Weißenburger SZ-Journalist deckt „Lobbykratie“ auf

17.8.2016, 10:01 Uhr
Weißenburger SZ-Journalist deckt „Lobbykratie“ auf

© Jürgen Eisenbrand

Ritzer selbst, der unter anderem die Skandale um das Bayreuther Justiz-Opfer Gustl Mollath und die Manipulationen des ADAC beim „Auto des Jahres“ aufgedeckt hat, bringt nun, zusammen mit seinem Kollegen Markus Balser auf 359 Buchseiten Licht ins Dunkel der „Lobbykratie“, wie der Droemer-Verlag das Buch der beiden genannt hat. Untertitel: „Wie die Wirtschaft sich Einfluss, Mehrheiten, Gesetze kauft“.

Über diesen „reißerischen Titel“ war Karl-Friedrich Ossberger, Chef der gleichnamigen Turbinenfabrik in Weißenburg ein Mann eben jener „Wirtschaft“, naturgemäß „zunächst erschüttert“, wie er bei der Vorstellung des Buchs in der Weißenburger Buchhandlung Meyer bekennt. Aber nach der Lektüre steht für den Ehrenvorsitzenden des IHK-Gremiums im Landkreis fest: „Ein gut recherchierte Buch.“ Und der mittelständische Unternehmer bekennt sogar, dass er voll auf der Seite des investigativen Journalisten steht: „In diesem Buch geht es um den Schutz des Mittelstandes, weil der politisch nicht so arbeiten kann wie die Konzerne.“

Und die arbeiten, wie Ritzer und Balser überaus präzise und detailreich belegen, wirklich mit allen Mitteln: Sie lassen ehemalige Spitzenpolitiker (Schröder, Wissmann, Pofalla) ebenso für sich arbeiten wie hohe, mit reichlich Insiderwissen ausgestattete Ex-Ministerialbeamte.

Sie engagieren dubiose Figuren aus dem Grauzonenbereich der Wirtschaft, hetzen Heerscharen von Anwälten und Meinungsmacher auf Politiker in Berlin, Brüssel und Straßburg.

Sie verstecken sich hinter vermeintlich dem Gemeinwohl dienenden Stiftungen, Instituten und Verbänden, und sie haben auch keine Skrupel, schon Kindergartenkinder und Schüler jeden Alters mit großzügig zur Verfügung gestellten Unterrichtsmaterialien zu manipulieren.

Dafür nur ein – allerdings besonders krasses – Beispiel: Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt setzten deutsche Atomkraftwerksbetreiber jahrelang in ihren Meilern Brennelemente ein, die auch Uran aus russischen Atomwaffen enthielten. Eigentlich hätten die Konzerne Eon, RWE und EnBW sich dafür als wichtiger Baustein der atomaren Abrüstung feiern lassen können, aber, wie es im Buch heißt: „Den Unternehmen scheint die Sache jedoch bis heute unangenehm.“

Schwerer Verdacht

Denn: „Interne Dokumente der Atomindustrie lassen einen schweren Verdacht aufkommen. Deutsche Atommanager sollen demnach beim diskreten Abrüstungsprogramm nicht nur bereitwillig mitgemacht haben. Sie zählten möglicherweise sogar zu seinen Initiatoren. Die Abrüstung war dabei mutmaßlich eher Mittel zum Zweck. Den Managern ging es auch um etwas anderes. Sie sahen die Chance, mit geschicktem Lobbying den deutschen Atomausstieg durch den Einsatz militärischer Stoffe in Atomkraftwerken gegen den Willen von Bürgern und Politik zu verzögern und mit den Abrüstungsplänen längere Laufzeiten für die von der Abschaltung bedrohten Atomkraftwerke durchzuboxen.“ Eine wahrhaft abenteuerliche Art, Politik gegen die Politik und den Willen der Mehrheit zu machen.

Von Atomkraft bis Zigaretten – kein Bereich der Politik, so suggeriert Ritzers Buch, ist vor der „Lobbykratie“ sicher. Auch und gerade der Nahrungsmittelbereich. „Ein absolut verseuchtes Gebiet“, nennt ihn Ritzer bei der Buchpräsentation, ein undurchdringliches „Wurzelgeflecht von Politik, Landwirtschaft und Industrie“. Und er geißelt die „Verflechtung von Bauernverbandsvertretern mit der Industrie“ als „Wahnsinn, der sich über Jahrzehnte hinweg ausgebildet“ habe.

Die deutsche Agrar- und Ernährungswirtschaft nennt Ritzer „ein Paradies für Lobbyisten“, das über ein „fein austariertes Geflecht aus Vertretern der Landwirtschaft, der Agrarmaschinenhersteller sowie der Chemie- und der Gentechnikindustrie“ funktioniere. Die Verlierer dieses Systems hat er klar ausgemacht: die Bauern. Zwar mischten Bauernverbandsvertreter in den zahlreichen Genossenschaften und Verbänden munter mit, das Sagen jedoch hätten die Konzerne: „Dass die Bauern das immer noch mitmachen, verstehe ich sowieso nicht“, sagt Ritzer.

Das ist wohl auch nicht wirklich zu verstehen. Aber wer „Lobbykratie“ gelesen hat, versteht auf jeden Fall besser, warum die deutsche Politik so ist, wie sie ist. Warum sie etwa Banken rettet – und uns alle dafür zahlen lässt. Warum Agro-Konzerne Milliarden mit zweifelhaften Pflanzengift verdienen dürfen – und wir womöglich davon irgendwann Krebs bekommen. Warum Lebensmittelkonzerne ihre Aktionäre reich machen können – und Milchbauern nicht mehr wissen, wie sie ihr Tierfutter bezahlen sollen.

Ein wichtiges Buch, ein spannendes und gut geschriebenes Buch. Das sogar der zunächst „erschütterte“ Wirtschaftsfunktionär Ossberger dringend zur Lektüre empfiehlt.

 

Markus Balser, Uwe Ritzer: „Lobbykratie“, Droemer, 359 Seiten, 19,99 Euro

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