Von Kuala Lumpur nach Gräfensteinberg

23.9.2017, 18:01 Uhr
Von Kuala Lumpur nach Gräfensteinberg

© Daniel Hertwig

Wer mit Jason Tam sprechen möchte, muss auf einem sehr kleinen Stuhl Platz nehmen. Denn Tam, 25 Jahre alt, absolviert gerade ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) im Kindergarten Gräfensteinberg, einer Einrichtung, in der Möbel naturgemäß eher für Kinderkörper geeignet sind. Während die Kleinen gerade an ihren Gruppentischen essen – Tam: "Jetzt ist es schön ruhig, weil die Kinder beim Essen nicht lärmen dürfen. Danach wird es wieder lauter" —, hat der junge Mann kurz Zeit für einen Kaffee.

Und dafür, seine Geschichte zu erzählen. Tam ist kein ganz gewöhnlicher FSJ-Leistender, wie es sie in vielen Kindereinrichtungen gibt. Er kommt aus Malaysia, das Soziale Jahr in Deutschland ist zugleich auch sein erster Aufenthalt in Europa. "Ich finde es sehr wichtig, andere Kulturen kennenzulernen", erklärt er auf Englisch — Deutsch lernt er noch, mit den Kindern kommt er aber seit dem ersten Tag bestens aus, wie auch eine der Leiterinnen, Karin Oechslein, bestätigt.

Neue Kulturen zu entdecken war jedoch nicht der Hauptgrund, aus dem sich Tam für das FSJ im Fränkischen Seenland entschieden hat. Der 25-Jährige hat zuvor studiert und zwei Jahre als Maschinenbauingenieur gearbeitet. Irgendwann habe er allerdings gemerkt, dass er beruflich lieber mit Menschen zu tun haben möchte. In seiner Kirchengemeinde — Tam gehört der christlichen Minderheit in dem überwiegend muslimisch geprägten Land an — hörte er von der Möglichkeit, über "Mission Eine Welt" nach Deutschland zu kommen, um hier Sprache und Kultur, aber auch einen sozialen Beruf kennenzulernen. So besuchte er im Juni zunächst in Neuendettelsau einen Deutschkurs, seit Juli unterstützt er die vier Erzieherinnen in Gräfensteinberg, die sich in Teilzeit um die derzeit 25 Kinder kümmern. Bei Familie Schmidt konnte er in der Nähe ein Zimmer beziehen.

Kommunikation über Zeichen

Kinder zu betreuen ist dem jungen Mann nicht völlig neu: In der Kirche in Malaysia habe er sich schon an der Jugendarbeit beteiligt. Mit den Gräfensteinberger Kids versteht Tam sich gut: "Sie sprechen einfaches Deutsch, das kann ich verstehen. Und wir kommunizieren auch über Zeichen", erläutert er. Für Oechslein und die Kolleginnen ist er, wie frühere Praktikanten, eine Entlastung, weil er fast alle Aufgaben übernehmen kann (Ausnahme bleibt laut Oechslein das Wickeln, für das längere Bindungen nötig seien): Vom Füttern übers Spielen, Turnen, Basteln und Aufräumen bis zum Toilettengang. Gleichzeitig ist Tam laut der Leiterin eine "Bereicherung": Die Kinder seien neugierig und wollten wissen, wo er herkomme. Das soll er jetzt bald mittels einer Landkarte erklären, dazu könnte er von seiner Kindheit in Malaysia erzählen und vielleicht typisches Essen zubereiten. Die Kleinen sind für Neues offen. Ein Junge habe gleich in den ersten Tagen einen Globus von zuhause mitgebracht, damit Tam ihm sein Heimatland zeigen konnte, erinnert der sich strahlend.

Auch die Eltern hätten "durchweg positiv" auf Tam reagiert, sagt Karin Oechslein. Dabei habe sicher auch die Vermittlung über eine kirchliche Organisation geholfen — dadurch steige die Akzeptanz. Tam selbst hat in Gräfensteinberg, und auch bei Ausflügen nach Berlin und Hamburg, bislang keine negativen Erfahrungen aufgrund seiner Herkunft gemacht, berichtet er. Die Gräfensteinberger seien "superfreundlich", auch wenn es mit der Sprache manchmal noch schwierig sei. Als er in den ersten Tagen nach einer Adresse suchte, habe eine Frau eigens ihre Gartenarbeit unterbrochen, um ihm den Weg zu zeigen — und ihn dann gleich auf ein Eis eingeladen. Auf der Straße werde er von Fremden gegrüßt, das gefällt ihm. Und es sei viel ruhiger und entspannter als in seinem Heimatort, unweit der Millionenstadt Kuala Lumpur, wo der Verkehr "furchtbar" sei. In Sachen Umweltschutz sei Deutschland weit voraus, so der studierte Ingenieur.

Friedliches Zusammenleben

Stolz auf seine Heimat ist er dafür aus einem anderen Grund: Der Kontakt mit anderen Religionen ist dort Alltag, in Malaysia leben neben Muslimen und Christen auch Buddhisten, Hindus und Anhänger traditioneller chinesischer Glaubensrichtungen. "Generell leben wir friedlich zusammen, auch wenn es kleine Gruppen von Extremisten gibt", erklärt Tam. "Fast jeder hat bei uns Freunde aus anderen Religionen. Wenn die USA ein ,Melting Pot‘ (Schmelztiegel, Red.) sind, wo alles vermischt wird, sind wir eine Salatschüssel, in der zwar alles gut zusammenpasst, der unterschiedliche Geschmack aber erhalten bleibt."

Ob er nach dem FSJ wieder dort leben wird, sei aber noch nicht entschieden, sagt Jason Tam. Der Ort ist ihm nicht so wichtig, er möchte etwas Sinnvolles tun, zum Beispiel für eine Organisation wie Ärzte oder Ingenieure ohne Grenzen arbeiten.

Da könne er anderen Menschen helfen. Und die Erfahrungen aus Gräfensteinberg einbringen.

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