Deftige Beleidigungen in Richtung Nachbarn

31.3.2018, 06:16 Uhr
Die Akten in dem Beleidiungsprozess können noch nicht geschlossen werden, da noch kein Urteil erging.

© Symbolfoto: Oliver Berg/dpa Die Akten in dem Beleidiungsprozess können noch nicht geschlossen werden, da noch kein Urteil erging.

"Verbrecher", Nuttenfrau", "Klapsmühlenkinder", "Hure", "Schlampe" – all das und noch wesentlich Deftigeres, gerne auch kombiniert mit den Namen der Adressaten, soll eine 55-Jährige aus einem Ort im nördlichen Landkreis laut Anklage ihren Nachbarn an den Kopf geworfen haben. Nach deren Angaben seit vielen Jahren, lautstark, manchmal tagtäglich, bisweilen im Stundentakt. Staatsanwalt Christian Eberlein warf der in Schwarz gekleideten Witwe deshalb Beleidigung in mehreren Fällen vor.

Die Angeklagte selbst äußerte sich dazu während der Verhandlung nicht. Ihr Rechtsanwalt Mark-Alexander Grimme erklärte jedoch in seinem Plädoyer, dass seine Mandantin ihm gegenüber beteuert habe, "keine Beleidigungen ausgesprochen" zu haben.

Allerdings: Vor Gericht ist die Dame mit dem Berliner Zungenschlag, die die Verhandlung äußerlich völlig unbewegt verfolgte, keine Unbekannte. Vor gut einem Jahr war sie schon einmal wegen Beleidigung verurteilt worden: zu sechs Monaten Haft auf Bewährung. Und schon wenige Wochen später soll sie massiv rückfällig geworden sein.

Amtsrichter Gunter Hommrich hatte nun konkret vier Fälle aus dem Jahr 2017 zu verhandeln. Und vernahm dazu, neben zwei Gunzenhäuser Polizeibeamten, auch fünf Nachbarn der Angeklagten, die den Prozess mit ihren Strafanzeigen ins Rollen gebracht hatten.

Ihre Aussagen glichen sich dabei bisweilen bis ins Detail: Alle gaben an, seit Jahren unter den massiven Beleidigungen der Angeklagten zu leiden, alle wiederholten ein ums andere Mal die in der Anklage aufgeführten, zumeist derb-sexuell aufgeladenen Schimpfwörter, die ihnen ihre Nachbarin regelmäßig entgegengebrüllt haben soll.

Einer der Zeugen hatte einen Fall sogar mit dem Handy aufgenommen, und als Richter Hommrich das Video abspielen ließ, waren lautes Gezeter und das Wort "Hure" bis in die Zuschauerreihen hinein zu hören; die Protokollantin wollte aus dem Geschrei auch "Klapsmühlenkinder" herausgehört haben. So soll die Angeklagte den Nachwuchs ihrer Nachbarn genannt haben, nachdem sie offenbar erfahren hatte, dass die Kinder wegen der ständigen Beleidigungen unter Angstzuständen litten und in psychologischer Behandlung waren.

Kein Anlass erkennbar

Der Richter fragte jeden der Zeugen, ob er sich erklären könne, was das Motiv der 55-Jährigen sein könnte; ob sie jemals Anzeichen für eine Krankheit oder für übermäßigen Alkoholkonsum erkannt hatten. Einhellige Antwort: Niemand habe der Frau einen Anlass für ihre angeblichen Pöbeleien gegeben, keiner habe jemals in gleicher Weise zurückgebrüllt, man habe sich sogar auf der Straße lange Zeit noch gegrüßt. Und auch bei Mutmaßungen über Krankheit oder Suff hielten sich die Zeugen vornehm zurück. Die Angeklagte selbst sagte auf Nachfrage des Richters, sie fühle sich "gesund" und sei lediglich von einer Hüftarthrose geplagt.

Als Grund, warum sie die angeblichen Beleidigungen jahrelang erduldeten, ohne etwas dagegen zu unternehmen, sagten die Zeugen wahlweise, "man hat halt gehofft, dass es irgendwann aufhört". Oder dass man resigniert habe, weil einige Jahre zuvor die Gunzenhäuser Polizei ihnen und weiteren Nachbarn von einer Anzeige abgeraten habe: "Die sagten, da kann man eh nichts unternehmen."

Glaubhafte Zeugen

Für Staatsanwalt Christian Eberlein war die Sache am Ende klar: "Die Verhandlung hat die Anklage im Wesentlichen bestätigt", sagte er in seinem Plädoyer, die Beschuldigte sei durch ihre Opfer und das Handy-Video überführt. Die Zeugen seien insbesondere deshalb glaubhaft, weil sie "trotz aller Emotionen ruhig geblieben" seien und "wenig Belastungseifer" gezeigt hätten.

Nach Eberleins Überzeugung ist in allen Fällen der Tatbestand der Beleidigung erfüllt, auch wenn sich Täterin und Opfer, getrennt von Grundstücksgrenzen, Büschen und Hecken, nicht unmittelbar gegenüberstanden: "Der Adressat der Beleidigungen ist klar", so der Ankläger, der eine Gesamt-Haftstrafe von neun Monaten forderte. Ohne Bewährung, wie er betonte, denn nachdem die Bewährungsstrafe im letzten Prozess offenbar "keine Warnung war, ist jetzt die nächste Eskalationsstufe zu wählen".

Verteidiger Grimme argumentierte, seine Mandantin habe die angezeigten Beleidigungen nicht geäußert. Zudem müsse in Fällen wie diesen zweifelsfrei klar sein, dass das Opfer seinen Beleidiger wahrnimmt und erkennt. "Und der Täter muss wissen, dass er vom Opfer wahrgenommen wird." Beides sah er nicht als erwiesen an, da einige der angeklagten Taten bei Dunkelheit geschahen und sich die Kontrahenten nicht klar hätten erkennen können.

Und Grimme hatte sich ein derbes Schimpfwort notiert, an das sich einer der Zeugen während der Verhandlung erinnert hatte. Zwar tauchten mehr als ein Dutzend derbe Ausdrücke in der Anklageschrift auf – ausgerechnet jenes, das der Zeuge im Gerichtssaal genannt habe, aber nicht: "Wenn ich jemanden anklage, dann muss ich schon alles genau darlegen", dozierte der Anwalt. Was bei den Zeugen angesichts jahrelanger Schimpftiraden mit unzähligen Kraftausdrücken für Kopfschütteln sorgte.

Meinung geändert

Grimme jedenfalls sah den "objektiven und subjektiven Tatbestand" nicht erfüllt und forderte "in allen vier Fällen Freispruch". Er schob allerdings hinterher, dass er, falls das Gericht seine Mandantin verurteilen wolle, ein Gutachten zu deren Schuldfähigkeit beantrage. Auf die direkte Frage von Richter Hommrich, ob sie sich denn überhaupt begutachten lassen werde, erntete der zunächst ein schroffes "Nein". Nach kurzer Beratung mit ihrem Anwalt lenkte die Angeklagte jedoch ein und stimmte einer psychologischen Untersuchung zu.

Und so endete die "für Jugendliche nicht geeignete" Verhandlung nach drei Stunden ohne Schuldspruch. Die Erstellung eines Gutachtens wird nach Ansicht von Prozessbeobachtern vermutlich mehrere Monate dauern.

Keine Kommentare