Gunzenhausen: Ernsthafte Debatte statt Action wie sonst

5.10.2018, 06:12 Uhr
Gunzenhausen: Ernsthafte Debatte statt Action wie sonst

© Reinhard Krüger

Wenn es darum geht, den bildungspolitischen Auftrag eines KJR in die Tat umzusetzen, setzen die Verantwortlichen der beiden Landkreise starke Akzente. Bereits zur Bundestagswahl luden sie Kandidaten zu einer Podiumsrunde ein — mit Erfolg. "Wir waren in Bayern die ersten, die solch ein Format kreiert haben", erzählte der Ansbacher KJR-Vorsitzende Maximilian Mattausch stolz. Zusammen mit seinem Kollegen Diakon Frank Schleicher aus Weißenburg samt den beiden Vorständen hatte der 29-jährige studierte Historiker den Abend im Kino akribisch vorbereitet. Der Clou: Die Veranstaltung wurde live ins Internet übertragen, und über Twitter konnten Interessierte sogar Fragen an die Politiker stellen. Gar nicht so einfach, alle Kandidaten bei den vielen Terminen auf diesen einen einzuschwören. Leider sagte Gabriele Bartram von der FDP aus beruflichen Gründen kurzfristig ab. Siegfried Lang von der AFD erschien nicht, "ohne sich zu entschuldigen", so Frank Schleicher. Dafür traten Manuel Westphal (44, CSU), Harald Dösel (45, SPD), Winfried Kucher (64, Grüne), Wolfgang Hauber (59, Freie Wähler), Reinhard Ebert (54, ÖDP) und Heinz Rettlinger (63, Die Linke) zum Rededuell an.

Wo sonst Action-Reißer, Komödien und Kinderfilme gezeigt werden, werben an diesem Abend die Kandidaten um die Gunst des Publikums. Eine reine Männerriege. Schade eigentlich. Das Publikum macht sich in den Kinosesseln bequem. Statt Bruce Willis oder Jason Statham, wie sonst, tritt Frank Schleicher auf. Er spricht von demokratischen Prozessen und dass es darum geht, junge Menschen so zu stärken, dass sie nicht anfällig werden für populistische oder rassistische Verführer. "Demokratie tut manchmal weh", sagt der Weißenburger KJR-Chef, "weil ich die Meinung des Anderen respektieren muss".

Mitten im Publikum sitzen Annalena (19) aus Merkendorf und ihre Freundin Amelie (20) aus Triesdorf. Warum? "Es interessiert uns", sagen die beiden und gestehen dann, "dass unser Lehrer zu diesem Abend" die Klasse eingeladen hat. Die beiden besuchen die Triesdorfer Fachoberschule, Harald Dösel heißt ihr Lehrer. Aha. Der SPD-Mann hat gerade das Wort. Ganz aufgeregt schauen die jungen Damen hinunter. Ein neues Gefühl, den Lehrer in dieser Rolle zu erleben. Und was interessiert sonst? "Umweltpolitik und Kohleausstieg", sagt Annalena. Sie selbst hat ihre Kreuze schon per Briefwahl gesetzt. "Trotzdem will ich wissen, was die anderen Parteien so zu sagen haben."

Der Jüngste in der Runde ist der Meinheimer CSU-Landtagsabgeordnete Manuel Westphal. Moderator Maximilian Mattausch ruft als Erstes das Thema Bildung auf. Westphal spricht vom kurzen Weg für kurze Beine besonders bei der Grundschule. Er wirbt für ein durchlässiges und gegliederte Schulsystem, während Lehrer Dösel meint, dass Bildung viel zu stark vom Geldbeutel der Eltern abhänge. Annalena nickt.

Gunzenhausen: Ernsthafte Debatte statt Action wie sonst

© Reinhard Krüger

Es geht um G 8 und G 9 und um gute Ganztageskonzepte. Gestritten wird selten bis nie, die Akzente werden unterschiedlich gesetzt. Mal wird vom Polizeibeamten Hauber eine "analoge Bildung in der Grundschule" gefordert, mal solle die Alltagskompetenz gestärkt werden. Da kommt die erste Frage über Twitter: "Wie sieht es mit der Ganztagesbetreuung auf dem Land aus?" Nicht nur in den Großstädten werden zwei Gehälter zum Leben in der heutigen Zeit benötigt, auch auf dem vielzitierten flachen Land. Es wird viel gesprochen, jeder soll in etwa die gleiche Redezeit erhalten, merkt der Moderator an. Lange Monologe bleiben komplett aus. Nicht ein Mal muss der Dinkelsbühler Mattausch "reingrätschen". Überhaupt – der Ton untereinander ist moderat, manchmal stimmt man den politischen Gegner zu, manchmal setzt es eigene Akzente. Streitpunkte gibt es kaum. Das Publikum ist ruhig, selten gibt es Applaus, die zwei jungen Frauen verfolgen stumm und interessiert das Geschehen.

Bildung nimmt über eine Stunde Raum ein, kein Wunder, schließlich wollen die Jungwähler wissen, wer für sie die besseren Konzepte hat. Den "Akademisierungwahn" prangert ÖDP-Mann Ebert an, während CSU-Politiker Westphal den Menschen in den Mittelpunkt gerückt haben will. "Der Abschluss muss zu ihm passen." Der Stellenwert und das Image des Handwerks werden ebenso diskutiert wie der Verdienst von Altenpflegern und Erziehern. Endlich Beifall. Weiter geht es mit "verfaulten Ortskernen wie Heidenheim" (Ebert) und welche Möglichkeiten Kommunen haben, Flächenfraß und Leerstand zu verhindern. Mobilität und Land sind Gegensätze. "Fahren Sie mal öffentlich von Gerolfingen nach Treuchtlingen", provoziert Mattausch die Teilnehmer. Dreieinhalb Stunden dauere das. Auch wenn Heinz Rettlinger von den Linken den kompletten Ausbau des ÖPNV fordert, muss auch er eingestehen, dass zuviel "Geisterbusse" herumfahren.

Nachfrage bei Annalena: "Auto?" Antwort: "Was sonst". Stadtlinien wie in Gunzenhausen laufen "erstaunlich gut", sagt ÖDP-Mann Ebert, ansonsten herrscht Einigkeit, dass kreative Lösungen wie Anrufbus gerade im ländlich geprägten Westmittelfranken gefragt sind.

Nächstes Thema: Internet. Kongo und Albanien haben schnelleres Internet als so mancher Landstrich in Deutschland, behauptet Mattausch. Warum? Weil wir keine staatliche Hoheit haben, sondern es dem Markt überlassen haben. Ein Megathema der Zukunft. Applaus von allen Seiten. Der Staat soll in die Pflicht genommen werden. Applaus. Gegenentwurf Westphal: In seinem Heimatdorf Meinheim hat jeder Haushalt, der es wünscht, schnelles Breitbandkabel. Warum? Weil die klugen Meinheimer beizeiten Leerrohre bei Baumaßnahmen im Dorf verlegen ließen. "Und das alles ohne jegliche Förderung", meint der Politiker stolz. Es gibt sie also, die kreativen Lösungen.

Und zu guter Letzt: Migration als Chance, so die offene Frage mit der Bitte um eine 30-Sekunden-Antwort: Chance und Herausforderung (Westphal); es gibt auch Probleme, gerade in Heidenheim (Ebert); Migration auf lange Sicht ein Plus (Dösel); riesige Chance und kulturelle Möglichkeiten (Kucher); für beiden Seiten Chancen (Rettlinger). Leider keine Diskussion mehr, die Zeit ist abgelaufen. Letzter Appell: "Geht am 14. Oktober wählen."

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© Reinhard Krüger

Und wie war’s? "Fand ich insgesamt gut", sagt Amelia. Annalena hat ja bereits gewählt. Sieht sie sich durch "Roasted" bestätigt? "Na, klar, alles gut" und verschwindet mit Freundin Amelia ins Kino-Foyer, wo gegrillte Bratwurst-Semmel warten. Was bleibt? Ein starkes Format, das die beiden Kreisjugendringe auf die Beine gestellt haben. Harte Auseinandersetzungen bleiben aus. Interessierte jugendliche Wähler haben alle Kanäle genutzt, um sich zu informieren. Politikverdrossenheit sieht anders aus.

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