ÖDP-Spitzenkandidat warnt vor Freihandelsabkommen

24.4.2014, 22:00 Uhr
ÖDP-Spitzenkandidat warnt vor Freihandelsabkommen

© Marianne Natalis

Kein Wunder, hatten die zahlreichen Zuhörer doch zuvor von dem ÖDP-Spitzenkandidaten für die Europawahl detailliert erfahren, welche fatalen Auswirkungen durch das Transatlantische Freihandelsabkommen „Transatlantic Trade and Investment Partnership“ (TTIP) drohen.

Für den Physiker, der auf Einladung des ÖDP-Kreisverbands nach Alesheim gekommen war, ist das geplante Abkommen ein klarer Angriff auf die Demokratie, würden doch mit seiner Hilfe hiesige Grundregeln außer Kraft gesetzt. Denn US-Konzerne könnten, so die Befürchtung der TTIP-Gegner, entgegen hier geltenden Rechts ihre Interessen durchsetzen. Bucher macht dies etwa am Beispiel Gentechnik deutlich. Gentechnisch veränderte Nahrungsmittel müssen in Deutschland gekennzeichnet werden. In den USA gibt es eine solche Regelung nicht. Amerikanische Produkte könnten also künftig, so das Abkommen ratifiziert wird, auf den deutschen Markt gelangen, ohne dass der Verbraucher erkennt, was er da eigentlich auf den Teller bekommt.

Bevor Bucher allerdings genauer auf unappetitliche Punkte wie „Chlorhühnchen“ oder hormonell behandeltes Fleisch zu sprechen kam, beleuchtet er kurz die nach seiner Ansicht vollkommen undemokratischen Machtstrukturen innerhalb der EU. Denn nicht das gewählte EU-Parlament trifft die wichtigen Entscheidungen, sondern die EU-Kommission. Die ist es auch, die hinter verschlossenen Türen das Freihandelsabkommen mit den USA verhandelt.

Ein Dorn im Auge sind Bucher auch die Lobbyisten, denen in Brüssel Tür und Tor geöffnet wurden. Rund 15 000 registrierte Lobbyisten tummeln sich rund um die Machtzentrale der EU, 13 000 von ihnen gehören Großkonzernen und Wirtschaftsverbänden an. Ihren enormen Einfluss macht Bucher am Beispiel des europaweiten Verbots von Glühbirnen fest. Ein Vorschlag, der ursprünglich „von Philips und Osram“ gekommen sei, die Rechtschreibfehler in dem Papier haben sich laut Bucher bis zum Gesetzentwurf durchgezogen, sprich, es wurde einfach von der Lobbyistenvorlage abgeschrieben, so Buchers Vorwurf.

Arbeitsplätze soll das Freihandelsabkommen bringen, heben die Befürworter hervor und sprechen dabei von bis zu 160 000 Jobs. Doch daran mag Bucher nicht glauben und sagt mit Blick auf das Freihandelsabkommen zwischen USA, Kanada und Mexiko auch, warum: Zwar seien in dessen Rahmen rund eine halbe Millionen Arbeitsplätze in der Industrie, und die sitzt in der Hauptsache in den USA, geschaffen worden. Im Gegenzug aber sind nach Buchers Worten 1,3 Millionen Arbeitsplätze in der Landwirtschaft verloren gegangen und die wiederum hauptsächlich in Mexiko. Ein Szenario, das der Universitätsprofessor auch für Deutschland und hier vor allem für die kleinbäuerlich strukturierte Landwirtschaft in Süddeutschland befürchtet. „Diese Betriebe werden vor die Hunde gehen“, erläutert Bucher in Alesheim.
Nur wenig sickert von den geheimen Verhandlungen an die Öffentlichkeit, beklagt Bucher vor über 60 Zuhörern, doch was da ans Tageslicht kommt, lässt so manchem die Haare zu Berge stehen. Neben der Zulassung von gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln ohne Kennzeichnung, soll auch amerikanisches Schweinefleisch, das mit dem hier verbotenen Wachstumshormon Ractopamin behandelt wurde, den europäischen Markt erobern. Die im Chlorbad desinfizierten Hühnchen, die in den Handel gelangen könnten, schlagen ebenfalls auf den Magen. Das Chlorbad ist, erläutert Bucher, angesichts „katastrophaler hygienischer Zustände“ in amerikanischen Schlachthöfen notwendig, um die sich dort überall tummelnden Keime abzutöten.

Doch es könnte noch schlimmer kommen. Biopatente auf Lebenwesen könnten Realität werden, gegen das umstrittene Fracking gebe es keine Handhabe mehr und von Datenschutz könnten künftig wohl keine Rede mehr sein. Den Teufel gesehen hat nach Buchers Meinung aber vor allem das System der Schiedsgerichte. Diese können von Firmen angerufen werden, die sich durch ein neues Gesetz in ihren Investitionen beschnitten fühlen. Ein Konzern kann so eine Sonderregelung durchsetzen und seinen zu erwartenden zukünftigen Gewinn einklagen, und da kann es um enorm hohe Summen gehen. So hat etwa eine US-Firma ein Schiedsgericht angerufen, weil in Kanada derzeit das Fracking ausgesetzt wurde. Ägypten wurde laut Bucher wegen eines zu hohen Mindestlohn verklagt.

Als besonders empörend wertet es der Wissenschaftler in diesem Zusammenhang, dass zwar die EU-Kommission die Schiedsgerichte für Investorenklagen im Rahmen der Verhandlungen auf Eis gelegt hat, das EU-Parlament nun aber kurz vor der Europawahl am 25. Mai „Rahmenbedingungen für die Regelung der finanziellen Zuständigkeit bei Investor-Staat-Streitigkeiten vor Schiedsgerichten“ verabschiedet hat, wie die taz berichtet hat.

Auch den Kommunen könnten, wenn das transatlantische Freihandelsabkommen verabschiedet wird, die Daumenschrauben angelegt werden. Bucher erwähnte die dann mögliche, weil einklagbare Privatisierung etwa der Wasserversorgung. Kommunen können sich wohl auch nicht mehr gegen Vorhaben wie Fracking zu Wehr setzen oder gezielt regionalen Produkten den Vorzug geben. Zudem seien sie leichter erpressbar, denn ein Konzern müsse nur mit den hohen Streitwerten von Schiedsgerichtsprozessen drohen.

Gegen all diese Pläne muss sich die Bevölkerung zur Wehr setzen, ist Bucher überzeugt. Ob mit ihrer Unterschrift oder auf Demos, ob in der Wahlkabine oder mit regionalen Initiativen, die Bürger müssten, forderte Bucher, der Bundesregierung klar machen, dass sie das Freihandelsabkommen nicht wollen.

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