Vom "digitalen Hamsterrad" in Gunzenhausen

30.1.2018, 18:15 Uhr
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Smartphones sind inzwischen kaum noch aus dem täglichen Leben wegzudenken, beruflich wie privat. Soziale Medien spielen für immer mehr Menschen eine immer zentralere Rolle. Digitale Anwendungen erschließen stetig neue Bereiche und machen unsere Welt dabei gleichzeitig einfacher und komplexer.

Vor diesem Hintergrund befasst sich die Medienwelten-Reihe von Stadt- und Schulbücherei und Bürgernetzverein Gunzenhausen in ihrer aktuell zwölften Auflage dieses Jahr mit den psychosozialen Auswirkungen der Digitalisierung. Den ersten von drei Vorträgen übernahm Dr. Sarah Diefenbach und sprach über die Auswirkungen der neuen Medien auf unser Glücksempfinden. Ein Thema, das zur Freude von Carolin Bayer, Leiterin der Stadt- und Schulbücherei, und Monika Wopperer, Vorsitzende des Bürgernetzvereins, auf große Resonanz stieß.

Sarah Diefenbachs Forschungsfeld als Professorin für Wirtschaftspsychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München ist die Interaktion zwischen Mensch und Technik. Auch als Sachbuchautorin analysierte sie die Effekte der Digitalisierung auf Mensch und Gesellschaft. Aus psychologischer Perspektive untersuchte sie die Risiken der ständigen Nutzung digitaler Anwendungen. Wenn sie dabei von der "Digitalen Depression" spricht, ist dies nicht im klinischen Sinne zu verstehen. Es lässt sich aber feststellen, dass die intensive Nutzung digitaler Medien verschiedene negative Auswirkungen auf die Nutzer haben kann.

Einerseits sind das physiologische Effekte wie Schmerzen in Daumen und Nacken, andererseits kognitive Beeinträchtigungen wie etwa eine verminderte Aufnahmefähigkeit. Der Vortrag nahm ergänzend dazu vor allem die psychologischen Mechanismen von beispielsweise exzessivem Smartphone-Gebrauch in den Fokus.

Moment verliert an Bedeutung

Sarah Diefenbachs verkürzte These lautet: Technik verdrängt das direkte Glück. So berichtete sie von einer entsprechenden Beobachtung während einer Urlaubsreise. An jedem Aussichtspunkt lieferten sich Menschen einen Wettkampf um den besten Winkel zum Fotografieren, nur um anschließend schnellstmöglich zur nächsten Station zu eilen. Statt Landschaft und Sehenswürdigkeiten zu genießen, musste jeder noch so schöne Moment vor allem digital eingefangen werden, um anschließend online gestellt zu werden.

Der Wille, die eigenen Erlebnisse mit Freunden und Verwandten zu Hause zu teilen, sei dabei durchaus nachvollziehbar. Automatisiere sich jedoch der Reflex zum Online-Teilen, werde dies zum Selbstzweck, und der eigentliche Moment verliere an Bedeutung. Das Feedback anderer Nutzer auf online gestellte Fotos oder Geschichten sei schließlich die psychologische Belohnung, die den "homo technologicus" immer wieder zurückkehren lasse. Im schlimmsten Fall würden dann Aktivitäten in der realen Welt danach beurteilt, ob sie sich als Internet-Post "verwerten" lassen: ein digitales "Hamsterrad".

Ähnliche Mechanismen erkennt Sarah Diefenbach auch im alltäglichen Smartphone-Gebrauch. Durch die ständige Erreichbarkeit und eine allmähliche Gewöhnung an die Nutzung des Handys entsteht ein Zwang, immer online zu sein. So entwickeln sich Automatismen und Routinen, die die Menschen selbst nie wollten. Stets muss das Handy auf neue Nachrichten geprüft werden, selbst in Alltagssituationen im "echten" Leben scheinen digitale Gesprächspartner oft Vorrang zu haben.

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Dabei weiß Sarah Diefenbach: Die bloße Anwesenheit eines Smartphones hat bereits negative Auswirkungen auf die Gesprächsatmosphäre. Sie zitierte verschiedene Gesprächspartner, die ihren Eindruck beschreiben, wenn Unterhaltungen mit dem direkten Gegenüber immer wieder vom Vibrieren des Handys unterbrochen werden: Es sei wie ein roter Faden, der immer wieder reißt. So werde verhindert, dass gemeinsame Gedankenstränge entwickelt werden können. Man bekomme das Gefühl, dem Gegenüber in dem Moment nicht "auszureichen". Trotz aller Kritik legte Sarah Diefenbach aber Wert darauf, festzustellen, dass sie alles andere als ein Feind der Technik sei. Es sei wichtig, den richtigen Umgang mit der digitalen Welt zu erlernen, was besonders für Kinder und Jugendliche gelte. Gelinge dies nicht, könne die Allgegenwärtigkeit digitaler Anwendungen zur echten Belastung werden.

Diese Gratwanderung war auch Inhalt der anschließenden Diskussionsrunde mit dem Publikum, in dem unter anderem Lehrkräfte verschiedener Schulen vertreten waren. So kam das Dilemma zwischen der Forderung nach einem störungsfreien Lehrbetrieb einerseits und nach verstärktem Einsatz moderner Medien andererseits zur Sprache.

Sogar im Gottesdienst

Es zeigten sich viele der Anwesenden besorgt über die Gegenwart digitaler Medien in verschiedenen sozialen Kontexten, sei es an der Schule, beim familiären Abendessen oder gar im Gottesdienst. Die Akzeptanz für die Nutzung von Smartphones geht bei verschiedenen Menschen mitunter stark auseinander. In einer Wortmeldung brachte ein Zuhörer seine große Besorgnis darüber zum Ausdruck, dass Smartphones selbst im Gottesdienst immer öfter genutzt werden. Ein weiterer Besucher nahm dies eher gelassen und sah keinen allzu großen Unterschied, ob die Leute wie "früher" nach harter Arbeit in der Kirche einschlafen oder die Zeit heute am Handy verbringen würden.

Mal nicht erreichbar sein

Zu digitalen Medien existieren, wie zu jedem anderen Thema auch, sozial akzeptierte Normen und Verhaltensregeln, so Diefenbach. Dass diese hier gefühlt stärker auseinander gehen, liege vor allem an der Neuartigkeit der Thematik. Natürlich spiele auch das Alter eine Rolle in der Bewertung der "Normalität" von digitaler Technik.

Zum Abschied konnte Sarah Diefenbach den Zuhörern, wenn schon kein Allheilmittel für die "Abgründe" der digitalisierten Welt, so doch immerhin einige "Survival-Tipps" mitgeben. So rät sie etwa dazu, sich selbst zu regelmäßiger "Nicht-Erreichbarkeit" zu erziehen, oder smartphone-freie Zonen, zum Beispiel im Schlafzimmer, einzurichten. Vor allem aber gehe es darum, sich zu vergegenwärtigen, dass Glück nicht (online) geteilt werden muss, damit es real wird.

Die Medienwelten-Reihe wird am Donnerstag, 8. Februar, um 19.30 Uhr in der Stadt- und Schulbücherei mit dem Vortrag von Björn Friedrich unter der Überschrift "Fakt oder Fake – Wahrheit und Lüge in (digitalen) Medien" fortgesetzt.

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