Tamara Raab aus Gunzenhausen plädiert für G9

23.2.2017, 06:00 Uhr
Tamara Raab aus Gunzenhausen plädiert für G9

© Tina Ellinger

22 Jahre werden es heuer, dass Tamara Raab ihr Abitur am Gunzenhäuser Simon-Marius-Gymnasium abgelegt hat, nach 13 – damals üblichen – Schuljahren. Mittlerweile ist sie Ärztin und Mutter von vier Kindern im Alter von 19, 18, 15 und sieben Jahren. Drei ihrer Sprösslinge waren beziehungsweise sind im G8, das ihrer Meinung nach zwei große Knackpunkte hat: Die zweite Fremdsprache kommt bereits in der sechsten Klasse statt in der siebten, und die elfte diente dazu, vieles schon mal Gelerntes noch einmal zu wiederholen und zu vertiefen. "Da konnte man richtig durchstarten und hatte die Chance, einen echt guten Endspurt hinzulegen."

Viel neuer Stoff

Dieser Wiederholungseffekt fehle im G8, da werde viel neuer Stoff in das Schuljahr vor der Qualifikationsphase reingepackt. Angesichts des "ganz normalen Pubertätsknicks", den nun mal alle Jugendlichen durchmachen, wäre das aber so wichtig, stellt die 40-Jährige fest. Aus Erfahrung weiß sie außerdem, dass sich die erste Fremdsprache nach der fünften Klasse noch nicht wirklich im Gehirn gefestigt hat. Schon aber kommt die zweite hinzu und "die Kinder bringen einiges durcheinander". Da gebe es dann durchaus mal französische Antworten auf englische Vokabeln.

Entgegenwirken könnte man diesem Problem beispielsweise, indem Englisch an den Grundschulen anders unterrichtet wird und die Jungen und Mädchen mit einem stabilen und sicheren Wortschatz ans Gymnasium kommen.

Nicht ganz so dramatisch wie teilweise dargestellt sieht Tamara Raab den Nachmittagsunterricht schon in den unteren Jahrgangsstufen."Da finden sich die Kinder ganz gut rein" — zumal sie in der Regel keine Hausaufgabe für den nächsten Tag auf hätten und auch die Schulen mittlerweile mit Mensa und Aufenthaltsräumen ganz gut darauf eingestellt seien. Zudem gehe die gesellschaftliche Entwicklung insgesamt dahin, dass der Nachwuchs mehr außer Haus betreut wird, sei es im Kindergarten oder in der Hausaufgabenbetreuung.

Dass ihre Töchter durch die Schule im Gegensatz zu ihrer eigenen Jugend weniger freie Zeit für Sport oder Ehrenamt haben, kann die vierfache Mutter nicht bestätigen. "Sie gehen reiten, ins Ballett, zum Singen, machen Tanzkurs und engagieren sich zum Beispiel als Lesepatin an der Grundschule ", zählt sie die Aktivitäten ihrer Sprösslinge auf. Auch über zu viele Hausaufgaben könnten sie nicht klagen.

Generell zu kurz kommt für Tamara Raab jedoch die Zeit, über aktuelle Themen zu diskutieren. Heutzutage werde viel auf Reproduktion gesetzt und weniger darauf, "das eigene Hirn einzuschalten". Genau das aber — das eigenständige Denken, Diskutieren und Argumentieren — sollte ihrer Meinung nach am Gymnasium gelehrt werden. "Ich bin mir sicher, dass das auch am G8 möglich wäre." Man müsse sich eben die Frage stellen: "Was wollen wir eigentlich?" Schade findet sie auch, dass viele Klassenfahrten aufgrund angeblichen Zeitmangels gestrichen oder gekürzt werden.

Ein Jahr früher für den internationalen Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen — das war eines der Hauptargumente zur Einführung des G8. Ein Ansinnen, dem die Medizinerin nicht viel abgewinnen kann. Zum einen habe sie den Eindruck, dass viel mehr Abiturienten ein "Sabbatjahr" einlegen als früher (also wieder kein Gewinn für den Arbeitsmarkt), zum anderen "haben wir 22-jährige, fertig ausgebildete junge Menschen, die nicht wissen, wie man sich krankenversichert". Sprich, eine gewisse Lebenserfahrung fehle einfach. Die wiederum stünde gerade jungen Führungskräften gut zu Gesicht. Aus ihrer eigenen Berufserfahrung weiß sie, dass "es nicht unbedingt ein Nachteil sein muss, etwas älter zu sein".

Kommt tatsächlich die Rolle rückwärts zum neunstufigen Gymnasium, hofft sie zum einen, dass die Umstellung nicht wieder ein Schnellschuss, sondern besser geplant wird, zum anderen, dass das zusätzliche Jahr genutzt wird, die Jugend vermehrt zum eigenständigen Denken und Erarbeiten von Inhalten anzuleiten. "Nur den Stoff in die Länge zu ziehen, bringt nichts", lautet ihr Standpunkt. "Wir sind eine reiche Gesellschaft und sollten es uns leisten können, den Kindern die Zeit zum Reifen zu geben."


Hier geht's zur Umfrage und einem Erklärvideo zu G8 und G9


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