"Frau Müller muss weg" in Gunzenhäuser Stadthalle

17.10.2016, 17:21 Uhr

© Wolfgang Dressler

Dieses Problem taucht im Laufe eines vergnüglichen Theaterabends in der Gunzenhäuser Stadthalle auf. Dort steht das Erfolgsstück „Frau Müller muss weg“ auf dem Spielplan der neuen Saison. Diese Sabine Müller (Claudia Rieschel) hat ebenfalls Probleme, nicht zuletzt mit den Schülern der 4b, die leistungsmäßig abfallen und bald das Übertrittszeugnis erhalten. Die Zeit der Entscheidung rückt also näher, und das macht den Eltern (!) gewaltig Stress. Gymnasium für den Schützling muss schon sein, ansonsten geht die Welt unter. Wenn es nur Realschule wird, könnte man vielleicht weiterleben.

So tickt Jessica Höfel (Gerit Kling) aus Mannheim, als Mitarbeiterin der Staatskanzlei auf der Erfolgsspur und zudem Elternsprecherin der 4b. Auch der arbeitslose Ossi Wolf Heider (Wolfgang Seidenberg), recht flegelhaft, recht sympathisch, wünscht für sein Kind den schulischen Aufstieg. Bleibt noch die alleinerziehende Katja Grabowski (Iris Boss), ebenfalls aus dem Osten, deren Sohn beste Noten mit nach Haus bringt. Sie braucht sich also bei der alles entscheidenden Frage keine Sorgen zu machen. Den Elternabend, an dem es zum großen Showdown kommen soll, besucht sie trotzdem, aus Solidarität, wie sie sagt.

Damit ist in dieser Komödie von Lutz Hübner das Feld bereitet. Die Eltern wollen gar nicht wissen, ob Frau Müller eine gute oder schlechte Lehrerin ist, sie wollen auch ausblenden, ob ihre Kinder Schwächen, Defizite und sonstige „Störungen“ haben, und es ist ihnen auch egal, ob ihre eigene Erziehungsarbeit fruchtet oder nicht. Das Einzige, was zählt, ist das Übertrittszeugnis, und weil es in der 4b nun einmal notenmäßig bröckelt, muss Frau Müller die Klasse aufgeben. Das Ganze kann man ja geheim halten, damit niemand sein Gesicht verliert. Aus der glatten Mobbing-Aktion, die die smarte Jessica Höfel angeleiert hat, wird aber nichts. Schon bald wird erkennbar, dass die Lehrerin die einzige Vernünftige in diesem ganzen Elterngespräch-Haufen ist. Sie macht ihren Beruf gerne, sie mag im Grunde die Kinder, sie weiß, dass ihr nicht alles gelingt. Und sie ist ehrlich genug auszusprechen, dass sie nicht immer alle Kinder sympathisch finden kann. Ein klein wenig Selbstüberschätzung („bin das beste Pferd im Stall“) mag auch mitschwingen. Frau Müller ist eine Lehrerin und keine Pädagogik-Göttin.

Die fünf Eltern, die gekommen sind, geben kein besonders gutes Bild ab. Da tauchen massive Probleme auf (von denen gibt es an diesem Abend mehr als genug), sei es die Ehe, der Beruf, eine Affäre, die einfach zu kompliziert wurde, oder das Überbehüten wie auch das Vernachlässigen des Kindes. All das kommt aufs Tapet, manchmals so richtig brutal. Insofern muss man Frau Müller recht geben, als sie sagt: „Fassen Sie sich mal an die eigene Nase, anstatt die Schule für ihre Fehler verantwortlich zu machen.“

Geht es nicht doch auch um Prinzipien? Die Antwort fällt ernüchternd aus: Nur die Noten zählen. Die Eltern sind sich nicht zu schade, ins Notenbuch von Frau Müller zu blicken. Zur allgemeinen Überraschung sind die mündliche Noten besser als gedacht. Bei dieser Ausgangslage darf Frau Müller bleiben, ja sie muss nun bleiben, denn eine andere Lehrerin brächte wieder Risiko ins Spiel.

Der ganze Zynismus der Eltern wird erkennbar, als Frau Müller erkennt, dass in ihrer Tasche der Notenzettel vom vergangenen Schuljahr steckte. Jetzt sind die Revolutionäre von eben, die sich auf die Schnelle in Schmusekater verwandelten, die Gelackmeierten. Mit dem guten Übertrittszeugnis wird es wohl bei den meisten nichts. Das Publikum findet im Lauf des Abends immer mehr Gefallen an dem Stück. Da wird sehr gute Schauspielkost serviert, etwa von Thomas Martin, der sich als heimlicher Star entpuppt, weil sein Patrick Jeskow einerseits in der Ehe nichts zu lachen hat, andererseits alles andere als auf den Mund gefallen ist. „Frau Müller muss weg“ ist klug geschrieben, verzichtet auf billige Gags. Die Zuschauer fühlen sich an eigene Elternabende erinnert und besonders an die Zeit, als Tochter oder Sohn in die vierte Klasse gingen. Manchmal ist Theater so treffend, dass einem das Lachen fast im Halse stecken bleibt.

 

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