Die Freiheit ist über den Wolken gar nicht so grenzenlos

27.8.2016, 07:00 Uhr
Die Freiheit ist über den Wolken gar nicht so grenzenlos

© Foto: Natalis

Zuchtschweine von Toronto nach Moskau, einen Flieger voller Zierfische oder edle Pferde, die zu Turnieren in ferne Länder reisen – Rainer Stark hat schon so manche ungewöhnliche Fracht mit seiner McDonnell Douglas transportiert. Einmal standen Gazellen auf dem Plan und der Pilot dachte zunächst, dass da ein Fehler vorliegen muss. Denn er sollte sie von Deutschland nach Südafrika transportieren. „Das muss doch eher in die umgekehrte Richtung gehen“, dachte sich Stark und wurde eines Besseren belehrt: Die Tiere aus dem Dresdner Zoo sollten in ihrer ursprünglichen Heimat ausgewildert werden.

Seit seinem fünften Lebensjahr träumt Rainer Stark vom Fliegen. Schon sein Vater Rolf fand die Welt über den Wolken absolut faszinierend und hat diese Begeisterung an seinen Sohn weitergegeben. Mit 16 Jahren begann Stark mit dem Segelfliegen – der Flugsportvereinigung Gelbe Bürg ist er bis heute treu geblieben und mittlerweile deren Vorsitzender. In seiner Jugend war Segelfliegen allerdings kein einfaches Hobby, denn das Hochziehen mit dem Motorflugzeug ist ein teures Vergnügen.

Doch Rainer Stark war schon früh bereit, für seine Leidenschaft alles zu geben, und das sollte sich auch später nicht ändern. Nachdem es zunächst mit der angestrebten Ausbildung bei der Lufthansa nicht klappte, begann er ein Maschinenbaustudium für Luft- und Raumfahrtechnik in München. Das Ziel Pilot verlor er dabei nie ganz aus den Augen, und schließlich brachte eine Verwandte das Thema private Ausbildung ins Spiel.

Ein viel zu teurer Weg, hatte Stark bis dahin immer gedacht, er hatte von Kosten bis zu 250 000 Mark gehört. Das war etwas zu hoch gegriffen, doch die 100 000 Euro, die bei privaten Flugschulen fällig wurden, waren immer noch ein ganz schöner Batzen Geld. Eigentlich ein viel zu großer Batzen. Mit viel Glück, Chuzpe und ein paar Bürgern schaffte er es, sich die Summe zusammenzuleihen. Elf Monate später war er fertig ausgebildeter Pilot.

Seinen ersten Job fand er schnell beim Nürnberger Flugdienst, die erste größere Regionalfluggesellschaft in Deutschland. Doch auf Dauer wollte er höher hinaus — auch, um nicht ein Leben lang mit 20-sitzigen Turbopropmaschinen Ziele wie Wien, Mailand, Paris oder Berlin anzufliegen.

Mit dem Umweg über die Südflug kam er zu Condor, die damals noch nicht der Lufthansa gehörte. Die nächsten Jahre flog er mit einer Boeing 757 Passagiere zu fernen Zielen. Bangkok, Sydney oder Dubai, die Welt stand dem jungen Mann offen. Damals konnte es auch tatsächlich mal passieren, dass man eine Woche an einem schönen Ort in der Südsee auf den nächsten Flieger, den man übernehmen sollte, warten „musste“.

Als 2002 die Möglichkeit auftauchte, zur Fracht zu wechseln, griff Rainer Stark zu. Nicht etwa, weil er keine Passagiere mehr sehen konnte, sondern weil er so die Möglichkeit bekam, noch einmal auf einen anderen Flugzeugtyp geschult zu werden, in diesem Fall eben eine MD 11. Diese Schulungen sind so „unglaublich teuer“, dass sie nicht allzu oft angeboten werden.

Die gleichen Kommandos

Ob Passagiere oder Fracht, für den Pilot macht das eigentlich wenig Unterschied, berichtet Stark. Denn die notwendigen Sicherheitschecks sind letztendlich dieselben. „Wir trainieren die gleichen Kommandos“, erläutert Stark, etwa für eine Notevakuierung. Die Abläufe bei einem Notfall müssen sich tief ins Gedächtnis einbrennen und einfach immer abrufbar sein.

Wie wichtig das ist, hat Stark bereits am eigenen Leib erfahren. Bei einem Langstreckenflug fing kurz nach dem Start ein Triebwerk Feuer. „Das ist der Fall, den man nicht haben will“, sagt Stark heute trocken, und gibt aber unumwunden zu, dass man in einer solchen Situation zunächst alles andere als cool reagiert. Da ist schon viel Adrenalin im Spiel, „wir sind ziemlich erschrocken“, erinnert sich Stark.

Und genau deshalb ist die Routine so wichtig. Wenn man beginnt, die Checkliste abzuarbeiten, „fährt man unheimlich runter“, wird wieder ruhig. Die ersten Handgriffe müssen dabei auswendig sitzen, darüber hinaus gibt es eine ewig lange To-do-Liste, die nach und nach erledigt werden muss. Das Feuer im Triebwerk war letztendlich schnell gelöscht, mit dem Münchner Flughafen auch eine einfache Landebahn in der Nähe und so haben Stark und sein damaliger Kollege die Maschine sicher auf den Boden gebracht. Die Flugzeughersteller reagieren sehr sensibel und schnell auf solche Vorfälle: „Wir waren noch nicht gelandet, da wusste Boeing schon, dass ein brennendes Flugzeug in der Luft ist“, erzählt Stark. Sensibel reagieren auch die Fluggesellschaften, auf Wunsch werden die betroffenen Piloten psychologisch betreut. Und weiterfliegen dürfen sie an so einem Tag sicher nicht.

Prominente wie Hartmut Mehdorn oder Vural Öger, der Gründer von Öger Tours, waren seine Gäste, aber auch die Nationalelf konnte Stark mehrfach an Bord begrüßen. Ein „Welcome on Board“ und den aktuellen Wetterbericht kann er sich bei einer Maschine voller Blumen aus Kenia natürlich sparen. Manchmal allerdings kann er immerhin zwei Frachtbegleiter willkommen heißen. Meistens bei besonders heiklen Transporten wie Pferden oder wenn Kunstwerke für eine Ausstellung in ferne Länder transportiert werden. Er hatte aber auch schon den ganzen Bauch der MD 11 voller Währung. Wenn in einem afrikanischen Land mal wieder ein neuer Präsident sein Konterfei auf den Geldscheinen bewundern will, wird eben alles neu gedruckt. Streng bewacht wurden auch die 20 Tonnen US-Diplomatenpapiere oder die Medikamente im Wert von rund 50 Millionen Euro, die nach Südamerika geliefert wurden.

Herzschlag erhöht sich

Fünfmal im Jahr muss jeder Pilot in den Simulator. Die Ausbildung läuft mittlerweile komplett in diesem fiktiven Flugzeug, es wäre viel zu teuer, die angehenden Piloten mit großen leeren Maschinen üben zu lassen. Aber auch mit langjähriger Berufserfahrung führt am regelmäßigen Emergency-Training kein Weg vorbei. Im Simulator werden extreme Situationen geübt, und das unter möglichst realistischen Bedingungen. Wenn etwa Rauch ins Cockpit eindringt, erhöht sich der Herzschlag automatisch, auch wenn man weiß, dass es eigentlich nur eine Übung ist.

Womit da für den Ernstfall trainiert wird, hat es aber auch in sich: „Wir fliegen im Simulator Unglücke nach“, erläutert Stark. Etwa den Lauda-Air-Flug 004, der im Mai 1991 über Thailand abstürzte. Der Sinn dabei ist, herauszufinden, wie das Unglück hätte verhindert werden können. In diesem Fall hat es laut Stark lange gedauert, bis die Experten die wirklich ungewöhnliche Lösung gefunden hatten. Man hätte die Maschine einmal umdrehen müssen. Ein Manöver, auf das man mit einem Flugzeug voller Passagiere nicht als Erstes kommt.

17 Minuten hat eine Crew im Durchschnitt Zeit, wenn es brennt, ein Flugzeug sicher auf die Erde zu bekommen. Deshalb ist eine der Hauptbeschäftigungen im Cockpit, immer wieder auszurechnen, wo der nächste Notflughafen ist. Auch den Tank müssen die Piloten immer im Auge behalten. Bei Transatlantikflügen etwa ist es durchaus lebenswichtig, zu wissen, ob man bei einem Notfall besser umdreht, um noch Festland zu erreichen, oder lieber weiterfliegen sollte.

Wetterlage checken

Dass der Autopilot die ganze Arbeit übernimmt, ist auch eines der falschen Bilder, die über die Fliegerei kursieren. Der sorgt lediglich dafür, dass das Flugzeug auf Kurs bleibt und die Höhe hält. Die Piloten müssen trotzdem hellwach bleiben, ständig die Systeme und vor allem auch die Wetterlage checken. Dräut etwa ein Gewitter am Himmel, dann muss gehandelt werden. „Wir fliegen nie, niemals in Gewitter rein“, macht Stark eindringlich klar. Dort lauern starke Turbulenzen, Blitze und Hagelschläge. Um dieser Gefahr zu entgehen, nehmen die Piloten Umwege von bis zu 100 Meilen — so groß können die Unwetter rund um den Äquator werden — in Kauf. Und meist sind sie auch so hoch, dass man sie nicht überfliegen kann.

Rainer Stark erzählt und erzählt. Davon, dass man den Lotsen schon an der Stimme anhört, wenn sie im Stress sind, von Sibirien und der Spezialkleidung für die Piloten, um auch bei Minus 45 Grad einen vernünftigen Sicherheitscheck von außen machen zu können. Es geht um politisch heikle Situationen, wie etwa den Putschversuch in der Türkei, die Flughäfen plötzlich zu unsicheren Terrains werden lassen, es geht um verschärfte Sicherheitsbedingungen seit dem 11. September 2001 — das Cockpit ist seitdem für Passagiere absolute Tabuzone und mit Stahltüren gesichert —, und es geht um Arbeitsbedingungen und das Bestreben, bestehende Tarifverträge zu unterwandern.

Und genau, da gab es doch auch noch dieses olfaktorische Problem. Die 70 Tonnen Erdbeeren, die er neulich transportiert hat, waren es nicht, die dufteten ganz wunderbar. Aber höllisch gestunken haben die Haifischflossen, die er einmal von Bahrain nach Hongkong bringen musste. „Das war das Allerschlimmste, was ich je gerochen habe“, erinnert sich der 52-Jährige gut und schüttelt sich heute noch.

Seit gut einem Vierteljahrhundert bewegt sich Rainer Stark in den Lufträumen dieser Erde. Auch wenn die äußeren Bedingungen nicht immer die besten waren: „Ich habe immer Glück gehabt“, weiß Stark und hat seine Entscheidung fürs Fliegen nie bereut. Im Gegenteil. In seiner Garage bastelt er bereits an einer weiteren Variante: Dort baut er sich sein eigenes Flugzeug. Aber das ist eine eigene Geschichte.

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