Urban Priol lässt es in Gunzenhausen krachen

19.10.2014, 08:00 Uhr
Urban Priol lässt es in Gunzenhausen krachen

© Dressler

Dem ist nicht so! Wenn es darauf ankommt – auf der großen Bühne, live, vor Hunderten erwartungsvoller Zuhörer –, dann lässt er es krachen, dann ist er absolut in seinem Element, dann wirkt er besser denn je. Außerdem bekommt man bei Priol fürs Geld einiges geboten: Sein neues Programm „Jetzt“ dauert an die drei Stunden (reine Spielzeit). Die Zeit braucht er auch, denn er hat viel zu sagen, jedenfalls am Donnerstag in der Gunzenhäuser Stadthalle.

Nach der Krise ist in der Krise

Draußen viele auswärtige Nummernschilder, drinnen ein volles Haus: Priol hat hier weit über das Gunzenhäuser Land seine treuen Anhänger. Fast alle kennen ihn schon, und sie kommen trotzdem – oder gerade weil sie wissen, was er zu bieten hat? So dauert es keine zwei Minuten, bis er kurz nach 20 Uhr sein Publikum im Griff hat und sich erste Vergnügungswellen durch den Saal bewegen. Er stellt sich kurz und knackig als Aschaffenburger vor, kommt also aus einer fränkischen Stadt, in der gebabbelt wird. Dann hat er das Grundthema des Abends gefunden. Die Krise hat uns wieder, sie war ja nie weg, obwohl die Deutschen und ihre Spitzenpolitiker so taten, als ob alles wieder in bester Ordnung sei. Da wurden der WM-Titel und der Jahrestag der Deutschen Einheit gefeiert, es herrschte Friede, Freude, Eierkuchen im Merkel-Land. Das Volk wurde wahlweise ruhiggestellt oder für dumm verkauft. Jetzt aber, im bösen Herbst 2014, zeigt sich, dass die Sorgen wegen Griechenland und der Verschuldung auch anderer EU-Staaten nach wie vor berechtigt sind. Und Altkanzler Kohl meldet sich zurück, er hat geschrieben, wie es wirklich zur Einheit kam (Russland bankrott) und was er von seinen damaligen und heutigen Mitstreitern wirklich hält.

Priol macht keinen Hehl daraus, dass er in den 80er-Jahren sozialisiert wurde, seine Prägung erfuhr. Das bringt es mit sich, dass er sich nach wie vor an Helmut Kohl abarbeitet – und ihn wunderbar parodieren kann. Ein Räuspern genügt, und man weiß, dass Priol wieder einmal „den Dicken“ gemeint hat. Darüber hinaus zieht er fast das ganze jetzige Politik-Establishment, vornehmlich das von der CDU, durch den Kakao. Und da ist er ganz aktuell: Das „blonde Fallbein“ Ursula von der Leyen steht für den Niedergang der Bundeswehr, für die man angesichts der technischen Probleme nur noch Mitleid empfinden kann. Oder soll man sich freuen, dass die Hubschrauber und Truppentransporter null Emissionen von sich geben, weil sie ja nur dumm rumstehen? Das ist gut für den Umweltschutz. Und der Pazifist könnte frohlocken, weil von dieser Bundeswehr keine Kriegsgefahr ausgehen kann.
Tja, die CDU-Minister. Mit Ausreden sind sie alle schnell bei der Hand.  Die Schuld liegt eben beim Vor- oder Vorvorgänger. Von der Leyen, „die letzte Blendgranate im Munitionsdepot der Bundeswehr“, könnte da sogar bis zu Georg Leber von der SPD zurückblicken.

Die Tour durch die deutsche Politik führt vom Lokführerstreik über Gerhard Schröder („Putins oberster Gas­ableser“) bis zu Bundespräsident Joachim Gauck. Der steht inzwischen auf Priols Negativliste ziemlich weit oben, weil er nur Freiheit im Sinn und auf den Lippen hat und das doch eine zu einseitige, zu schmale Perspektive ist, meint jedenfalls der Kabarettist. Gauck redet verstärkt Auslandseinsätzen der Bundeswehr das Wort, und das missfällt Priol zutiefst. Allerdings muss Priol noch an sich arbeiten, den Gauck kann er lange nicht so gut nachmachen wie den Kohl.

Der größte Aufreger bei „Jetzt“ besteht darin, dass die Politik mit Erfolg von den wahren Problemen und Skandalen ablenkt. Durch Fernsehen und Gazetten eilen Ebola und „Islamischer Staat“. Von der andauernden Spionagetätigkeit der NSA spricht niemand, da kommt kein Wort von Gauck oder der ewigen (neun Jahre) Kanzlerin Angela Merkel. Und was die Großkonzerne Amazon und Goo-gle so mit uns treiben, das interessiert anscheinend auch niemanden. Was die Freihandelsabkommen an Folgen mit sich bringen werden, das hält Priol nicht für weniger katastrophal, und noch schlimmer ist für ihn, dass es hier keinen Aufschrei gibt.

„Super-Angie“ taucht an diesem Abend immer wieder auf, doch im Grunde fällt Priols Urteil über sie fast milde aus. Ein klein wenig hat er sich mit ihr arrangiert. Da schwingt sogar Bewunderung mit, wenn er erkennt, wie gekonnt sie die wahren Probleme verschleiert und scheinbar mit der realen Politik nichts zu tun hat, über den Dingen steht. Merkel trägt die Verantwortung, aber niemand zieht sie zur Verantwortung, so fortgeschritten muss man erst einmal sein.

Ja nicht aufmucken

Der wahre Aufreger sind für Priol weniger die Akteure auf der politischen Bühne, sondern der typisch einfältige Bundesbürger, der im Grunde keine Veränderung will, die da oben machen lässt und mit der Kanzlerin darin übereinstimmt, dass die anderen EU-Staaten am besten so werden und wirtschaftlich handeln wie wir. So ist das mit dem politischen Bewusstsein in Deutschland: Otto Normalbürger verzehrt sein Eis und stimmt dem Nebenmann zu, der sich zur Kanzlerin bekennt, weil die ja recht sympathisch ist, egal, was sie macht oder nicht macht. Deutschland wie zu Adenauers Zeiten, dazu noch der schnelle DSL-Anschluss, vielleicht erklärt diese allgemeine Wunschvorstellung am besten, warum Wutbürger Priol sich zu oft zu alleine vorkommt.

Er selbst gibt an diesem Abend auch einiges aus seinem Privatleben preis. Da gibt es die Tochter, die als Teil des doppelten Abiturjahrgangs in Bayern eigentlich studieren wollte, jetzt aber eine Lehre macht – und der ein guter Internetanschluss über alles geht. Da gibt es den Vater, der zwei uralte Autos sein eigen nennt und damit sehr gut fährt, weil sie nicht den ganzen  empfindlichen Elektronik-Schnickschnack von heute haben. Da gab es den jungen Urban Priol, der in den 80er-Jahren bei den feministisch angehauchten Frauen landen wollte, indem er Anteilnahme und Verständnis signalisierte. Das nutzte aber nichts, weil die Frauen dann doch den Macho bevorzugten. Armer Priol, so gebeutelt vom Leben! Sein Therapeut kann ihm auch nicht weiterhelfen, selbst Yoga fruchtet nichts.

Im Grunde hat auch ein Urban Priol seine konservativen Seiten. Mit der Internetwelt von heute, der dauernden Erreichbarkeit, dem Hinterherhecheln nach den neuesten Nachrichten kann er nicht viel anfangen, Apps sind für ihn Geißeln der Menschheit. Er erinnert sich gern und mit Nostalgie an die Zeit, als die Massenmedien noch mehr Format hatten und eine Tageszeitung genügte, um sich ausreichend informiert vorzukommen. Heute ärgert er sich über die Blödheit der Kommentare im Internet und die heiße Luft, die die Börsenmagazine verströmen. Und über Inkassobüros, die in Zeiten des Online-Handels nur so aus dem Boden sprießen, ärgert er sich auch. „Seriöses Auftreten bei völliger Ahnungslosigkeit“ bescheinigt er diesen Anrufern. Und da zieht er wieder die Parallele zur heutigen Politik.

Das Bild, das Urban Priol lustvollvon der deutschen Befindlichkeit zeichnet, ist im Grunde ein trübes. Sein gekonnter Auftritt ist zum Lachen, aber seine Botschaft und seine Analyse müssten eigentlich Trauer und Scham hervorrufen. Wo sind die politisch mündigen Bürger, die nach mehr Ehrlichkeit, Gerechtigkeit und nach dem Anpacken der wirklichen Probleme rufen?

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