Urteil gegen Landwirt aus Altmühlfranken aufgehoben

2.2.2018, 06:15 Uhr
Urteil gegen Landwirt aus Altmühlfranken aufgehoben

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Doch der Reihe nach. In einem Dorf im südlichen Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen ging es lange Zeit harmonisch und friedlich zu. Lothar S. und sein Nachbar, Helmut M. (alle Namen von der Redaktion geändert), ebenfalls ein Landwirt, kamen gut miteinander aus, sie waren befreundet. Doch das Verhältnis der Nachbarn trübte sich ab dem Jahr 2015 ein. Es gab Streit wegen der Kosten für Baggerarbeiten, wegen der Verlegung eines Grabens, wegen offenstehender Rechnungen nach einem Verkauf von Mais und wegen eines umgefahrenen Holzstoßes. Zeitweise wurde der Bürgermeister eingeschaltet, konnte aber die Beziehung der beiden Landwirte nicht kitten.

Das Zerwürfnis kulminierte am 23. September 2016, einem Freitag, als gegen 8 Uhr beide Landwirte in ihren Fahrsilos arbeiteten – es war die Zeit der Maisernte. Ein Fahrzeug von Helmut M. hinterließ viel Dreck auf einem Feldweg. Daran störten sich Lothar S. und sein Vater. Sie sammelten die Batzen auf und legten sie an einer Zufahrt zum Anwesen des Nachbarn ab. Dieser geriet daraufhin mächtig in Wallung, fuhr mit seinem Traktor zu Lothar S. und dessen Vater. Es kam zu einer heftigen Auseinandersetzung, bei der geschrien, geschubst und Helmut M. in irgendeiner Weise auch körperlich angegangen wurde.

Als er zu seinem Hof zurückkehrte, rief er die Polizei herbei. Auch der Rettungswagen kam. Helmut M. ließ sich ärztlich untersuchen. Es wurden eine Beule am Hinterkopf, ein Schädelhirntrauma und leichte Einblutungen im vorderen Kopfbereich festgestellt. Helmut M. wurde für mehrere Wochen krankgeschrieben, er litt nach eigenen Angaben unter Kopfschmerzen, Schwindel und Übelkeit.

Lothar S., der Angreifer, erhielt einen Strafbefehl, gegen den er Einspruch einlegte. Deshalb kam es im Mai 2017 zur Hauptverhandlung am Amtsgericht Weißenburg. Der Landwirt wurde wegen Körperverletzung zu 70 Tagessätzen à 45 Euro verurteilt. Bei dem Prozess in Weißenburg kam der Vater von Lothar S. nicht gut weg, der Richter sah bei ihm eine Falschaussage.

Berufung eingelegt

Mit dem Urteil des Einzelrichters war die Sache aber längst nicht ausgestanden. Lothar S. legte Berufung ein, damit seine Unschuld in höherer Instanz bewiesen würde. Auch die Staatsanwaltschat war mit dem Urteil nicht zufrieden, und zwar erschien ihr die Höhe der Geldstrafe als zu gering.

So sahen sich nun im Berufungsprozess in Ansbach die Kontrahenten von damals wieder. Die dreiköpfige Kammer unter Vorsitz von Richter Matthias Soldner hörte zwei absolut gegensätzliche Versionen des "Vorfalls" vom 23. September 2016. Lothar S. (der nur eine schriftliche Erklärung abgab) und sein 62-jähriger Vater beharrten darauf, dass sie den zornigen Nachbarn des Hofes verwiesen hätten, ohne dass es zu Faustschlägen gekommen sei. Helmut M. habe zwar mehrmals geschrien "Haut mich halt!", doch das sei nicht geschehen. Schubserei ja, Schläge nein, hörte das Gericht.

Ganz anders die Aussage des 34-jährigen Helmut M. Der Angeklagte sei damals gleich auf ihn losgegangen, habe ihn mehrmals mit geballter Faust am Hinterkopf getroffen. Es seien wohl vier bis sechs Schläge gewesen, die anderen habe er mit seinen Händen abwehren können. Er selbst sei nicht gestürzt bei dem Gerangel, könne sich auch an keinen Sturz vor oder nach dem "Vorfall" erinnern.

Die Aussage von Helmut M. wurde weitgehend gestützt von einem weiteren Zeugen. Er beobachtete die Auseinandersetzung aus einer Entfernung von etwa 70 Metern und konnte erkennen, dass Lothar S. auf seinen Nachbarn losging und mindestens einmal zuschlug. Ob es tatsächlich ein Schlag mit geballter Faust war, konnte der 26-jährige Zeuge nicht mit Bestimmtheit sagen.

Den Ausschlag in dem Berufungsprozess gab der Rechtsmediziner Professor Dr. Peter Betz. Der Gutachter legte unmissverständlich dar, dass in diesem Fall nicht die für Faustschläge typischen Symptome beim Opfer vorlagen. Alles spreche für einen Sturz. Mit Faustschlägen seien diese Verletzungen der Hirnrinde jedenfalls nicht zu erklären. Zu diesem Schluss komme er vor dem Hintergrund seiner langjährigen Erfahrung. Er habe tagtäglich mit solchen Verletzungen zu tun.

"Nicht ganz einfacher Fall"

Dem beugte sich Staatsanwalt Jonas Heinzlmeier und plädierte auf Freispruch. Ein sicherer Tatnachweis sei in diesem "nicht ganz einfachen Fall" nicht gegeben. Auch bei der Anzahl der Schläge gebe es Ungereimtheiten in den Zeugenaussagen.

Rechtsanwalt Stefan Schröter sprach für den Nebenkläger Helmut M. Er sah sehr wohl den Vorwurf der Körperverletzung als erwiesen an. Die Bewertung des Gerichtsmediziners sei mit Vorsicht zu betrachten. Und laut den Zeugen hätten mindestens ein bis zwei Schläge den Kopf seines Mandanten getroffen, dass sei schlüssig dargelegt worden.

Die drei Verteidiger – Christian Zimmermann, Dominik Stelzig und Christoph Reichart – hatten natürlich gegen einen Freispruch nichts einzuwenden. Das Gutachten des Rechtsmediziners spreche eine klare Sprache. Die Verletzung des Opfers könne nicht von dem Vorfall am 23. September stammen. Die gerade gehörte Aussage von Helmut M. weise ein "großes Durcheinander" auf, insbesondere wegen der Anzahl der angeblichen Faustschläge und der Handhaltung des Opfers. An dessen Aussage sei erkennbar "nichts dran". Helmut M. habe sich nach dem Motto geäußert: "Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt".

"Nicht überzeugt"

Das Gericht hob schließlich das Urteil des Amtsgerichts auf. Richter Soldner: "Wir sind nicht überzeugt, dass es zu Faustschlägen kam." Es habe sie vielleicht gegeben, doch die Hirnverletzungen ließen sich nicht damit erklären. Nach ausführlicher Beweisaufnahme und Bewertung der Aussagen blieben begründete Zweifel, deshalb der Freispruch.

Nebenkläger Helmut M. hat eine Woche Zeit, um zu entscheiden, ob er Revision einlegen wird.

Beim Verfahren in Ansbach wurden noch mehrere andere Zeugen gehört. Ihre Aussagen spielten für das Urteil keine Rolle. Es ging um ein Gerücht im Zusammenhang mit einem Sturmgewehr. An dieser "Flüsterpropaganda" war nichts dran. Dass in dem Dorf überhaupt von einer Kalaschnikow die Rede war, zeigt, wie tief der Graben zwischen den verfeindeten Landwirten war und noch ist. Lothar S. und Helmut M. haben seit Mai 2016 nicht mehr miteinander gesprochen.

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