"Jüdisches Leben"

Gunzenhausen: Ein Projekt, das noch immer reiche Früchte trägt

20.3.2019, 18:26 Uhr
Rathauschef Karl-Heinz Fitz zeichnete nach, was das Besondere am Schulprojekt war und ist, und übergab den ersten Kulturpreis der Stadt Gunzenhausen an Emmi Hetzner und Franz Müller.

© Wolfgang Dressler Rathauschef Karl-Heinz Fitz zeichnete nach, was das Besondere am Schulprojekt war und ist, und übergab den ersten Kulturpreis der Stadt Gunzenhausen an Emmi Hetzner und Franz Müller.

Ihr im Jahr 2000 gestartetes Projekt hieß "Jüdisches Leben in Deutschland". Die Geschichte jüdischer Familien und ehemals jüdischer Wohnhäuser im Gunzenhausen des 20. Jahrhunderts sollte erforscht werden, und zwar von Schülern. Die Idee kam von Franz Müller, an der Umsetzung war Emmi Hetzner sehr interessiert. Beide gingen von einer Projektdauer von ein bis zwei Jahren aus — ein Trugschluss. Seit damals inspirierte, leitete und begleitete Emmi Hetzner unzählige Hauptschulklassen. Sie bewies Begeisterung, Ausdauer, Stehvermögen, und das übertrug sich auf viele andere. Später hieß es, 2007 oder 2013 werde dann Schluss sein, aber es gibt bis heute kein Ende.

Von Anfang an war daran gedacht, "Kontakte mit eventuellen Nachkommen in aller Welt" zu knüpfen, und auch das gelang. Hier spielte das neue Kommunikationsmittel Internet die entscheidende Rolle. Im Jahr 2000 wurden erste Ergebnisse ins Netz gestellt. Es meldeten sich Angehörige und Nachkommen von Juden, die einst in Gunzenhausen zu Hause waren.

Hausbesitzer kooperierten

"Franz war ein wertvoller Ratgeber und Mitarbeiter", bilanzierte Emmi Hetzner am Dienstag. Vor allem war sie immer wieder davon angetan, dass ihre Schüler engagiert mitmachten. Sie waren an Ortsgeschichte, an Personen und an Technik interessiert — das passte zusammen. Viele Hausbesitzer in Gunzenhausen wurden angesprochen, und fast alle gaben bereitwillig Auskunft. So ergaben sich viele jüdische Haus- und Familiengeschichten, die von den Schülern aufgeschrieben und ins Netz gestellt wurden.

Der internationale Charakter des Schulprojekts nahm immer mehr zu. Die Ergebnisse wurden ins Englische übertragen. Im Rathaus, in der Schule und bei Emmi Hetzner persönlich haben sich immer wieder Menschen aus aller Welt gemeldet. Sie wollten hören, wo und wie die Eltern oder Großeltern einst lebten. Der Schatten, den der Nationalsozialismus und der Holocaust auf die Geschichte der einstigen jüdischen Gemeinde wirft, ist nicht zu leugnen. Das persönliche Element, die Spaziergänge durch die Stadt, die gemeinsamen Stunden am Kaffeetisch der Familie Hetzner bewirkten jedoch, dass die Erinnerung "etwas Versöhnliches" bekam. Dankbar sind Franz Müller und Emmi Hetzner (beide längst im Ruhestand), dass sie im Rathaus auf Verständnis stießen und immer wieder konkrete Unterstützung erhielten. Es fielen die Namen Werner Mühlhäußer (Stadtarchivar) und Horst Schäfer (städtischer Medienbeauftragter). Emmi Hetzner merkte auch an, dass alle Bürgermeister — von Gerhard Trautner über Joachim Federschmidt bis Karl-Heinz Fitz — hinter dem Projekt standen. Sie hätten sich Zeit für die jüdischen Gäste genommen. Und bereits Willi Hilpert habe solche persönlichen Begegnungen gepflegt.

Vielfache Anerkennung

Das Schulprojekt (www.jl-gunzenhausen.de) ist inzwischen auch offiziell unter dem Dach des Rathauses angesiedelt. Es erhielt vielfache Anerkennung, etwa vonseiten der SPD (Karl-Heinz-Hiersemann-Preis) und der Landeskirche (Wilhelm Freiherr von Pechmann-Preis). Zudem erhielt es den dritten Preis beim Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten. Im Jahr 2013 erfuhr die Webseite eine umfassende Modernisierung über eine Kooperation der Stadt Gunzenhausen mit der Hochschule Ansbach. Hier übernahm Professor Dr. Helmut Roderus die Federführung.

Franz Müller geht fest davon aus, dass das Projekt fortgeführt wird. Zum vollständigen Bild gehört aber auch, dass sich kein Lehrer fand, der die Nachfolge von Emmi Hetzner antreten wollte. Und es muss auch gesagt werden, dass bereits in der Anfangsphase Drohbriefe an die Stephani-Schule gingen.

Eigens zur Preisverleihung war Faye Dottheim Brooks nach Gunzenhausen gekommen. Emmi Hetzner konnte es kaum glauben.

Eigens zur Preisverleihung war Faye Dottheim Brooks nach Gunzenhausen gekommen. Emmi Hetzner konnte es kaum glauben. © Wolfgang Dressler

Bürgermeister Karl-Heinz Fitz fasste in seiner Laudatio die Intention des Projekts so zusammen: Man habe einen Teil der Geschichte von Gunzenhausen aufarbeiten wollen, und zwar mit Offenheit, Respekt, Demut und Mut für die Zukunft. Der Dank gelte denjenigen, die es angepackt hätten. Franz Müller habe über Jahrzehnte hinweg das schulische Leben in der Stadt geprägt. Er habe in dem Pädagogen Heinrich Stephani sein Vorbild gesehen. Müller habe sich schon früh für die neuen Medien interessiert, und er habe mit Emmi Hetzner eine Kollegin an der Seite gehabt, die auf Worte Taten folgen ließ. Das Projekt sei weit über das hinausgegangen, was im Lehrplan stehe. Die Lehrerin sei mit Leidenschaft und Nachhaltigkeit ans Werk gegangen. So seien ab dem Jahr 2000 die richtigen Personen und die richtige Technik zusammengekommen. Das Rathaus habe gerne seinen Teil zum Erfolg beigetragen. Und: Ein solches Projekt "steht einer Stadt wie Gunzenhausen gut zu Gesicht".

Karl-Heinz Fitz erwähnte, dass Stephani-Schüler immer wieder die städtische Erinnerungsfeier zur Reichspogromnacht an jedem 9. November mitgestalteten. Den Bogen in die Zukunft schlug er mit dem Hinweis auf den künftigen Jugendaustausch mit der israelischen Stadt Rishon LeZion. Er hoffe hier auf einen Brückenschlag zwischen den beiden Ländern, zwischen christlicher und jüdischer Kultur.

Christian Rösner hat bereits einige Skulpturen geschaffen, die in Gunzenhausen ihren Platz gefunden haben. Der Kulturpreis kommt jetzt hinzu.

Christian Rösner hat bereits einige Skulpturen geschaffen, die in Gunzenhausen ihren Platz gefunden haben. Der Kulturpreis kommt jetzt hinzu. © Wolfgang Dressler

Der Kulturpreis besteht in Form von kleinen Bronzeskulpturen aus der Werkstatt des Nürnberger Künstlers Christian Rösner. Eine weibliche Figur gibt einen Vogel zum Flug frei, das soll das Zusammenfinden von Kulturen symbolisieren, so der Bürgermeister. Auch künftig wird die Stadt den Kulturpreis an verdiente Persönlichkeiten verleihen, eine zeitliche Festlegung, in welchem zeitlichen Abstand das geschehen soll, besteht nicht. Im Fall von Franz Müller und Emmi Hetzner standen die künftigen Preisträger schon früh fest, es dauerte allerdings geraume Zeit, bis bei den Skulpturen aus der Absicht Wirklichkeit wurde.

Die Feierstunde im Markgrafensaal wurde musikalisch begleitet von Uta Kohler, Anna Klotz, Christoph Klotz, Almut Pfahler und Max Pfahler.

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