"Erwartungen an die SPD sind höher als an die CSU"

26.9.2018, 18:08 Uhr

© Foto: Jürgen Eisenbrand

Herr Kühnert, Sie haben als einer der Ersten in der SPD gegen den ursprünglichen Maaßen-Deal, der dem entlassenen Verfassungsschutz-Präsidenten eine Defacto-Beförderung einbrachte, protestiert. Sind Sie mit der jetzt gefundenen Lösung — Maaßen wird "Sonderberater im Innenministerium — zufrieden?

KEVIN KÜHNERT: Na ja, das ist ja mehr eine Art Schadensbegrenzung, von einem Erfolg zu sprechen, verbietet sich. Das Ganze hat extrem Glaubwürdigkeit und Vertrauen gekostet und viele Vorurteile gegen die Politik bestätigt. Das aufzuarbeiten wird dauern.

Eigentlich müsste ja Horst Seehofer in diesem Stück der große Buhmann sein. Warum trifft es trotzdem so massiv die SPD?

KEVIN KÜHNERT: Weil die Erwartungshaltung an die SPD höher ist als an die CSU. Wenn man wollte, könnte man das sogar als ein verstecktes Kompliment auffassen; bei uns empören sich Menschen über Dinge, über die sie bei anderen sagen, da ist eh Hopfen und Malz verloren.

Haben Sie eine Erklärung dafür, dass man die Reaktionen auf eine Entscheidung wie die, Maaßen zu befördern, in Berlin dermaßen unterschätzen kann? Ist das eine Folge des oft beschriebenen "Raumschiffs Berlin", in dem man nicht mitbekommt, was außerhalb passiert?

KEVIN KÜHNERT: Nein, ich glaube, das war hier nicht ausschlaggebend. Die Entscheidung fiel unter großem Stress und Druck, immerhin stellte sich auch die Koalitionsfrage. Da haben dann wohl das Fingerspitzengefühl gefehlt und die inneren Antennen versagt, und man hat nur koalitionstaktisch gedacht und nicht mehr die normalen moralischen Maßstäbe angelegt.

Sie waren schon vor ihrem Zustandekommen ein Kritiker der GroKo; kann die noch drei Jahre halten?

KEVIN KÜHNERT: Nicht so, wie sie jetzt arbeitet. Niemand hat die Lust und die Nerven, das durchzuhalten, zumal die gute Sachpolitik, die ebenfalls geleistet wird, keiner mehr wahrnimmt.

Sie sind derzeit auf Wahlkampftour durch Bayern. Verstehen Sie, dass die SPD-Spitzenkandidatin Natascha Kohnen stinksauer war wegen der Maaßen-Entscheidung?

KEVIN KÜHNERT: Ja, und das war bei ihr auch überhaupt nicht wahltaktisch motiviert. Wer sich groß "Anstand" auf seine Wahlplakate schreibt, muss so handeln, wie sie es getan hat. Und sie hatte damit ja auch wesentlichen Anteil an der schließlich erfolgten Korrektur.

Sie erwarten von der SPD, für die Zumutungen in der GroKo eine "Schmerzgrenze" zu definieren und fragen, ob die SPD bereit ist, die GroKo bei weiteren Zumutungen von CSU-Seite notfalls auch platzen zu lassen. Kann das womöglich schon nach der Landtagswahl in Bayern der Fall sein?

KEVIN KÜHNERT: Solche Entscheidungen trifft man anlassbezogen, unabhängig von Wahlterminen, wenn im Zusammenhang mit einem politischen Konflikt der Koalition die Arbeitsgrundlage aufgekündigt wird. Man müsste einem Koalitionsvertrag allerdings ein Stil-Kapitel hinzufügen. Denn wenn Nazis und Rassisten auf die Straße gehen und den Hitlergruß zeigen, und Horst Seehofer sagt, wenn er nicht Innenminister wäre, stünde er auch dort auf der Straße — was muss denn da noch passieren? Das ist übrigens auch ein Zeichen für die Schwäche der Kanzlerin, die dem keinen Einhalt gebietet.

Apropos: Wie bewerten Sie die Selbstkritik Angela Merkels und den sehr widerwilligen Entschluss Andrea Nahles’, den Fall Maaßen nachzuverhandeln und Fehler einzugestehen?

KEVIN KÜHNERT: Es ist ja nie angenehm, Fehler einzugestehen, und es herrschte ja auch eine extreme Drucksituation, was man übrigens auch am Montag im Parteivorstand gemerkt hat. Ich möchte nicht mit Andrea Nahles tauschen, derzeit die Verantwortung zu tragen ist ein hartes Brot. Allerdings sieht man eben auch, dass die Partei funktioniert: Wenn die Spitze Fehler macht, muss die Basis aufbegehren — das ist die SPD! Und dass das durchgesetzt werden konnte, macht Hoffnung, dass die Partei selbstbewusster wird.

Manche werfen Ihnen vor, Sie seien mit schuld an katastrophalen Umfrageergebnissen der SPD, weil sie die Vorsitzende mit Ihrer Kritik von links immer wieder in Bedrängnis bringen, sie würde zwischen Ihnen und den Verfechtern der Staatsräson förmlich zerrieben.

KEVIN KÜHNERT: Also, auf unter 20 Prozent ist die SPD auch ohne mich gekommen, ich bin ja erst seit zehn Monaten im Amt. Und dieses Mantra von Ruhe und Geschlossenheit hat uns schon früher nicht weitergeholfen. Beim SPD-Parteitag im Januar gab es viel Streit, aber auch hohe Einschaltquoten — und am Ende 25 000 Parteieintritte, von denen wir Jusos uns durchaus einige zuschreiben können. Die Leute wollen keine erzwungene Harmonie, politischer Streit muss ausgetragen werden. Politik ist komplex, und das sollen die Menschen auch merken.

Gibt es eigentlich irgendetwas, was die GroKo Ihrer Ansicht nach in den letzten Monaten uneingeschränkt gut gemacht hat?

KEVIN KÜHNERT: Ja, natürlich. Zum Beispiel das gute Kita-Gesetz, bei dem 5,5 Milliarden Euro unter anderem für die Senkung der Beiträge und mehr Personal ausgegeben werden. Oder die Angleichung der Krankenkassen-Beiträge, und auch der allgemeinverbindliche Tarifvertrag für die Pflegebranche, der in Angriff genommen wurde.

Und was müsste sie dringend noch anpacken?

KEVIN KÜHNERT: Ein wichtiges Juso-Projekt ist das Berufsbildungsgesetz; das ist 50 Jahre alt, noch nie reformiert worden und beschreibt deshalb eine völlig veraltete Situation — ein duales Studium zum Beispiel gibt es darin gar nicht. Im Zuge dieser Reform möchten wir auch einen Mindestlohn für Azubis festschreiben, der bei 80 Prozent der durchschnittlichen tariflichen Ausbildungsvergütung liegen soll. Davon profitieren unter anderem Friseure und die Azubis im Einzelhandel und im Lebensmittelbereich ganz besonders.

Angesichts der Lage Ihrer Partei im Freistaat: Sind Sie froh, nicht in Bayern SPD-Mitglied zu sein?

KEVIN KÜHNERT:(lächelt) Nö. Ich bin wahnsinnig gerne hier, mache oft Urlaub in Bayern. Es wäre herausfordernd, hier SPD-Politik zu machen — aber ein leichtes politisches Pflaster habe ich ja auch in Berlin nicht.

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