"Rote Rosen" in Muhr am See

24.7.2016, 17:19 Uhr

© Kristy Husz

Mit den Grüßen und guten Wünschen, die kein Geringerer als Knefs Witwer Paul von Schell hatte übermitteln lassen, war der letzten Uraufführung auf dem diesjährigen Spielplan quasi von Anfang an Erfolg beschieden, und auch der bis dahin zürnende Wettergott hatte am Ende des Tages Verständnis für den besonderen Zauber, den nur Theater unter freiem Himmel bietet.

Seit Monaten hängt allerorten ihr ausdrucksstarkes Antlitz: Porzellanteint, Schmollmund, dramatisch betonte Wimpern, der Blick in ferne Sphären gerichtet. Nun hat Hildegard Frieda Albertine Knef, 1925 in Ulm geboren und einer der bedeutendsten deutschen Stars, die hiesigen Bühnenbretter endlich betreten, und das gleich in dreifacher Ausfertigung. Da ist zum einen besagtes Porträt, das in plakativem Format eine Wand ziert, hinter welcher der Kontrabassist Gunther Rissmann und der Pianist und musikalische Leiter des Abends, Nico A. Stabel, Platz genommen haben. Aus der Konserve kommt bei dieser Revue erfreulicherweise nichts.

Da sind zum anderen zwei Frisier- und Schminktische, die Bühnenbildner Martin Riedl links und rechts von der Wand aufgebaut hat, zusammen mit all den Utensilien, die eine (künftige) Diva von Weltrang so braucht: rote Pumps, ein Telefon, Kosmetiktücher, eine Schreibmaschine, Zigaretten, Wodka. Vor diesen Tischen sitzen, einander belauernd und belehrend, dann aber sich aussöhnend, das quirlig-unschuldige und von vielen Dingen verführbare Mädchen Hilde (Alexandra Marinescu) und „Die Knef“ (Tina Nicole Kaiser), eine reife, abgeklärte, resignative Dame, der das Leben so manche Wunde geschlagen hat. Mitte der 1970er schaut sie, körperlich und seelisch erschöpft, in den Spiegel und betrachtet das brüchige Zerrbild namens Erinnerung.

Mit Herzblut singen, tänzeln (Choreografie: Daniel Cîmpean), lieben und leiden sich die zwei unterschiedlichen Knef-Inkarnationen fortan durch die Biografie der berühmten Künstlerin, von den schauerlich dröhnenden Bomben der Nazi- und Kriegszeit in Berlin bis zu den internationalen Triumphen im Film, am Broadway, als Chansonnière und Schriftstellerin. Glücksmomente und Schicksalsschläge jagen sich ohne Pause, und in die meisten Emotionen und Erfahrungen können sich die Menschen im Bürgerhof direkt hineinversetzen, was in dem von James Edward Lyons und William Ward Murta geschriebenen sowie von Christian A. Schnell und Steffen Löser spannend inszenierten Stück kein Wunder ist: Die authentischen Gefühlsäußerungen stammen ja aus Knefs eigener Feder, sind ihren klug beobachtenden, selbstironischen Büchern und Songs entnommen.

Figuren verschmelzen

Stimme und Make-up sind vor allem bei Tina Nicole Kaiser dem Original beängstigend ähnlich, wohingegen Alexandra Marinescu einfühlsam die feinen Nuancen der jugendlichen Naivität und Traurigkeit ihrer Figur auslotet. Und während diese Hilde mit den Jahren dickfelliger wird, lockert die Knef auf, bis beide – optisch wie charakterlich – schließlich rundum kongruent sind und die persönliche Krise überwunden ist. „Eins und eins, das macht zwei“, so heißt es im Lied, doch manchmal macht es eben einfach eins.

© Kristy Husz

Komplettiert wird das tolle Ensemble von Armin Sengenberger, einer Art eierlegende Wollmilchsau dieses Musicals. Er ist der Mann, der zwischen den Frauen vermittelt, der mal als Erzähler auftritt, mal einen der ersten beiden Knef’schen Ehegatten mimt, mal Soldat ist oder Filmpartner oder Witzfigur. Beeindruckend vielseitig wie unaufdringlich macht er klar: Männer spielten in Hildegard Knefs Vita eine entscheidende Rolle, auf ihrer steten Suche nach Zärtlichkeit begegneten sie ihr als Freunde und Feinde, als Ausbeuter und Gefährten ihrer Einsamkeit.

Nicht alles klappt bei dieser Premiere so perfekt; es gibt kleine Textpatzer, falsches Timing, suboptimal ausgerichtete Scheinwerfer und beim Rausschmeißer „Ich brauch’ Tapetenwechsel“ eine unfreiwillige Totalvernebelung. Das Publikum hat allerdings Humor und konzentriert sich sowieso auf das, was an diesem Abend zählt: der große „Ich will“-Traum Knefs, der rote Faden der Handlung, der als zarte Klaviermelodie und in Worten immer wieder anklingt und die Zuschauer lehrt, sich niemals mit zu wenig zu begnügen. Fehler machen und hinfallen darf man schon, aber danach muss man aufstehen, lächeln und weiterkämpfen. Erst am 18. Januar 2002 erklärte Hildegard Knef, mit nichts mehr ringen zu wollen. Zwei Wochen später war sie tot.

Ganz am Schluss regnet es dann übrigens doch, und zwar – was sonst – rote Rosen für alle Mitwirkenden dieses bewegenden Musiktheaters, das man unbedingt gesehen haben sollte. Neun Termine stehen zwischen Mittwoch, 27. Juli, und Samstag, 13. August, dafür noch zur Auswahl.

 

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