Dieser Abend brauchte Durchhaltekraft

23.3.2015, 07:00 Uhr
Dieser Abend brauchte Durchhaltekraft

© Guthmann

 

Das war an sich schon ein gewagtes Vorhaben, denn immerhin sollte das Programm ganze vier Stunden dauern. Kurzum: Vier Stunden Sternstunden geht nicht, und der wirkliche Star dieses Abends war das unglaublich faire und geduldige Publikum, das jeden Anflug von Wortwitz und satirischem Augenzwinkern mit Applaus belohnte, für die Feinheiten der musikalischen Darbietungen ein offenes Ohr hatte und ansonsten Durchhaltevermögen bewies.
 Seit 30 Jahren tourt die „Compagnie Poesie“ durch die Lande. Motor ist der Niedersachse Manfred Hausin, der nach eigener Auskunft ein „buntes Völkchen“ von Musikern, Puppenspielern, Poeten, Varietékünstlern, Kabarettisten und Schauspielern zum Mitmachen bewegt hat. Aus diesem Fundus an Kleinkünstlern wird bei jedem Auftritt ein neues Programm zusammengesetzt.

Vom hohen Norden nach Franken

Die für den Auftritt in Gunzenhausen zusammengetrommelte und mehrheitlich aus „Nordlichtern“ zusammengestellte Poesie-Truppe freute sich mehrfach diebisch, einmal in „Franken – nicht in Bayern“ zu Gast zu sein. Mit dem Liedermacher Carsten Langner, mit Liederjan und den Melankomikern und mit Lothar „Black“ Lechleiter vom ehemaligen Gesangsduo „Schobert Black“ gab es in Gunzenhausen gleich vier Programmpunkte, in denen die selbst verfassten, kritischen Lieder im Zentrum standen. Neben dem Wortakrobaten und Moderator Manfred Hausin und dem hauptberuflichen Briefeschreiber Winfried Bornemann war deshalb der Pantomime Peter Mim der einzige, der für den von den Zuschauern erwarteten Hauch von Varieté einstand.

„Damals“ ist das Zauberwort, das die Truppe zusammenschweißt. Damals, das sind die goldenen 80er, jene Zeit der Friedensbewegung und der Ostermärsche. Und selbst beim Auftritt des jüngsten Ensemblemitglieds, des 27-jährigen Gitarrenpoeten Carsten Lagner, schwang Nostalgie mit. Seine Stimme ähnelt verblüffend der von Reinhard Mey, und seine Eigenkompositionen greifen gekonnt die Bardentradition eines Hannes Wader auf.

Als „Medienstar der 80er-Jahre“ war der notorische Briefeschreiber Winfried Bornemann angekündigt. Er hat sozusagen das Nörgeln und Sticheln zu seiner Berufung gemacht und bombardiert mit viel Humor Organisationen und ihre Repräsentanten mit ulkigen Anfragen: „Wann verjährt eine Ehe?“ oder „Ist dieser Pfennig echt. Mir kommt er zu leicht vor!“ Die merkwürdigen Antworten auf seine merkwürdigen Briefe hat er dann in mehreren, heute allesamt vergriffenen Büchern veröffentlicht. Sein Handwerkszeug: eine Schreibmaschine und eine stattliche Anzahl selbst erdachter Briefköpfe mit hochoffiziellem Anstrich: von der Deutschen Rolls-Royce-Jugend, dem Leistungszentrum für Steuerhinterziehung, dem Freundeskreis für  Mund-zu-Mund-Beatmung oder dem Institut für Zierfischpädagogik.

Ein gezipptes Volkslied nach dem Motto „Aus drei mach eins“, Instrumentalstücke und eine schmissige Pleiten-Polka – die Folkgruppe „Liederjan“ in der derzeitigen Besetzung mit Hanne Balzer, Michael Lempelius und Jörg Ermisch mixt auf komödiantische Weise Irish Folk und Klezmer mit einer Prise Blaskapellen-Sound. Seit 40 Jahren – so Moderator Manfred Hausin – nimmt das Trio aus Schleswig-Holstein sich der vergessenen Volkslieder an, bereichert sein Repertoire aber auch mit eigenen Stücken.

Zauberhaft wie Peter Mim sein Herz verschenkt, einem Vogel die Freiheit zurückgibt oder ein Menschenleben im Zeitraffer pantomimisch erfasst. Ein Träumer, ein stummer Phantast mit Clownsmaske, ein Philosoph und Menschenkenner. Peter Stefanow Todorow – so sein bürgerlicher Name – hat sich neben seiner Bühnentätigkeit als Pantomime einen Namen als Dozent und Trainer für Nonverbale Kommunikation und Körpersprache gemacht.

Auch „Black“ – die übrig gebliebene Hälfte des in den 1970ern erfolgreichen Gesangsduos „Schobert & Black“ hat in Gunzenhausen seine Anhänger. Als Blödel-Barde bekannt geworden, macht er seinem Ruf alle Ehre und reimt Umweltgipfel auf Zipfel, Ozon auf home und dumm auf dideldumm. Leidlich gut gelaunt – er haderte mit einem Störgeräusch hinter der Bühne und seinen verkehrt herum aufgelegten Zetteln – trug er zudem einige Limmericks vor – ebenfalls ein Markenzeichen aus der Schobert-&-Black-Ära.

Erfrischend zum Abschluss der musikalische Feinschliff des Leipziger Duos „Melankomiker“, worüber sich sicher auch die Veranstalter-Kooperation von Stadt und Lebenshilfe mit Peter Schnell freuten. Jürgen Denkewitz und Waldemar Rösler nahmen in guter Kabarett-Tradition diverse mehr oder weniger appetitliche Sauna-Besucher aufs Korn oder ließen in ihrem Song zum String-Taga ungewollt tief blicken. Unvergesslich sicher die Denkewitz’sche Hymne auf sein großes Vorbild Reinhard Mey!

Wenig überzeugende Wortwahl

Wenn die Besucher der leider nicht ausverkauften Stadthalle daheim das Programm nochmal Revue passieren lassen, dann gab es also doch für jeden eine kleine Sternstunde! Trotzdem war es ein anstrengender und mitunter zäher Abend. Und das lag zuvorderst am Moderator: Der Wort-Akrobat Manfred Hausin kann zwar amüsante Minimal-Lyrik verfassen, den Poesie-Abend hat er aber mit seinen staubtrockenen Ansagen, den Hinweisen auf die leer gebliebenen Sitzplätze und sein sattsam ritualisiertes Zettelgeblätter ordentlich verhackstückt. Nicht gerade schmeichelhaft für die Künstler, wenn sie als noch unbekannt oder quasi als lebende Mumien angepriesen werden. O-Ton Hausin über Liederjan: „Eine Legende seit über 40 Jahren – und sie existieren immer noch!“

In den einzelnen Beiträgen gab es tatsächlich poetische Momente, im Gesamtkonzept war ein Runterfeiern angelegt, das sich auch in der lieblosen Bühnengestaltung manifestiert hat. Fazit: Eine Fahne mit Slogan samt Mond und Sternen macht noch keine „Nacht der Poesie“, aber das Gunzenhäuser Publikum machte das Beste draus.

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