Literarischer Stadtspaziergang durch Gunzenhausen

22.4.2018, 16:17 Uhr
Literarischer Stadtspaziergang durch Gunzenhausen

© Tabea Jung

Ganz gemütlich konnten die Teilnehmer von Station zu Station bummeln, große Entfernungen gab es diesmal nicht zurückzulegen. Mit offenen Türen empfingen die Gunzenhäuser Jugendherberge, das Jugendzentrum, das Notariat Gunzenhausen, das Rathaus, und das Hotel "Adlerbräu" die Besucher. An jeder Station wartete eine Lesung, die, wenn möglich, inhaltlich etwas mit dem Veranstaltungsort zu tun hatte. Die Vorleser wählten ihre Texte und die Art, wie sie sie präsentierten, ganz eigenständig, was wieder einmal zu einer interessanten Mischung führte.

So erwartete in der Jugendherberge Tina Ellinger die Spaziergänger. Die Redakteurin des Altmühl-Boten war kurzfristig für Peter Schnell eingesprungen und hatte Geschichten über Jugendliche ausgewählt: In "Das Pubertier" erzählt Autor Jan Weiler sehr humorig vom Heranwachsen seiner Kinder. So vergleicht er den Schlafrhythmus seiner Tochter mit dem eines Koalas und sieht sich durch das Verhalten seines Sohnes in der Aussage bestätigt, dass "Männer sieben Jahre alt werden und danach nur noch wachsen." Die Glossen lockten den Zuhörern ein wissendes Schmunzeln auf die Lippen, erinnerten sie sich doch an ihre eigene Kindheit oder an Zeiten, in denen sie der eigene Nachwuchs fast in den Wahnsinn getrieben hatte.

Im Jugendzentrum freute sich dessen Leiter Johannes Kosok über den regen Andrang und hatte das Jugendbuch "Halbe Helden" von Erin Jade Lange als Lektüre dabei. Freundschaft, Krankheit, Gewalt und Familienbande, das sind Themen, denen sich jeder Heranwachsende irgendwann einmal stellen muss, und Kosok trug sie mit viel Empathie vor. Zudem zeigte er sich froh, dass Gunzenhausen seinen Jugendlichen einen Ort bietet, wo sie ihre Freizeit verbringen können.

Literarischer Stadtspaziergang durch Gunzenhausen

© Marianne Natalis

Im Notariat empfingen Dr. Heike Stiebitz und Dr. Christian Vedder die Besucher. Christine Höller, Lehrerin am Simon-Marius-Gymnasium, hatte ihre Schwierigkeiten mit der passenden Buchwahl, denn Erzählungen mit Notaren sind rar und "etwas Lustiges kann man ja schlecht lesen". In "Vergiss dies nie" von Graham Swift spielt ein Notar zumindest eine Nebenrolle, denn das Leben zweier frisch Vermählter nimmt durch den Gang in sein Notariat eine einschneidende Wendung. Für Erheiterung sorgte "Rotkäppchen" in Amtsdeutsch. "Und wenn sie nicht gestorben etc." hört sich dann so an: "Wenn die Beteiligten nicht durch Hinschied abgegangen und in Fortfall gekommen sind, sind dieselben derzeitig noch lebhaft."

Verhalten im Restaurant

Im Hotel Adlerbräu warteten gemütliche rote Ledersessel und ein Büffet auf die neugierig hereinströmende Zuhörerschar. Die Sessel waren in einem Halbkreis gruppiert, in deren Mitte sich Kerstin Zels, die wie Christine Höller bei allen drei Spaziergängen dabei war, platziert hatte. Die Schulsekretärin (im Windsbacher Gymnasium) organisiert zudem als Mitglied der Kulturmacherei die Veranstaltung mit. "Es macht mir einfach Spaß, deshalb war ich dieses Jahr sofort wieder mit an Bord", erzählte sie. Passend zum Vortragsort wählte sie den Aufsatz "Richtiges Verhalten im Restaurant" von Marc Carnal, in denen der Autor scherzhaft Benimmregeln fürs Restaurant aufstellt. Nachdenklich stimmte hingegen die Kurzgeschichte "Financial Times" von Doris Dörrie, in der eine junge Frau, die sich ihren Lebensunterhalt damit verdient, reiche Männer in Hotels zu treffen, eine ungewöhnliche Begegnung hat.

Literarischer Stadtspaziergang durch Gunzenhausen

© Jörg Dommel

Viele hatten sich das Rathaus als Schlusspunkt aufgehoben, entsprechend vollgestopft war der Sitzungssaal, in dem üblicherweise die Ausschüsse des Stadtrats tagen. Das Konzept der Kulturmacherei, mit dem Literarischen Spaziergang ungewöhnliche Räume und Orte zu öffnen, kommt bei den Besuchern gut an. Das bestätigten auch Claudia Meixner und Andrea Remberger, die bereits zum zweiten Mal die Einladung zum Rundgang angenommen hatten.

Im Sitzungssaal mischte sich auch Bürgermeister Karl-Heinz Fitz unter die Menge und lauschte Jörg Dommel, der aus dem autobiographischem Werk "Gelächter von außen" von Oskar Maria Graf las und mit seiner Begeisterung für den bayerischen Autor nicht hinterm Berg hielt. Graf berichtet etwa von einer Begegnung mit Adolf Hitler, den er als "Geisteskranker, der reden und reden muss, bis er nicht mehr kann", erlebte. Grafiker Jörg Dommel, Gründungs- und Vorstandsmitglieder der Kulturmacherei, zollte dem Autor für seinen Widerstand gegen die Nationalsozialisten und seine Ehrlichkeit Respekt und bewunderte ihn dafür, dass "er sich von niemandem hat vereinnahmen lassen".

Dommel riss die Zuhörer förmlich mit und nur nach und nach kehrten sie aus den NS-Zeiten zurück in die Wirklichkeit. Dort ankommen stellte so mancher beim Verlassen des Rathauses fest: "Da müssen wir nächstes Jahr wieder hin!"

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