Die totale Sicherheit gibt es nicht

18.4.2014, 12:00 Uhr

Martin Kreuzer arbeitet für den Fachbereich Wirtschaftsschutz des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz. Er ist Sicherheitsexperte und berät heimische Firmen, wenn es um den Schutz wichtiger Daten geht, seien es Konstruktionszeichnungen oder Umsatzzahlen, Kundenkarteien oder auch „nur“ der tägliche Mailverkehr eines Unternehmens.

In Bayern gibt es laut Martin Kreuzer eine große Konzentration von Hightech-Produzenten. Die sich häufig in trügerischer Sicherheit wiegen, denn „wir hatten in den letzten Jahren einfach Glück, was das Ausgeforschtwerden angeht“, betont Kreuzer. Immerhin hätte der NSA-Abhörskandal für eine Sensibilisierung in Sachen Datenschutz gesorgt. Dennoch würden viele Firmenleitungen „zwischen Paranoia und Nichtstun“ schwanken, meint Kreuzer, der für einen „gesunden Mittelweg“ plädiert.

Zumal man sich nicht darauf verlassen dürfe, dass EU- oder Nato-Partnerländer die deutschen „Freunde“ nicht ausspähen. So habe es beispielsweise bei den französischen Nachbarn offiziell bis 2004 flächendeckende Audio-Überwachung in den Flugzeugen der Air France gegeben. Zudem exisitiere eine „École du guerre économique“, in der hoch spezialisierte „Kämpfer“ für den „Wirtschaftskrieg“ gegen andere Länder ausgebildet werden.

Erschreckend auch, was Martin Kreuzer zu weltweit operierenden Geheim-Organisationen zu berichten weiß. So haben beispielsweise die Nachrichtendienste in China über 950 000 Mitarbeiter, während es bei deutschen Diensten wie Bundesnachrichtendienst (BND) oder Militärischem Abschirmdienst (MAD) gerade einmal 15 000 sind. „Dazu kommen noch ‚nebenamtliche‘ Agenten“, führt Kreuzer aus – und zeigt ein originales Video, in dem zu sehen ist, wie vorgebliche „Hotelmitarbeiter“ in China das Hotelzimmer eines deutschen Geschäftsmannes durchsuchen. „Das ist Housekeeping auf Chinesisch“, kommentiert Kreuzer mit trockener Ironie.

Je höher der Reisende in der Hierarchie seiner Firma stehe, desto größer sei auch die Wahrscheinlichkeit, dass er im Ausland überwacht und abgehört werde und es versucht werde, die Daten von Laptop oder Handy zu stehlen. Martin Kreuzer erzählt von einem Geschäftsmann, der sein Tablet mit wichtigen Informationen auf seiner China-Tour stets bei sich trug, es sogar buchstäblich mit ins Bett nahm – und es schließlich bei der Ausreise abgenommen bekam. Es gibt sogar Aktenvernichter, die jedes Blatt vor dem Schreddern scannen und weitermailen.

Und doch macht nach Darstellung des Verfassungsschützers staatliche Industriespionage beim Datenklau nur etwa 15 bis 20 Prozent aus – „der Rest wird von Konkurrenzunternehmen ausgespäht“, so Kreuzer.

Testergebnisse öffentlich gepostet

Dabei machen es manche Firmenmitarbeiter dem wirtschaftlichen Gegner deutlich zu leicht. So postete beispielsweise ein junger Autoingenieur auf dem Wirtschafts-Netzwerk „Xing“ ganze Versuchsanordnungen und Testergebnisse, einsehbar praktisch für jedermann. „Das darf natürlich nicht sein“, sagt Martin Kreuzer. Dummheit und Sorglosigkeit seien im Wirtschaftsleben schnell tödlich für ein Unternehmen. Mit einfachen Tricks komme man an geheime Daten, wenn die Gegenseite nicht aufpasst. Selbst Bewerbungsgespräche können eine wichtige Informationsquelle sein.

Dazu kommt die Verwendung immer ausgefeilterer Hochtechnologie. So lässt sich beispielsweise mit der im Internet erhältlichen Software „Flexispy“ ein Smartphone derart präparieren, dass es zum Abhörgerät wird, ohne dass der Besitzer dies merkt.

Der russische Präsident Vladimir Putin ließ angesichts der Abhör-Aktionen der NSA 120 analoge Schreibmaschinen anschaffen und die auf ihnen verfassten geheimen Dokumente mit Boten transportieren, um jegliche „elektronische“ Spionage auszuschließen. Aus Sicht Martin Kreuzers eine sinnlose Aktion: „Es gibt inzwischen eine App für das Smartphone, mit der sich nur aus den Geräuschen der Schreibmaschine 80 Prozent dessen rekonstruieren lassen, was auf ihr geschrieben wird“.

Individuelle Sicherheitsplanung

Zum Schutz empfiehlt Kreuzer eine genaue, auf die Bedürfnisse des jeweiligen Unternehmens zugeschnittene, individuelle Sicherheitsplanung. Die Geschäftsleitung müsse sich darüber im Klaren sein, was es wie vor wem zu schützen gebe. Nur ein kleiner Bereich der firmeneigenen Informationen würde zu den „Kronjuwelen“ zählen. „Bei Nachrichtendiensten wird jedes Dokument ausnahmslos in eine bestimmte Sicherheitskategorie eingestuft – und normale Unternehmen sollten es eigentlich genauso machen“, schlägt Kreuzer vor. Zudem seien die Mitarbeiter in die Sicherheitsstrategie mit einzubeziehen, denn „der loyale Faktor Mensch ist von unschätzbarem Wert“.

Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz berät übrigens neutral und kostenlos und unterliegt im Gegensatz zur Polizei nicht dem Legalitätsprinzip – wenn ein Firmenchef einen Spionageverdacht äußert, dann muss dieser nicht gleich angezeigt und öffentlich gemacht werden. Auch dies ein Schutzmechanismus.

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