Vierfachmord in Gunzenhausen: Andacht für Angehörige

29.6.2018, 17:18 Uhr
Vierfachmord in Gunzenhausen: Andacht für Angehörige

© Foto: Marianne Natalis

Das menschliche Leid, das bei dem Vierfachmord in Gunzenhausen verursacht wurde, wird auf Dauer bleiben. Immer noch herrschen Entsetzen und Fassungslosigkeit in der Bevölkerung ob der schrecklichen Tat des 31-jährigen Familienvaters, gepaart mit Trauer und Mitgefühl.

Vor dem Mehrfamilienhaus in der Bismarckstraße 31 stapeln sich an der Eingangstür Kerzen und Blumen. Auch Stofftiere wurden abgelegt und erinnern an die drei Kinder, die nun ebenso wie ihre Mutter tot sind, umgebracht vom eigenen Vater. Auf einem Blatt Papier steht geschrieben, was Mitbewohner in dem Haus empfinden: "Wir werden euch unendlich vermissen. Ihr wart nicht nur Nachbarn für uns, sondern auch wertvolle Freunde. Es ist für uns unbegreiflich, was mit euch passiert ist."

Erinnerung und Abschied

Kleine Symbole der Erinnerung und des Abschiednehmens liegen auch vor dem Altar der Stadtkirche. Vor allem finden sich dort Briefe von Schulkameraden mit kleinen Botschaften an die verstorbenen Kinder. Diese rührenden Zeichen der Anteilnahme zogen bei der Trauerandacht, zu der die evangelische Kirchengemeinde für den Donnerstagabend in das Gotteshaus eingeladen hatte, die Blicke auf sich.

Viele kamen, viele suchten menschliche Nähe und Trost in der Gemeinschaft und durch das biblische Wort. Es war eine würdige Zusammenkunft, die zumindest etwas Halt bot angesichts einer Bluttat, die niemand verstehen kann.

Dekan Klaus Mendel sowie die Pfarrer Benedikt Wolff und Conny Schieder hatten sich ein symbolisches Handeln ausgedacht. Unter den Teilnehmern der Andacht wurden bunte Perlen und Schnüre verteilt. Jeder konnte dann mit der Perle, die er erhalten hatte, einen Gedanken, ein Gefühl mit den Opfern verbinden. Aneinandergereiht ließen die Perlen dann erkennen, dass hier eine große Trauergemeinde zusammengekommen war, die eins war im Schmerz und der menschlichen Zuwendung.

Perlen als Symbol

Benedikt Wolff nannte auch explizit die Namen der vier Toten — sie sollten nicht anonym und fern bleiben. Und: "Für euch beten und singen wir heute Abend." Conny Schieder betonte, hier und heute seien ganz unterschiedliche Menschen gekommen, was Herkunft, Glauben, Alter und Arbeit angehe, doch man bilde eine Gemeinschaft durch Trauer und durch Gedanken, die jedem auf dem Herzen lägen.

Vierfachmord in Gunzenhausen: Andacht für Angehörige

© Foto: Jürgen Eisenbrand

"Etwas Schreckliches ist über uns gekommen. Ein Mensch hat Unmenschliches getan. Uns fehlen die Worte und die Gedanken, um es zu verstehen", äußerten die Geistlichen. Es bleibe die Hoffnung, dass — auch mit göttlichem Beistand — die Angehörigen der Toten die allerschlimmsten Tage durchstehen und Halt finden, "auch wenn sie wanken".

Doch auch die Hausgemeinschaft, die Nachbarschaft, Freunde, Klassen- und Sportkameraden, Lehrer und Erzieherinnen in der Kindertagesstätte müssten mit den Ereignissen fertig werden. Sie alle stünden nun vor einer Lücke, die sich nicht mehr schließen werde.

Auch Kraft für Rettungskräfte

Angesprochen wurden außerdem die Rettungskräfte, die am Dienstag nach 6 Uhr mit den grausamen Folgen der Tat konfrontiert waren. Auch für sie gelte es, die Kraft aufzubringen, diese Erlebnisse zu verarbeiten.

Die Gedanken gingen aber auch in Richtung des Familienvaters, der all das Leid verursachte. Man könne nicht begreifen, wie aus einem Mitmensch ein Täter werden konnte, man wisse nicht, wie es in ihm aussieht, und von außen sei nur Abstoßendes zu erkennen, doch man könne nur hoffen, dass Gott auch ihm nahe sei.

Die Kollekte der Trauerandacht geht an die Familie der Verstorbenen. Wie ernst es der Kirchengemeinde mit einer würdigen Veranstaltung war, zeigte sich unter anderem darin, dass nach Pfarrer Claus Bergmanns Worten die Stadtkirche einen geschützten Raum darstellte. Das drückte sich darin aus, dass ein Fotografier- und Filmverbot ausgesprochen wurde. Jeder Art von Medienrummel sollte vorgebeugt werden.

Seelsorger betreuen Angehörige weiterin

Dekan Mendel ließ nach dem offiziellen Teil keinen Zweifel daran, dass sich die Seelsorger auch weiterhin um die schwer getroffenen Angehörigen kümmern werden. Man habe zudem das Umfeld im Blick, und das sei auch nötig, bis hin zur Stephani-Schule und den jungen Polizisten, die kurz nach dem telefonischen Notruf am Tatort eintrafen und im dritten Stock des Mehrfamilienhauses das Ungeheuerliche mit eigenen Augen sahen.

Der Dekan richtete den Blick aber auch auf das Klinikum in Gunzenhausen. Dessen Mitarbeiter hätten ab dem Dienstag einen mutmaßlichen Mörder verarzten und pflegen müssen. Auch das sei alles andere als einfach gewesen.

Mendel machte darüber hinaus deutlich, dass die zwölf Notfallseelsorger, die am Dienstag im Einsatz waren, alles taten, was in dieser Situation möglich war, und dass tatsächlich so viele Seelsorger erforderlich waren. Man sei rechtzeitig verständigt worden, habe so den Ernst der Lage gleich erkannt und direkt die nötigen Schritte veranlassen können.

Beerdigung am Montag

Am Montag werden die vier Opfer — die 29-jährige Familienmutter und ihre neun, sieben und drei Jahre alten Kinder —  beerdigt. Dort leben Verwandte der 29-Jährigen. Es wird an den Gräbern zutiefst emotional zugehen, das ist nicht nur dem Gunzenhäuser Dekan klar. Klaus Mendel und andere Geistliche aus Gunzenhausen werden in Windsbach als Notfallseelsorger zugegen sein, um menschliche Hilfestellung zu geben, falls dies notwendig werden sollte.

Bürgermeister Karl-Heinz Fitz nahm an der Andacht in der Stadtkirche teil. Nur wenig später, zu Beginn der abendlichen Stadtratssitzung, sprach er von sich aus die Bluttat und ihre Auswirkungen an. Man habe eine schreckliche Familientragödie erlebt. Junge, unschuldige Menschen seien zu Tode gekommen. Fitz drückte im Namen der Stadt und des Stadtrats Trauer und Mitgefühl für die Angehörigen und alle, die den Opfern nahe standen, aus.

"Aufeinander Acht geben"

Man erlebe gerade hautnah, wie schwer es für die Schule und die Kindertagesstätte sei, diesen Schlag aufzufangen, da müsse viel Trost gespendet werden. Man erlebe aber auch, wie die Stadt zusammenstehe. Die Tat habe gezeigt: "Wir müssen aufeinander acht geben, füreinander da sein, über Konfessionen und alle anderen Unterschiede hinweg." Im Verlauf des Dienstags war der Rathauschef von mehr und mehr Medienvertretern angesprochen worden.

Er hätte ein Interview nach dem anderen geben können, möglichst am Ort des Geschehens. Fitz war zunächst wie alle anderen Bürger fassungs- und sprachlos, und ihm wurde bald klar, dass er in der Tat nichts sagen könnte außer mehr oder weniger Belanglosigkeiten, deshalb hielt er sich stark zurück.

Ein Fernseh-Interview gestand er dem Bayerischen Rundfunk zu, und das wurde sorgfältig und seriös vorbereitet. Auch hinter dem Bürgermeister liegen schlechte Tage — die Namen von vier Gunzenhäusern befinden sich nicht mehr in der Einwohnerkartei der Stadtverwaltung, vier Menschenleben wurden ausgelöscht.