Gunzenhausen: "Spinner" sind längst Respektspersonen

23.5.2017, 07:03 Uhr
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Wobei sich die Grünen der Ironie dahinter durchaus bewusst sind, allerdings auch kein Problem damit haben. Sie haben sich längst "mit dem Schiff ausgesöhnt", wie es Peter Schnell formuliert. Es war auch weniger die Tatsache, dass ein Bötchen über das Gewässer vor den Toren der Stadt schippern sollte, sondern vielmehr die Befürchtung, dass dort eine Art "Disneyland" entstehen könnte, erinnert sich das Gründungsmitglied in einem Gespräch mit dem Altmühl-Boten, der die Ökopartei in dieser Sache auf den Plan rief.

Am Anfang stand aber zunächst die ganz große Katastrophe, der tatsächliche Super-Gau, der dazu führte, dass im Jahr 1987 ein Gunzenhäuser Grünen-Ortsverband aus der Taufe gehoben wurde. Ein Jahr vorher war das Atomkraftwerk in Tschernobyl explodiert und hatte die schlimmsten Befürchtungen der Anti-AKW-Bewegung bestätigt.

Wie in vielen Orten in Süddeutschland, das von der radioaktiven Wolke sehr stark betroffen war, wurde auch in Gunzenhausen Freilandsalat weggeschmissen, Milch ausgekippt und in den Kindergärten der Spielsand ausgetauscht. Das war, erinnert sich Gründungsmitglied Helga Betz, "ein tiefer Einschnitt". Der neue Ortsverband setzte sich aus Mitgliedern der Friedens- und Frauenbewegung, Menschen aus dem Anti-AKW-Spektrum und solchen, die sich für einen Volkszählungsboykott engagierten, zusammen.

Mit einem Umweltstand präsentierte sich der neue Ortsverband am Bürgerfest erstmals der Bevölkerung. Ernährung war ein Thema der jungen politischen Gruppierung, sie besichtigten Einrichtungen der Daseinsvorsorge wie die Kläranlage und legte 1989 ein Verkehrskonzept mit Tempo-30-Zonen und Radwegenetz vor.

Heute ist davon vieles umgesetzt, auch die anderen Parteien haben sich den Radverkehr längst auf die Fahnen geschrieben. Doch damals galten die Grünen noch als "Spinner" und mussten sich, wenn sie sich als Mitglieder der Ökopartei outeten, viele Beschimpfungen anhören. Auch der Altmühl-Bote kommentierte das Anliegen der Grünen eher skeptisch, Gunzenhausen sei nicht Holland, hieß es.

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Nach der Gründung des Ortsverbands war es ein logischer Schritt, sich bei den nächsten Kommunalwahlen mit einer eigenen Liste um Sitze im Stadtparlament zu bewerben. Elf Frauen und ein Mann kandidierten für die Grünen, eine von ihnen war Helga Betz, die dann auch tatsächlich 1990 in den Stadtrat gewählt wurde und für Frauenpower in der bis dahin reinen Männerrunde sorgte. Mit ihr zusammen zog mit Erika Wüst auch eine Vertreterin der CSU ein.

Die Stadtpolitik war für den jungen Ortsverein laut Schnell ein wichtiges Thema, einer der Hauptkritikpunkte war vor allem der Stil, mit dem der damalige Bürgermeister Willi Hilpert die Stadt regierte. Über Inhalte müsse man nicht einer Meinung sein, so der langjährige Stadtrat, aber der Stil müsse einfach stimmen.

Eher untypisch für die sonstigen Inhalte der Ökopartei war, dass die hiesigen Grünen von Beginn an auch immer ein Auge auf die Wirtschaftspolitik hatten. Sie forderten jahrelang einen eigenen Wirtschafts-Referenten, pochten frühzeitig auf eine vernünftige Vermarktung der Altmühlstadt und regten den Bauernmarkt an. Natürlich war und ist eine kinderfreundliche Stadt ein Anliegen, ein Dauerbrenner war etwa der Spielplatz in der Frankenmuther Straße. Und auch alternative Wohnmodelle stehen bei ihnen auf der Agenda.

Fast schon Establishment

Längst sind die Grünen Exoten ein anerkannter Teil der politischen Landschaft (nicht nur) in Gunzenhausen. "Wir werden respektiert", weiß Schnell, für ihre Anliegen gibt es ein offenes Ohr. Nicht zuletzt auch dank der personellen Kontinuität gehören die Grünen fast schon zum Establishment. Ein komplett neuer Ortsvorstand sorgt seit einiger Zeit für frischen Wind bei dem Grünen und hat mit Kerstin Zels eine Vorsitzende, die bei den Kommunalwahlen nur knapp das vierte Mandat verfehlte.

Peter Schnell, Helga Betz und ihre Mitstreiter schreiben sich den Bewusstseinswandel in Gunzenhausen — dass sich heuer als fahrradfreundliche Stadt zertifizierten lassen möchte — durchaus als Erfolg auf ihre Fahnen. Ein bisschen bunter sei Gunzenhausen geworden, sind sich die Grünen sicher. Doch ausruhen möchten sie sich darauf nicht. Man bewege nur etwas, wenn man auch anecke und streitbar sei, hat die langjährige Erfahrung Peter Schnell gezeigt, und das wollen die Grünen mit viel Kreativität und auch weiterhin in Gunzenhausen tun.

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