In ganz großer Besetzung „Schöpfung“ dargeboten

3.7.2015, 07:00 Uhr
In ganz großer Besetzung „Schöpfung“ dargeboten

© Uli Gruber

In fulminanter Manier zelebrierten die Kantoreien Gunzenhausen und Weißenburg, der katholische Kirchenchor St. Willibald aus Eichstätt, das Vokalensemble „Voicepack“, vier grandiose Solisten sowie die Nürnberger Symphoniker unter der Gesamtleitung von Kirchenmusikdirektor Bernhard Krikkay in der evangelischen Stadtkirche St. Marien die geniale Haydn’sche Vertonung des packenden Themas.

Es ist ein eher volkstümlich gehaltener Bericht über die erste öffentliche Aufführung des Oratoriums „Die Schöpfung“ (Wien, im März 1799), in dem folgende, bemerkenswerte Passage steht: „Damit’s alle Leut verstehn, was d’Musik hat sagn wolln, so habn sies Büchl von der Kantate gratis austheilt, und das ist wunderschön z’lesen: und was mir gut gfalln hat, es ist hoch gschriebn, und doch verständlich dabei.“ Heutzutage wird genau diese Klarheit bisweilen missverstanden, sogar als reichlich „naive“ Darstellung abgetan. Dabei gibt sich Haydns Musik keineswegs mit Tonmalerei zufrieden. Und auch der Text Gottfried van Swietens stellt eine durchaus eigenwillige und sehr plastische Interpretation der Genesis dar.

Ähnlich dürfte auch die Ansicht des österreichischen Musikwissenschaftlers Otto Biba zu bewerten sein: „Das Chaos, das Haydn in der Einleitung so unvergleichlich schildert, hatte man – freilich im übertragenen Sinn – deutlich vor Augen. Das neue Interesse an der Natur freute sich an den fantasieanregenden literarischen wie musikalischen Schilderungen des Entstehens der Welt (im ersten Teil) sowie des Werdens der Lebewesen und schließlich des Menschen (im zweiten Teil). Die Vereinigung des nach Gottes Bild geschaffenen Menschenpaares ist das Thema des dritten Teils, der somit zum Hohen Lied der Liebe wird. All das ist von überzeitlicher Bedeutung. Wer will, macht sich Gedanken über den Text, was er ausdrückt und was sozusagen zwischen den Zeilen steht; wer will, freut sich allein an der feinen musikalischen Ausarbeitung“.

So haben es in der Stadtkirche auch viele Besucher der Aufführung empfunden. Dies lag selbstverständlich an der hervorragenden Qualität sämtlicher Akteure des Gemeinschaftsprojekts. Schon eine Woche vorher hatten sie in leicht veränderter personeller Besetzung die Menschen in der Weißenburger St.-Andreas-Kirche zu stehenden Ovationen veranlasst. Auch in der Altmühlstadt Gunzenhausen waren rund 500 Freunde der Kirchenmusik dem Ruf der Kantorei gefolgt, um an der besonderen Atmosphäre teilhaben zu dürfen.

In einem erheblichen Maß trugen die Solisten zum Gelingen des ehrgeizigen Vorhabens bei. Daran änderte auch der kurzfristige, krankheitsbedingte Ausfall des ursprünglich vorgesehenen Tenors nichts. Für Christian Dietz sprang Christian Zenker aus Heidenheim an der Brenz in die Bresche. Bernhard Krikkay hatte seine weitreichenden Kontakte genutzt, um den renommierten Sänger noch rechtzeitig „aus dem Hut zu zaubern“. Der „Feuerwehrmann“, zu dessen Standardrepertoire unter anderem Haydns „Schöpfung“ zählt, erfüllte seinen Part in professioneller Weise und wurde den Anforderungen mit wohltuendem Einfühlungsvermögen jederzeit gerecht. Im Ensemble erwies sich Zenker ebenso als absolut taktsicher.

Gleiches gilt für die Sopranistin Anke Endres. Die Würzburgerin bewältigte ihre Einsätze mit makelloser Stimme und hoher rhythmischer Präzision. Sie brachte die „reine Harmonie“ und stilistische Bandbreite in den Arien sehr ausgewogen und vielfältig zur Geltung. „Wunderschön“, lautete bisweilen die spontane Reaktion unter den Zuhörern. Jede Menge Lob konnte darüber hinaus der aus Stopfenheim stammende ehemalige Regensburger „Domspatz“ Manfred Bittner (Bass) entgegennehmen. Er überzeugte insbesondere in den tieferen Passagen mit enormer Fülle und Ausdruckskraft, verlieh dem Kollektiv die angemessene Würde und Erhabenheit. Als gedeihliche lokale Komponente bereicherte Doris Weiß-Hofmann (Sopran) im Schlusssatz die Aufführung.

Die vereinigten Chöre agierten sicher und souverän. Auch optisch sehr publikumswirksam, setzten die über 100 Frauen und Männer die dynamischen Vorgaben des Dirigenten leidenschaftlich und differenziert abgestuft in Musik um. Trotz des Mammutprogramms präsentierten sich die Mitglieder in allen Teilen als kompakte Einheit, erlaubten sich keine „Hänger“ und stellten sich im Zusammenwirken mit dem Orchester als uneingeschränkt zuverlässiger Faktor heraus. Mit viel Herzblut muss ein derart komplexes Werk zweifellos auch angegangen werden.

In welch beeindruckender Weise Leidenschaft und Kompetenz verknüpfbar sind, unterstrich mit schier unerschöpflichem Temperament KMD Krikkay auf seinem Podest. Er zeichnete für das Gelingen in Gunzenhausen verantwortlich und erntete mit allen Protagonisten am Ende völlig verdient die Früchte der „harten Arbeit“.

Etliche Kirchenbesucher hielten es beim Verlassen des Gotteshauses vielleicht wie anno 1799 Joseph Haydn. Über einen störrischen Priester, der die Aufführung seines Werks in kirchlichem Rahmen verbieten wollte, schrieb der „Experte“ wohl zu Recht: „Ich bin überzeugt, dass ein vernünftiges Consistorium diesen Apostel des Friedens und der Einigkeit näher mit seinen Pflichten bekannt machen wird, da es nicht unwahrscheinlich ist, dass die Menschen mit weit gerührterem Herzen aus meinem Oratorium als aus seinen Predigten herausgehen dürften.“

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