedacht, uns mit diesen vielen Sinnen auszustatten“, erklärte der Autor und bekannte sich selbst als Genussmensch, für den der erste Schluck Wein nach der Fastenzeit ein echtes Glück sein kann,  genauso wie eine Umarmung oder ein Kuss.

Für den anderen ist es Glück, dass die Augen im hohen Alter noch funktionieren oder dass er ohne Hilfe noch gehen kann. Deshalb lautet seine Devise, nicht darüber zu jammern, was man nicht mehr kann, sondern dankbar dafür zu sein, was man noch kann. „Seien Sie nicht neidisch auf andere, schauen Sie selbstbewusst auf das, was Sie können“, empfahl er dem Publikum.

Glück ist nach seinen Worten nie ein Zustand, sondern immer „ein herausgehobenes Erlebnis“. Glück ist demnach auch nicht wiederholbar. Zwar kann man etwas ähnliches erleben, aber nie genau diesen unvergesslichen Augenblick, dieses kindliche Glücksgefühl des ersten Mals, das es zu bewahren gilt. Außerdem hat es das Glück an sich, vergänglich zu sein. Wunschlos glücklich zu sein, das kann sich der Theologe überhaupt nicht vorstellen. „Man ist dann höchstens zufrieden“, gab er zu bedenken und riet, „immer einen Wunsch offen zu haben, bis zum letzten Atemzug.“

Doch dieses Streben nach der eigenen Bedürnisbefriedigung hat eine Schattenseite: die Tendenz, zur Sucht zu werden, immer mehr haben zu wollen, wie im bekannten Märchen „Vom Fischer und seiner Frau“. Nach oben gibt es bekanntlich keine Grenzen, so Schorlemmer weiter. Wer jedoch viel mehr hat, als er braucht, kommt ins „Hoeneß-Prinzip“, warnte er und forderte: „Das Gier-Virus muss gebändigt werden, um unseren Kindeskindern eine gedeihliche Welt hinterlassen zu können.“

Bei all den Gegenanzeigen, wie dem Klimawandel, der Zerstörung von Lebenskreisläufen, den irrsinnigen Spekulation mit Boden, Lebensmitteln und Süßwasservorräten und den weiteren Auswüchsen des Kapitalismus („Hauptsache billig“), ist er in „großer Sorge, dass wir das nicht mehr schaffen“. Denn eine Gesellschaft, die immer mehr will, „vergeht sich an den Ressourcen der Welt.“ Jeder muss sich die Frage stellen, wieviel Macht er der Gier einräumt und wieviel dem Engel, „der mich zum Glück führt“. Denn auch der Mensch ist nur noch eine Ware, in einer Gesellschaft, in der die Gier von der Todsünde zur Tugend geworden ist.

Resignation ist keine Option

Die Hoffnung aber, dass eine andere Welt möglich ist, will Friedrich Schorlemmer nicht aufgeben. Deshalb lautet seine Lebensmaxime: „Klar sehen und doch hoffen!“ Deutlich sprach er sich dafür aus, Maß halten zu lernen und die Sehnsucht nach einem gelingenden Leben mit Zufriedenheit zu verbinden. Eindringlich verwies er auf die regionale Verantwortung eines jeden Einzelnen. Zu resignieren ist für ihn keine Option, vielmehr gilt „auch dann das Richtige zu tun, wenn man nicht weiß, ob sich das Richtige durchsetzt.“

Erschreckend findet er den momentanen Konflikt zwischen Russland und der Ukraine, und sein Appell fällt, nicht zuletzt mit Blick darauf, dass es dort Atomwaffen gibt, sehr klar aus: „Wir dürfen keine neue Konfrontation mit den Russen wollen!“ Der Sozialdemokrat schaut außerdem mit Sorge auf die Pegida-Bewegung, die ihre Anhänger um sich scharrt. Seine Hoffnung ruht darauf, dass durch die schrecklichen Ereignisse in Paris eine Repolitisierung der Menschen passiert und sie erkennen: „Wir müssen uns kümmern!“ In diesem Zusammenhang nur beipflichten könne er den Worten von Angela Merkel „Fremdheit darf nicht zur Feindschaft werden“.

Der Diskussionsstoff wird einem politisch denkenden, gebildeten und streitbaren Geist wie Friedrich Schorlemmer sicherlich nie ausgehen, und Buchhändler Thomas Fischer hatte in seiner Begrüßung den Gästen zu Recht einen besonderen Abend versprochen, für den sich abschließend Hausherr Dekan Klaus Mendel bedankte. Schade nur, dass nicht mehr jüngere Leute diese Ideen von einer anderen, maßvollen Welt hören wollten. 

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