Gewalt im Klinikum: "Müssen Mitarbeiter schützen"

14.2.2019, 05:55 Uhr
Gewalt im Klinikum:

© Foto: Marianne Natalis

Nachdem es immer öfter zu Übergriffen in den Notaufnahmen und auf den Stationen kommt, ist Sicherheit im Krankenhaus ein Riesenthema geworden. Auch am Klinikum Altmühlfranken Gunzenhausen geht dieser fatale Trend nicht vorbei, allerdings hält sich die Zahl der Vorfälle sehr in Grenzen, berichtet Klinikvorstand Jürgen Winter auf Anfrage des Altmühl-Boten.

Doch ignorieren will und kann Winter das nicht, denn "wir müssen darauf achten, dass wir unsere Mitarbeiter schützen". Deshalb sind er und Pflegedirektorin Cornelia Kerschbaum froh, mit Tobias Koglin (Weißenburg) und Stephanie Kolb (Gunzenhausen) zwei examinierte Fachkräfte gefunden zu haben, die sich diesem Thema angenommen haben und ab März das Personal in beiden Häusern entsprechend schulen werden.

Die Fallzahlen sind, obwohl sie sich gegenüber dem Vorjahr verdoppelt haben, immer noch verschwindend gering. Deshalb verwundert es zunächst, wenn Tobias Koglin sagt: "Ich habe immer Situationen, die deeskaliert werden können." Man brauche diese Ausbildung im Alltag eigentlich ständig, fügt Stephanie Kolb an. Denn Deeskalationmanagement will bereits die Entstehung von Gewalt und Aggression verhindern.

So stehen bei der ersten der insgesamt sieben Deeskalationsstufen die strukturellen Rahmenbedingungen auf dem Prüfstand. Wie ist etwa der Empfangsbereich gestaltet, wie sind die Lichtverhältnisse, was passiert im Wartezimmer, all das sind Fragen, mit denen sich die Deeskalationstrainer nun befassen.

Blickt Stephanie Kolb dabei in den Wartebereich der Notaufnahme am Gunzenhäuser Krankenhaus, dann ist sie nicht wirklich glücklich und macht das auch gleich an einem Beispiel fest: Die Patienten sitzen so, dass sie die anderen Wartenden im Blick haben. Nun gibt es dort aber Patienten, die einen festen Termin haben (etwa beim Röntgen) und deshalb schon nach kurzer Zeit aufgerufen werden. Das verursacht bei denjenigen, die womöglich mit einem tiefen Schnitt im Daumen in das Haus am Reutberg gekommen sind und nun schon länger warten, Ärger.

Information ist wichtig

Information ist deshalb ein ganz wichtiger Teil des Deeskalationstrainings. Weiß der Daumen-Patient, dass der andere nicht vor ihm dran kommt, sondern ganz woanders, dann muss er sich auch nicht ärgern. Und ebenso wichtig ist es, wie ich die Information an den Mann beziehungsweise den Patienten bringe. Wurde etwa ein falsches Essen geliefert, ist es sicher hilfreich, wenn man dem Betroffenen versichert, dass man sich darum kümmern werde, anstatt einfach festzustellen, dass er da heute wohl Pech gehabt habe, beschreibt es Stephanie Kolb treffend.

Ein Punkt, der bei den Patienten immer wieder für Ärger sorgt, sind die Arztbriefe, die sie in der Regel bei ihrer Entlassung mitbekommen. Manche Patienten sitzen, wenn sie erfahren, dass sie an diesem Tag nach Hause dürfen, schon Minuten später auf ihrem gepackten Köfferchen und verstehen nicht, warum sie jetzt noch so lange warten müssen. Dass der Arztbrief zu diesem Zeitpunkt womöglich noch nicht einmal diktiert ist, wissen sie nicht. Da ist es am Pflegepersonal als Ansprechpartner auf Station, zu vermitteln, warum das Schreiben so lange auf sich warten lässt. (Nach dem Diktieren muss es geschrieben und gegengelesen werden, womöglich sind Korrekturen notwendig. Schließlich muss der behandelnde Arzt auch noch unterschreiben.)

Wichtig, sagt Tobias Koglin, ist die Grundhaltung, mit der man dem Patienten gegenübertritt. Wie spreche ich mit ihm? Wie nehme ich seine Situation wahr? Das sind die Fragen, die sich die Pflegekräfte stellen sollten — und zwar trotz allem Zeitdruck. Denn letztendlich verhindere man so, dass Situationen womöglich später aus dem Ruder laufen.

Bei der Fortbildung am Institut für Professionelles Deeskalationsmanagement (ProDeMa) geht es nicht allein um theoretisches Wissen, es werden auch viele Situationen nachgestellt und vor allem: auf Video aufgenommen.

So können die Teilnehmer ihr eigenes Verhalten analysieren, was einen "enormen Lerneffekt" mit sich brachte, ist Koglin immer noch ganz begeistert. Man sehe genau, wie man etwa zum Patienten steht, ob man ihm zu nahe gerückt ist, ob man zu leise spricht und ähnliches.

Oft sprechen Pflegekräfte den Patienten am Kopfende des Bettes an. Viel besser aber ist es, haben Kolb und Koglin nun gelernt, vom Fußende aus mit ihm zu reden. So hält man Abstand, und der Patient hat den Mitarbeiter gut im Blick. Ist die Situation aber bereits unrettbar verloren, dann hilft womöglich ein einfacher Trick: laut "Stopp" zu rufen. Das schafft eine Grenze, so Koglin, und die anderen Mitarbeiter nehmen wahr, dass gerade etwas schief läuft. Wenn man allerdings keinen Kontakt mehr zu der Person bekommt, dann gibt es auch Abwehr- und Fluchttechniken. Allerdings sind sie das allerletzte Mittel, betonten die beiden angehenden Deeskalationstrainer.

Die Mitarbeiter müssen, sagt Pflegedienstleiterin Cornelia Kerschbaum, auch immer bedenken, dass sich ein Patient in einer besonderen Situation befindet. Er wurde womöglich durch einen Unfall aus seinem Alltag herausgerissen, hatte für den Tag sicher andere Pläne, als im Krankenhaus zu landen. Viele reagieren deshalb auch anders, als sie es normalerweise tun würden.

Nicht persönlich nehmen

Zudem macht es einen Unterschied, ob man einen ausfallend werdenden, verunglückten Betrunkenen vor sich hat, einen Demenzkranken, der womöglich nach einem schlägt, oder einen trauernden Angehörigen, der sich den Verlust aus der Seele schreit. Die Pflegekraft muss abstrahieren können und das Verhalten des Patienten nicht persönlich nehmen, betonten Koglin und Kolb.

Wenn man das verinnerlicht und den Patienten immer professionell begegnet, dann erleichtert das auch langfristig die Arbeit, ist sich Kerschbaum sicher. Werden so doch Situationen vermieden, aus denen man am Ende nur mit viel Aufwand wieder herauskommt.

Ende Februar werden Tobias Koglin und Stephanie Kolb ihre Ausbildung zum Deeskalationstrainer in Stuttgart abschließen, und bereits im März geht es mit den dreitägigen Mitarbeiterschulungen los. Das Wissen der beiden soll in beiden Häusern möglichst breit gestreut werden.

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