Syrischer Praktikant in Gunzenhausen

19.7.2017, 17:58 Uhr
Wie heißt „Wasser“ auf Arabisch? Das wissen Viertklässler seit einer Wasserwerksführung mit dem syrischen Kurden Anas Semo.

© Foto: RBG Wie heißt „Wasser“ auf Arabisch? Das wissen Viertklässler seit einer Wasserwerksführung mit dem syrischen Kurden Anas Semo.

Rechnungen kontrollieren, bearbeiten und archivieren - was für viele Laien abschreckend klingt, möchte Anas Semo gerne noch viel häufiger tun. Schließlich hat der 31-Jährige aus dem Norden Syriens Wirtschaft und Handel studiert, kennt sich mit Zahlen gut aus. Beim Zweckverband zur Wasserversorgung der Reckenberg-Gruppe (RBG) in Gunzenhausen hat Semo nun ein zweiwöchiges Praktikum abgeschlossen. Jetzt bereitet er sich auf seine Deutschprüfungen an der Volkshochschule vor, mit dem Zertifikat für das B1-Niveau möchte er sich danach um Arbeit bewerben.

Reckenberg-Verwaltungsleiter Christian Freytag sagt, Semo habe sich in der Buchhaltungsabteilung gut geschlagen, die Kolleginnen und Kollegen seien sehr angetan gewesen von dem "offenen und angenehmen Zeitgenossen". Eine gute Erfahrung also auch für das Versorgungsunternehmen, das mit Semo zum ersten Mal einen Flüchtling als Praktikanten beschäftigt hat. "Wir wussten ja vorher auch nicht, was uns erwartet", so Freytag. Man habe aber entschieden, dem Syrer eine Chance zu geben.

Die hat Semo, der eine Aufenthaltsgenehmigung bis Herbst 2019 besitzt, genutzt. Zwar seien die Fachbegriffe in der Buchhaltung ganz schön kompliziert, so der Hochschulabsolvent. Doch die Kollegen hätten ihm alles genau erklärt. Chef Freytag merkt an, natürlich habe man ihm über die Schulter gucken müssen, da ein Buchungsfehler alles durcheinanderbringen kann. Semo habe aber schnell gelernt und zum Schluss ein "sehr gutes" Zeugnis bekommen. Leider kann Freytag ihm derzeit keinen festen Job anbieten, er ist aber sicher, dass der Ex-Praktikant seinen Weg findet.

"Eine schwere Entscheidung"

Semo blickt mit 31 Jahren schon auf viele Erfahrungen zurück, um die ihn andere kaum beneiden dürften. Nach dem Studium in Syrien sei er zunächst für zwei Jahre zum Militärdienst eingezogen worden, berichtet der junge Mann aus der Kleinstadt Afrin, die nahe der Grenze zur Türkei liegt. Als Kurde, der Arabisch erst in der Schule lernte und seine eigene Muttersprache Kurdisch nur sprechen, nicht schreiben kann, habe er in der Armee oft Probleme mit syrischen Kameraden und Offizieren gehabt, erklärt Semo. Doch er hatte Glück: "Gott sei Dank war ich vor dem Krieg mit dem Militärdienst fertig", zwei Monate nach seinem Ausscheiden sei es mit den Kämpfen richtig losgegangen.

Die Angst, wieder verpflichtet zu werden, und die Aussicht auf eine bessere Zukunft in einem friedlichen Land hätten ihn dazu gebracht, aus der Heimat zu fliehen. "Das war eine sehr schwere Entscheidung, aber für mich die einzige Lösung." In Afrin habe es kaum Arbeit für ihn gegeben, die Bezahlung war schlecht. Eine zugesagte Stelle bei einer Behörde habe er wegen des Kriegs nicht antreten können.

Also machte er sich auf den Weg: Zunächst zu Fuß über die Grenze in die Türkei, dann mit 40 anderen Personen in einem kleinen Boot auf eine griechische Insel - zwischenzeitlich sei der Motor ausgefallen und Wasser ins Boot geschwappt -, per Schiff nach Athen, schließlich mit dem Bus und zu Fuß weiter über Serbien, Ungarn und Österreich nach Deutschland. An die Ankunft in München kann er sich noch gut erinnern, vor allem daran, wie nett die Polizisten gewesen seien - anders als in Syrien, wo man Angst haben müsse, von ihnen geschlagen zu werden.

Semo ist nicht verheiratet, doch seine Eltern und Schwester leben noch in Afrin, wo kurdische Gruppen die Stellung halten - gegen Assads Truppen auf der einen Seite und türkische Bomben von der anderen. Natürlich habe er ständig Angst um seine Angehörigen, erzählt Semo. Im Deutschkurs in Gunzenhausen hat er einen anderen Kurden aus Syrien kennengelernt, dem es genauso geht. Sie sprechen oft über die Situation in der Heimat. Via Whatsapp und Skype hält er den Kontakt zur Familie, doch oft sei der Empfang schlecht oder es gebe dort gar keinen Internetzugang. Essen, Wasser und Medikamente sind knapp.

Neues Leben beginnen

Zurückzugehen kann Semo sich vorerst nicht vorstellen. Mit dem Deutschkurs und den Praktika lege er gerade ein Fundament für ein Leben hierzulande, erklärt er. "Ich möchte eine Zukunft haben - am liebsten hier in der Region Gunzenhausen." Semo wohnt seit einem Jahr in Muhr am See, mittlerweile konnte er innerhalb der Flüchtlingsunterkunft eine eigene kleine Wohnung beziehen. "Ich hatte viel Glück", sagt er.

Er versucht, so oft wie möglich Deutsch zu sprechen, um die Sprache schneller zu lernen. Beim Badminton in Gunzenhausen und beim Volleyball am Altmühlsee in Muhr habe er nette Leute getroffen, mit denen er üben kann. Einmal pro Woche bedient er ehrenamtlich im "Café mittendrin", einem Treffpunkt für alte und neue Gunzenhäuser, den der Verein Flüchtlingshilfe Wald betreibt.

Dort hilft Semo auch anderen Arabischsprechenden bei Übersetzungen. "Ich möchte immer helfen", sagt er. Auch wenn er auf der Straße oder im Zug jemanden sieht, der sich zum Beispiel mit schwerem Gepäck abmüht, biete er seine Hilfe an. "Die Leute sollen keine Angst vor mir haben", wünscht er sich.

Dass es dazu keinen Grund gibt, haben laut Reckenberg-Mann Freytag auch schon einige Viertklässler erfahren können. Bei einem Besuch im Wasserwerk brachte Semo den Grundschülern arabische Wörter bei, zum Beispiel "al-ma‘a" für "das Wasser" oder "al-atash" für "der Durst". Und er berichtete von der Wasserversorgung in Syrien.

Er mag Dunkles und Radler

Semo ist also auf dem besten Weg, in Deutschland anzukommen. Das Land sei im arabischen Raum sehr angesehen, erklärt er. Auch wegen der Fußballspieler: "Almanya ist meine Mannschaft", betont der Kurde. Und auch das Bier hier schmecke sehr gut, vor allem Dunkles und Radler. Alkohol ist für ihn nichts Neues: Im kurdisch geprägten Norden Syriens sei es weit verbreitet, Wein oder Raki, also Anisschnaps, zu trinken.

Nur mit der Verabredung auf ein Feierabendbier sei es hier dann nicht ganz so leicht, hat Semo beobachtet. Den Satz "Ich habe keine Zeit" höre er oft, viele Menschen arbeiteten sehr viel, es sei für sie wohl schwierig, Zeit für Familie und Freunde zu finden. Das sei in Syrien anders, zumindest in Friedenszeiten: "Man wohnt in der Nähe der Familie und trifft sich, so oft es geht."

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