Gnotzheimer schrieb bewegenden Feldpostbrief

23.12.2016, 17:17 Uhr
Gnotzheimer schrieb bewegenden Feldpostbrief

© privat

Vor 100 Jahren sah das ganz anders aus: Im Ersten Weltkrieg mussten Deutsche gegen Franzosen kämpfen, die Mächtigen hatten es so beschlossen. Aufgehetzt von Heerführern und Politikern, standen sich Soldaten beider Lager als „Erbfeinde“ gegenüber.

Auch der Gnotzheimer Schreinermeister Franz Scheurer sah sich genötigt, seinen Arbeitskittel gegen den Waffenrock zu tauschen. Im besten Mannesalter von 28 Jahren wurden er sowie seine Freunde Fritz Gentner (Brauerei Spielberg), Daniel Kamm, Melchior Bauer und Sepp Krach an die Westfront nahe der Gemeinde Vimy abgezogen. Von dort schrieb er am 23. Dezember 1914, also vor 102 Jahren, einen bewegenden Brief an seinen jüngeren Bruder Johann, der auch in „Gnotza“ dem Schreinerhandwerk nachging.

Damit sich Geschichte nicht wiederholt, ist es unerlässlich, Vergangenes nie in Vergessenheit geraten zu lassen. Einer, der sich heutzutage mit historischen Ereignissen im Allgemeinen und Ahnenforschung im Besonderen auseinandersetzt, ist der ebenfalls in Gnotzheim ansässige Schreinermeister Franz Merk, ein direkter Nachfahre der Scheurers. In seiner Freizeit widmet er sich der Suche nach Zeitdokumenten. Im Zuge dieser „Recherchen“ stieß er in einer alten Blechdose unter anderem auf das an seinen Großvater Johann Scheurer adressierte Original-Schriftstück von dessen Bruder Franz.

Darin ist in altdeutscher Schrift folgender Wortlaut zu Papier gebracht:

Gnotzheimer schrieb bewegenden Feldpostbrief

© Uli Gruber

„Lieber Bruder! Deinen Brief habe ich erhalten, besten Dank dafür und habe gelesen daß es Dir so weit gut geht. Lieber Hans du kannst von einem Glück sagen, bist doch von diesen Strapazen erledigt (Johann Scheurer war als Sanitätsgefreiter des 13. Infanterie-Regiments wegen einer Verwundung bereits Anfang November entlassen worden; Anm. der Red.). Auch fragst Du, ob ich Paket erhalte? Warum nicht, wenn die Adresse an mich geschrieben ist. Bin Gott sei Dank immer gesund was ich auch von Dir hoffe. Wenn es nur einmal Frieden wäre, bin schon seit Anfang immer im Dienst, noch keine Stunde weg, da bekommt man genug, habe schon viel durchmachen müssen, doch bitte und danke Gott das er mich soweit gesund erhalten hat, wird mich ferner noch beschützen und vor Unglück bewahren, auf daß ich einst als Krieger gesund in die Heimat ziehen kann, so Gott will.

Morgen Nacht kommen wir um 12 Uhr in die Christmette wenn wir noch leben. Haben Abend Christbaumfeier, wird sehr schön, gibt 2 Ltr. bayerisches Bier pro Mann, habe seit August keinen Tropfen mehr getrunken, weiß gar nicht mehr wie es schmeckt. Heut Abend muß ich wieder in Schützengraben, komme morgen Abend wieder, wenn Gott’s Wille, wieder glücklich retour, dann beginnt die Feier, worauf wir in die Mette gehen. Wünsche Dir auch fröhliche Weihnachten und glücklich neues Jahr und ein bald gesundes Wiedersehen.

Grüßt dich herzlich dein Bruder Franz. Viele Grüße von Gentner Fritz, Daniel, Melcher und Krach Sepp, er ist auch hier seit 14 Tagen. Leb wohl auf’s Wiedersehen. Brauchst keinen Schnupftabak, habe 3 Büchsen, eine von Vater, Schuler und Kirchenhauser.“

Franz Scheurer hat das Inferno überlebt und ist in die Heimat zurückgekehrt. Allerdings nicht unbeschadet. Nach einer Sehnenquetschung des linken Arms und ausgerenkten Schulter wurde er Mitte Mai 1916 ins Feldlazarett 6 nach Remy verlegt. Bis Ende Juli folgten weitere Krankenstationen in Cambrai und Remagen, ehe der Patient endgültig ausgemustert wurde. Franz Scheurer bekam als „Auszeichnung“ das Eiserne Kreuz 2. Klasse verliehen. Im zivilen Leben ging er wieder seiner Berufung als Schreinermeister nach, betrieb nebenher eine kleine Landwirtschaft und fungierte darüber hinaus als Fleischbeschauer. Am 17. Dezember 1965 starb er als angesehener Bürger mit 79 Jahren.

Franz Merk ist auch im Besitz der sogenannten „Kriegsstammrolle“ von Franz Scheurer. Daraus gehen dessen militärischer Werdegang und seine Einsatzorte hervor. Gemessen an heutigen Verhältnissen in unserem Land muten diese bizarren Erfahrungen eines noch relativ jungen Burschen aus der fränkischen Provinz völlig absurd und grotesk an. Tod und Verderben als ständige Begleiter. Scheurer nahm an den Schlachten und Stellungskämpfen um Lothringen, Nancy-Epinal, Arras, Artois und La Bassée teil. Es kann nur darüber spekuliert werden, wie der Gnotzheimer das tägliche Horrorszenario an der Front wahrgenommen und insbesondere verarbeitet hat. Wie die allermeisten Soldaten ist vermutlich auch Scheurer vom (Un)geist seiner Zeit geprägt gewesen. Es war halt so. Dem Einzelnen blieb nichts übrig, als das Beste aus der erzwungenen Situation zu machen.

Welch ein Segen, im Deutschland des frühen 21. Jahrhunderts leben zu dürfen. Vielleicht ist es lediglich die Gnade der späten Geburt, die der heutigen Generation eine subjektive Einschätzung der Geschehnisse von einst erlaubt. Um sich nur ansatzweise in die Seele und Gedankenwelt beispielsweise von Franz Scheurer hineinversetzen zu können, bedarf es gewiss großer Sorgfalt.

In dieser Hinsicht geht „Ahnenforscher“ Franz Merk mit gutem Beispiel voran. Er gibt sich nicht mit Daten und Fakten zufrieden, sondern bemüht sich gleichermaßen um die Episoden dahinter. In diesem Sinn: Weiter so und frohe Weihnachten!

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