Flüchtlingsstrom: Neue Situation für die Kitas

30.8.2015, 06:00 Uhr
Flüchtlingsstrom: Neue Situation für die Kitas

© Marianne Natalis

Wie gehen wir mit diesen traumatisierten Kindern um? Diese Frage stellen sich auch die Verantwortlichen an der Fachakademie für Sozialpädagogik der Hen­soltshöhe. Dort erhalten die angehenden Erzieher und Erzieherinnen nun ab dem kommenden Schuljahr die Möglichkeit, sich auf die Arbeit mit Flüchtlingskindern vorzubereiten.

Ob im Kindergarten, im Hort, im Jugendzentrum oder der Schule, die künftigen Erzieher werden in fast allen Bereichen ihrer Arbeit mit Flüchtlingen konfrontiert werden. Deshalb ist es der Fachakademie ein wichtiges Anliegen, den Studierenden ein professionelles Herangehen an diese Thematik zu ermöglichen, erläutert Siegfried Stoll. Dem Dozenten geht es dabei ebenso um die Vermittlung von Fachkompetenz wie auch um den Selbstschutz der künftigen Erzieher.

Ein Konzept, das bei den Praktikern gut ankommt. Schlicht „genial“ findet es beispielsweise die Leiterin des Familienzentrums Sonnenhof, Christiane Borchert, dass sich die Einrichtung der Problematik annimmt. Diana Leickert vom Kinder- und Familienzentrum Wilhelm Löhe bescheinigt der Fachakademie, mit dem neuen Angebot „am Puls der Zeit“ zu sein.

Erste Station

Die Kindergärten sind für die Flüchtlingskinder meist erste Station auf dem Weg in die hiesige Gesellschaft. Den Sonnenhof etwa besuchen derzeit sechs Kinder von Asylsuchenden, das Jugendamt hat dafür extra eine Platzerweiterung genehmigt. Mehr geht angesichts knapper personeller Ressourcen einfach nicht, schildert Borchert im Gespräch mit dem Altmühl-Boten eine Situation, die auch den anderen Kindertagesstätten in Gunzenhausen nicht fremd ist.

Die Kleinen, die in der Regel kein Deutsch sprechen, in den Kindergartenalltag zu integrieren, ist eine große Herausforderung. Dankbar ist Christiane Borchert deshalb für die Hilfe aus der Schwesternschaft, die 15 Wochenstunden für Sprach- und Integrationsangebote subventioniert. Dabei sei es aber sehr wichtig, erklärt Borchert, die Kleinen nicht ständig aus dem Kindergartenalltag herauszureißen und zu separieren.

Die Kommunikationsprobleme sind, weiß die stellvertretende Leiterin des katholischen Kindergartens St. Josef Marion Gabel, mit den Eltern oft größer als mit den Kindern, die sich relativ schnell in ihre neue Umgebung einfügen. Ganz alltägliche Dinge wie das Gespräch beim Abholen des Kindes darüber, wie der Tag gelaufen ist, scheitern an mangelnden Deutschkenntnissen. Umso schwieriger wird es, wenn Eltern noch nicht einmal nachvollziehen können, welchen Sinn und Zweck ein Kindergarten eigentlich hat, kennt auch Christiane Borchert die Verständnisprobleme.

Kreativität gefragt

„Viel Kreativität“ muss das Personal laut Borchert aufbringen, um all diese Sprachbarrieren zu umschiffen, und nicht nur die. Die Mitarbeiter sollten auch um die Besonderheiten der Kulturkreise, aus denen die Flüchtlinge kommen, wissen, um gegebenenfalls darauf Rücksicht nehmen zu können. Der Erwerb dieser „interkulturellen Kompetenz“ steht deshalb bei Siegfried Stoll ganz oben auf der Liste des Handwerkszeugs, das er seinen Studenten mitgeben möchte.
Unter denen ist das Interesse an dem freiwilligen Angebot groß: 70 angehende Erzieher nahmen nun an einer vorbereitenden Veranstaltung teil. Dort berichteten Christiane Borchert und Stefanie Schneider, die auf der Wülzburg zwei Wohngruppen mit Asylsuchenden leitet, von ihrer praktischen Arbeit mit Flüchtlingen.

Die Kinder und Jugendlichen vor dem Hintergrund ihrer Flucht zu stabilisieren, ist deshalb eine zentrale Aufgabe, die auf die Erzieher wartet. Die Studierenden werden aber auch erfahren, wie ein Asylverfahren abläuft und welche Behördengänge auf ihre Schützlinge warten. Wert legt Stoll ebenso darauf, dass sie vorhandene Netzwerke kennen und nutzen lernen. Kurz gesagt, will Stoll ab September einen pädagogischen, sozialen, psychologischen und gesetzlichen Rahmen zur Arbeit mit Flüchtlingen vermitteln.

Nicht zu kurz kommen darf in dieser Arbeit die eigene Standortbestimmung, das ist Stoll ebenfalls ein wichtiges Anliegen. Die Erzieher müssen wissen, wie viel sie sich selbst zumuten können, ob sie beispielsweise die Konfrontation mit den Traumata ihrer Schützlinge überhaupt verkraften. „Engagierte Distanz und distanziertes Engagement“ nennt Stoll als Schlagwort. Nur wer sich nicht auffressen lasse, sei auch fähig, wirklich Hilfe  zu leisten.

19 Nationen

Im „Haus für Kinder farbenfroh“ in der Theodor-Heuss-Straße sind derzeit aus Platzgründen keine Flüchtlingskinder untergebracht. Auch das Löhe-Familienzentrum kann keine zusätzlichen Kinder mehr aufnehmen. Probleme wie mangelnde bis keine Deutschkenntnisse gibt es dort allerdings auch. Derzeit werden dort Kinder aus 19 verschiedenen Nationen betreut. Das Projekt der Fachakademie begrüßt Diana Leickert deshalb sehr, zumal hier „die ganze Palette“ der Arbeit mit Flüchtlingen abgedeckt werde.

Notwendig ist die Professionalisierung dieser Arbeit vor allem mit Blick auf die erlittenen seelischen Verletzungen. Rund 80 Prozent aller Flüchtlinge sind traumatisiert, erläutert Stoll. Sie müssen dabei nicht unbedingt die schlimmsten Auswüchse der Unmenschlichkeit erlebt haben, für Kinder kann es schon ausreichen, wenn sie von heute auf morgen ihr Elternhaus, ihre vertraute Umgebung verlassen müssen, gibt der Dozent zu bedenken. Mit diesen Erfahrungen müssen die Kinder lernen umzugehen.

Darüber hinaus gelte es aber, die Kinder und Jugendlichen nicht allein auf Trauma und Flucht zu reduzieren. Sie sind Menschen mit einer Geschichte, mit Fähigkeiten, mit Wünschen, betont Stoll. Ihrer gelungenen Flucht auch positive Aspekte abzugewinnen, sei ein wichtiges Ziel: Sie haben schließlich ihr Leben in die Hand genommen und es in ein sicheres Land geschafft. Daran müsse man sie erinnern, so Stoll, denn „das ist eine starke Leistung“.

Auch die Schulen in Bayern stellen sich der neuen Herausforderung: Etwa 50.000 Flüchtlingskinder werden zu Schuljahresbeginn erwartet.