Relikt des Kalten Kriegs

OP-Säle unter der Erde: Bunker-Krankenhaus in Gunzenhausen

3.6.2015, 12:10 Uhr
Wolfgang Faig führt seit vier Jahren Besuchergruppen durch das Bunker-Krankenhaus in Gunzenhausen.

© dpa Wolfgang Faig führt seit vier Jahren Besuchergruppen durch das Bunker-Krankenhaus in Gunzenhausen.

Patient hätte man in diesem Krankenhaus wohl lieber nicht sein wollen. Kein Tageslicht, kahle Betonwände, zig Stockbetten dicht an dicht und keine Möglichkeit, sich einmal die Füße zu vertreten. Doch im Fall eines Atom-Angriffs während des Kalten Krieges sollten in dem unterirdischen Hilfskrankenhaus in Gunzenhausen etwa 400 Kranke untergebracht werden.

«Ab dieser Tür wird es ernst», sagt Wolfgang Faig. «Ab hier beginnt der Schutzbereich.» Der 61-Jährige öffnet die sieben Zentner schwere Stahltür zum Krankenhaus drei Meter unter der Erde. Es liegt unter einem Berufsschulzentrum. Der Eingang ist völlig unscheinbar.

Eng ist es hier unten. Und kalt, nur um die zehn Grad. An manchen Stellen steht bei längeren Regenperioden das Wasser auf dem Boden. Der Putz bröckelt hier und da von Wänden und Decken; einige große Risse finden sich ebenfalls. Fenster gibt es natürlich keine, das einzige Licht stammt von den Leuchtröhren. «Das ist eine Welt für sich hier unten», sagt Faig. Seit vier Jahren führt er Besuchergruppen durch den Bunker.

60 Zentimeter dicke Stahlbetonhülle

Er kennt ihn inzwischen in- und auswendig, kann die Geschichte zu jedem Küchenbesteck und jeder Maschine erzählen. Kreuz und quer geht es durch die Anlage, am Ende findet man sich kaum noch zurecht, so gleich sehen die Gänge mit den weißen Wänden und den grünen Streifen aus, die bei Dunkelheit zunächst noch etwas Licht abgeben.

«Das hier ist ein sogenanntes vollgeschütztes Krankenhaus», erklärt Faig. Der 3,9 Millionen D-Mark teure Bau lag komplett mit Technik, Behandlungsräumen und Patientenzimmern unter der Erde und bot Schutz vor Atomwaffen. Durch die 60 Zentimeter dicke Stahlbetonhülle und eine komplette Bleiumhüllung sollte keine radioaktive Strahlung durchkommen. Insgesamt drei Notkrankenhäuser in Gunzenhausen sollten im Fall eines atomaren Angriffs Patienten aus dem Großraum Nürnberg, Fürth, Erlangen aufnehmen. Denn die rund 50 Kilometer von Nürnberg entfernt liegende Gemeinde hatte genug Abstand zu jeglichen militärischen und industriellen Anlagen, und die Lage in einer Talsenke schützte zudem.

Faig zeigt Besuchern den Weg eines Patienten: Nach der Aufnahme hätte er durch die «Dekontaminationsschleuse» mit vier Duschen gemusst, in der er sich mögliche Verstrahlungen abwaschen sollte. Dann sollte Krankenhauskleidung verteilt werden, und der Weg hätte möglicherweise zum Röntgen geführt. Danach in einen der fünf Operationssäle und ein Aufwachzimmer und zum Schluss in eine Bettenstation - für Kleinkinder, Jugendliche oder Intensivpatienten.

Röntgengeräte gingen nach Kuba und Costa Rica

Zudem gab es drei OP-Vorbereitungsräume, ein Labor, einen Gipsraum und eine eigene Sterilisationsanlage. In einem OP zeigt Faig den Tisch und die Vielzahl an Instrumenten, die überall herum liegen - zum Teil noch originalverpackt. «Vom Wert her ist das nicht zu unterschätzen, das ist alles Edelmetall. Schönheits-OPs hätte es hier unten aber sicher nicht gegeben», sagt Faig schmunzelnd.

Die Laboreinrichtung und die Röntgengeräte wurden nach Schließung des Bunkers im Jahr 1996 nach Costa Rica und Kuba geschickt. Im Ernstfall hätte der Bunker 430 Patienten aufnehmen können, dazu 150 Ärzte und Pfleger und weitere 70 Mitarbeiter für allgemeine Aufgaben und Verwaltung. Zwei Wochen hätten sie hier überleben sollen.

«Er wurde jedoch nie als Krankenhaus genutzt», berichtet Faig. Es fanden lediglich Übungen statt, und zweimal diente der ungemütliche Bau als Flüchtlingsunterkunft: 1989 schliefen hier einige Tage lang Aussiedler aus der DDR, und 1991 diente das Hilfskrankenhaus als Übergangslager für Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben. Platzangst durfte hier niemand haben. Tag und Nacht regelt hier der Lichtschalter. Und es gab auch nur zwei enge Notausstiege. Gebrechliche Patienten hätten es hier nicht raus geschafft.

Und auch ein paar andere Dinge erscheinen im Nachhinein wenig durchdacht. Hätten etwa vier Dekontaminationsduschen für mehr als 500 Menschen gereicht? Und zwei Toiletten für jeweils bis zu 80 Bewohner? Es gibt auch keinen Speisesaal. Und auf den Stationen fehlten Tische, um Gegenstände abzustellen. «Dadurch wurden auch die medizinischen Arbeiten erschwert», schrieb Uwe Köppen in einer Projektarbeit über die Notkrankenhäuser an der Rheinischen Fachhochschule Köln.

Und wohin mit Konservendosen, medizinischem Abfall, gebrauchten Windeln, Speiseresten, mit Leichen oder amputierten Gliedmaßen? Das war ungeklärt. Die Stockbetten hatten keine Aufstiegshilfe, dazwischen ist nicht mal ein Meter Platz. «Wie bringt man einen Patienten mit Oberschenkelhalsbruch schonend in dieses Hochbett?», fragt Faig. «Ich kann es mir nicht vorstellen.» Planung, Ausstattung sowie Arbeits- und Lebensbedingungen des Krankenhauses hätten «diverse Unzulänglichkeiten», schreibt Köppen.

Baustopp wurde nicht erlassen

Dafür waren hohe Stückzahlen an rosafarbener und babyblauer Kinderbekleidung eingeplant. Vieles davon findet sich noch im Originalzustand aus den 1960er-Jahren in der Kleiderkammer. Dazu Gehstöcke, Schnabeltassen und Bettschüsseln, OP-Schürzen, relativ dicke Einmalhandschuhe, Badeschlappen und Nuckelflaschen. «Hier finden sich fast alle Hilfsmittel, die du brauchst, um Leute zu pflegen», sagt Faig. Sogar ein Frauenarzt-Stuhl sei irgendwo.

Als Nahrung war Dosenessen geplant. In der Küche stehen noch immer große Behälter zum Erwärmen der Speisen. Frisches Obst und Gemüse war nicht vorgesehen. «Es wäre ein spärliches Essen gewesen, keine Menüauswahl wie heute», sagt Faig. Aber es sei ja auch ums reine Überleben gegangen. Fast stolz zeigt er dann die alten Schiffsmotoren, Notstromaggregate und die Lüftungsanlagen. «Alles Stand der 60er-Jahre, doch es funktioniert noch.» Nach einem Knopfdruck fangen die Schalter an zu blinken, die Anlage setzt sich lautstark in Gang.

Nach dem Ende des Kalten Krieges waren die teuren Bunker nicht mehr nötig. Die meisten wurden im Laufe der 1990er-Jahre aufgelöst oder stillgelegt. Ein Baustopp wurde jedoch nicht erlassen. So wurde etwa das Notkrankenhaus im Bunker Heckeshorn in der Nähe des Berliner Wannsees laut Köppen für mehr als zehn Millionen Euro noch bis 1993 umgebaut. 2001 sei die Anlage, ohne einen einzigen Einsatz erlebt zu haben, wieder stillgelegt worden. Die medizinische Einrichtung wurde wie bei den anderen Notkrankenhäusern entfernt.

Die meisten ehemaligen Hilfskrankenhäuser sind für die Gemeinden inzwischen ein Problem. Das Grundwasser drückt hoch, Schimmel breitet sich aus. Zudem liegen die Bunker oft unter öffentlichen Einrichtungen wie in Gunzenhausen oder in Bonn. Ein Abriss ist daher nicht möglich.

  1. Der Stadt Gunzenhausen sei jedoch klar, was sie an dem Bunker für ein «Schatzkästchen» habe, sagt Faig. Es sei schließlich der einzige, der noch weitgehend im Originalzustand erhalten ist. Auch eine Sprecherin der Kommune sagt, es gebe keine Planungen, den Bunker vollständig zu schließen. «Das Interesse an ihm ist relativ groß.» Für den Unterhalt gibt der Landkreis in diesem Jahr etwa 3300 Euro aus.
    Ein wenig Geld bringen die 90-minütigen Führungen rein, die pro Nase 100 Euro kosten. Trotz seiner Begeisterung für den Bunker sagt Faig: «Gott sei Dank hat man das Krankenhaus nie gebraucht. Ich weiß nicht, ob man 14 Tage lang hier unten bleiben möchte.»

Keine Kommentare